4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 09.02.2024, Seite 2 / Inland
Drängen auf Deportation

»Wer nach Bayern kommt, hat Pech gehabt«

Die bayerische Bezahlkarte für Asylsuchende soll »schneller und härter« werden. Ein Gespräch mit Katharina Grote
Interview: Gitta Düperthal
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Endstation Freistaat: Hier ist die Bezahlkarte noch härter (Augsburg, 2.8.2015)

Bei der Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete ist die bayerische Landesregierung Vorreiter. Was bedeutet das für Asylsuchende dort?

So wie die neue Regierung die Bezahlkarte geplant hat, soll es für sie nur 50 Euro in bar geben. Wie sich das berechnet und rechtfertigen lässt, ist bislang nicht transparent. Wenn überall dort, wo Bargeld oder eine Überweisung erforderlich sind, keine Bezahlung mehr möglich ist, schränkt es die Selbstbestimmung und Handlungsfreiheit von Geflüchteten ein. Ob der Kauf einer Brezel am Schulkiosk, Materialgeld in der Schule oder Anwaltskosten: Das Zahlen wird zur logistischen Herausforderung. Bayern plant obendrein, die Karte auf Regierungsbezirke lokal zu begrenzen. Das schränkt Geflüchtete in ihrer Mobilität ein, sie sollen von der Nutzung des Deutschlandtickets ausgeschlossen werden. Termine bei Behörden, Ärzten, Anwälten oder Besuche bei Freunden oder Verwandten werden unmöglich gemacht.

Auch bundesweit ist die Bezahlkarte Thema. Wer trägt politische Verantwortung?

Ende 2023 beschloss die Ministerpräsidentenkonferenz mit 14 Bundesländern, die Bezahlkarte bundesweit einzuführen. Unter Vorsitz des hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein, CDU, wurde eine Arbeitsgruppe gegründet. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern preschten aber vor, um eine eigene Bezahlkarte auszugeben. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, CSU, ließ keinen Zweifel an der Ausrichtung des Projekts aufkommen. Es geht um die Abwehr von Geflüchteten, »finanzielle Anreize« gelte es zu senken. Begründet wird die Einführung der Karte seitens der Ministerpräsidenten damit, dass die Auszahlung von Bargeld angeblich »ein Pull-Faktor« sei, um nach Deutschland zu kommen. Damit spielt man der AfD in die Hände, weil so Bilder und Stereotype bestätigt werden, um Migration als Belastung schlechthin darzustellen.

Wie ist das rechtlich einzuordnen?

Bezahlkarten als Instrument einzusetzen, um die Zahl der Asylsuchenden zu senken, ist vermutlich verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht entschied 2012, dass Sozialleistungen nicht zur Abschreckung von Geflüchteten missbraucht werden dürfen, etwa um Migration zu regulieren. »Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren«, hieß es bei der Urteilsbegründung.

Firmen verdienen sich daran eine goldene Nase; für die Verwaltung entsteht zugleich erheblicher bürokratischer Aufwand. In wessen Interesse kann die Bezahlkarte ökonomisch sein?

Wir wissen noch nicht, wer den Zuschlag erhält und an der Umsetzung der Technologie verdient. »Unsere Bezahlkarte kommt schneller und ist härter«, hat Söder angekündigt. Während die Karte woanders erst ausgeschrieben wird, starte Bayern nun in die Praxis. Auf die Behörden kommt klar bürokratischer Aufwand zu. Bei der Umsetzung wird es viele Probleme geben. Es müssen vermutlich Anträge geschrieben werden, weil das Bargeld eines Geflüchteten nicht reicht, etwa wenn er zum Termin bei einer Botschaft reisen muss. Man hätte es anders lösen können, indem man die Karte an die Girokonten anbindet. Die Kommunen wären entlastet, weil ressourcenaufwendige Bargeldbeschaffung und Auszahlung wegfallen.

Die Bezahlkarte wird als neues Instrument verkauft, dabei ist die Debatte alt. In den 1990er Jahren gab es die Gutscheinpraxis für Asylsuchende. Was zahlreiche Unterstützer mit Soliaktionen auf den Plan rief, die die diskriminierende Art des Bezahlvorgangs an Supermarktkassen konterkarierten: Sie gaben den Asylsuchenden Bargeld für die Gutscheine und zahlten an ihrer Stelle damit. Wird es wieder solche Aktionen geben?

Das hoffen wir. Gruppen können sich vor Supermärkten treffen, damit Unterstützer mit den Bezahlkarten einkaufen und die Geflüchteten im Austausch Bargeld erhalten. Es braucht praktische Solidarität von unten, um den Restriktionen von oben etwas entgegenzusetzen. Klar ist: Es wird wieder einen Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen geben; darunter Bundesländer, die einen höheren Bargeldbetrag zahlen. Wer nach Bayern kommt, hat Pech gehabt. Das ist ungerecht.

Katharina Grote ist Sprecherin des Bayerischen Flüchtlingsrates

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