»Brauchen eine Bodenreform 2.0«
Von Simon Zamora MartinDie »Helle Panke« in Berlin war am Dienstag abend brechend voll: Die Initiative »Genossenschaften von unten« hatte zu einer Veranstaltung über Bodenpreise und Mieten mit der Linke-Politikerin Katalin Gennburg als Hauptrednerin eingeladen. »Um die Machtverhältnisse nicht zu zementieren, kommen wir um eine Bodenreform nicht herum«, leitete die studierte Stadtplanerin ihren Vortrag ein. Dann zeigte Gennburg auf, wie stark überbewertete Bodenpreise dazu führen, dass selbst Bauherren mit »sozialem Anspruch« keinen bezahlbaren Wohnraum schaffen können.
Dass die Mieten im historisch bürgerlichen Stadtteil Charlottenburg heute teilweise günstiger seien als in Ostberlin, habe wesentlich mit den unterschiedlichen Eigentumsverhältnissen in Ost und West zu tun. Während es in Westdeutschland sowohl auf dem Land als auch in der Stadt viele Kleineigentümer gebe, habe die Abwicklung der DDR dazu geführt, dass sich im Osten ein Großteil des Bodens in den Händen von Spekulanten konzentriert habe. Unter dem Motto »Junkerland in Bauernhand« seien in der Sowjetischen Besatzungszone 1945 Großgrundbesitzer und Nazis enteignet worden. »1990 stellte sich dann die Frage, wie wir Teile des Staates retten können«, so Gennburg. Mit einer ganzen Reihe von Übergangsgesetzen habe die letzte SED-Regierung unter Hans Modrow versucht, die Bodenverhältnisse der DDR in BRD-Recht zu überführen. Unter anderem seien alle Vermögenswerte der DDR in die Treuhandgesellschaft eingebracht worden, die diese nach der sogenannten Wiedervereinigung unter veränderten Statuten zu Spottpreisen verscherbelt habe. Die »größte Privatisierungswelle« der Geschichte habe, was Grund und Boden angehe, eine Spekulationsspirale in Gang gesetzt, die sich bis heute immer weiter drehe. »Ich sage es vorsichtig«, so Gennburg in der abschließenden Diskussionsrunde, »auch die Treuhand-Privatisierungen müssen teilweise rückabgewickelt werden«.
Unter einer »Bodenreform 2.0« versteht Gennburg allerdings nicht die Enteignung moderner Großgrundbesitzer wie Investmentfonds oder Immobilienkonzerne. »Wir schreiben nicht mehr das Jahr 1945«, sagte die Politikerin auf jW-Nachfrage. »Die Bodenreform 2.0 ist eher ein Instrumentenkasten.« Eines dieser Instrumente sei die Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit, die bis 1990 Vermietern von Sozialwohnungen eine dauerhafte Steuerbefreiung garantierte. Dadurch sei es gelungen, Sozialwohnungen zu schaffen, die nicht nach einigen Jahrzehnten aus der Mietpreisbindung fallen. Ein weiteres zentrales Instrument sei eine bundesweite Mietpreis- und Bodenpreisbindung. Eigentum von erbenlosen Grundbesitzern sollte in die öffentliche Hand überführt werden. Vor allem aber sollten Grundstücke der öffentlichen Hand nicht verkauft, sondern nur im Erbbaurecht vergeben werden. Das heißt: Das Haus gehört den Bauherren, aber der Boden bleibt Eigentum des Landes.
»Machen wir es wie in Ulm, wo die CDU regiert«, sagte Gennburg. Dort gehören seit 100 Jahren 30 Prozent der Flächen der Stadt. Diese werden nur im Erbbaurecht oder mit Rückkaufrecht vergeben. Ein erstes Modellprojekt in diese Richtung wollte die Partei Die Linke als Regierungsmitglied in Berlin durchsetzen: Das Dragonerareal in Kreuzberg sollte im Erbbaurecht mit Sozialbindung für 99 Jahre vergeben werden. Ein Plan, der laut ND nun vom »schwarz-roten« Senat gekippt werden könnte.
Städte wie Ulm zeigten, dass ein stärker regulierter Mietmarkt möglich sei, wenn die Stadt einen Großteil des Bodens besitze, so die Linke-Politikerin. Die Frage, wie der Boden in die öffentliche Hand kommen soll, blieb in der Debatte um Gennburgs »Bodenreform 2.0« allerdings unbeantwortet. Auch der Volksentscheid »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«, mit dem die Berliner im September 2021 die Enteignung der großen Wohnungskonzerne beschlossen haben, wurde in der Debatte erstaunlicherweise kaum erwähnt.
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