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Aus: Ausgabe vom 24.04.2023, Seite 12 / Thema
Parteifreunde

Von wegen »Querelen«

Die Zerstrittenheit der Linkspartei hat einen konkreten Grund: das Überlaufen von Teilen der Mitglieder ins Lager der Kriegstreiber
Von Stephan Jegielka
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Ein Bild aus vergangenen Zeiten … Laut Programm ist die Linkspartei noch eine Friedenskraft, auch wenn viele ihrer Führungspersönlichkeiten sich längst umorientiert haben (Parteizentrale der PDS, Berlin, 13.1.2003)

Wir dokumentieren im folgenden redaktionell gekürzt die Rede, die Stephan Jegielka als Vertreter des Bundessprecherrats der Kommunistischen Plattform (KPF) innerhalb der Partei Die Linke am 22. April 2023 während der dritten Tagung der 21. Bundeskonferenz der KPF gehalten hat. (jW)

Länger als ein Jahr tobt nun schon der Krieg in der Ukraine. Unsere große Hoffnung liegt jetzt in der Friedensinitiative Chinas und darin, dass diese von sehr vielen Ländern, die nicht zum »regelbasierten« Westen zählen, mit Sympathie betrachtet wird. Stellvertretend sei an Lula in Brasilien gedacht. Die Anzahl derer nimmt zu, die meinen: Letztlich sei es ein Krieg der USA, mit der NATO im Schlepptau, gegen Russland. Wer die Vorgeschichte dieses Krieges nicht kennt, sie ausblendet oder umdeutet, dem scheint das aggressive Agieren der NATO durch den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands in der Ukraine legitimiert. Selbst vor so manchen Linken macht das Verwechseln von Ursache und Wirkung nicht unbedingt halt. So war in einem Leserbrief im ND vom 31. Januar 2023 über die Kriegsbereitschaft die Rede, »die von Putins Russland auf die NATO übergesprungen zu sein scheint«. Man muss doch den Krieg in der Ukraine nicht gutheißen, wenn man feststellt, dass nicht Russland die völkerrechtswidrigen Kriege und Verhaltensweisen erfunden hat, sondern der sogenannte kollektive Westen.

Militarisierung

Legitimiert werden sollen hierzulande auch alle Konsequenzen aus diesem Krieg: Da ist die offene Kriegsvorbereitung. Denken wir nur an das im Juni bevorstehende größte Luftkriegsmanöver seit Bestehen der NATO. Und dieses Manöver wird vor allem über dem Osten Deutschlands stattfinden. Da ist die fortschreitende Militarisierung des gesellschaftlichen Lebens, begleitet von Superprofiten der Rüstungsindustrie. Da ist die ideologische Kriegsvorbereitung. Noch vor wenigen Jahren wäre die Sendung »Hart aber fair« vom 3. April 2023 unter der Überschrift »Die Ukraine kämpft, die Bundeswehr übt noch: Muss Deutschland Krieg können?« undenkbar gewesen. Undenkbar ebenso folgende Äußerung des Kommandeurs des Zentrums Innere Führung der Bundeswehr, Generalmajor Markus Kurczyk: »Es geht nicht darum, welche Waffensysteme wir haben. Es geht darum, ob wir Menschen haben, die bereit sind, für Deutschland in den Krieg zu ziehen, die bereit sind, für ihre Überzeugung, für unsere Werteordnung bis ans Ende der Welt zu gehen« (ND, 11. April 2023).

Inzwischen ist Kriegsverherrlichung ganz normal geworden, so wie es einst normal war, auf den Straßen zu grölen: »Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.« Da ist die unerträgliche Russophobie, die in Anbetracht deutscher Schuld zutiefst verbrecherisch ist. 27 Millionen Tote hat der Vernichtungskrieg Hitlerdeutschlands gegen die Sowjetunion das Land gekostet. Für sehr viele Menschen in der alten Bundesrepublik ist »der Russe« immer der Feind geblieben. Anders in der DDR. Das ist der entscheidende Grund, warum zum Beispiel im Osten Waffenlieferungen an die Ukraine in wesentlich höherem Maße abgelehnt werden als im Westen. Nicht der Einfluss der AfD in puncto Russland ist der Grund für diese Stimmungen im Osten, sondern umgekehrt veranlasst diese sich verfestigende Haltung die AfD, scheinbar russlandfreundlich zu agieren. Zurück zur Russophobie. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass nicht wenige Kinder, Enkel und Urenkel der Angehörigen der faschistischen Wehrmacht die Stunde für gekommen halten, in der man über die Russen endlich sagen kann, was man immer schon einmal sagen wollte. In dieser Hinsicht ist die Meinungsfreiheit grenzenlos.

Und die Partei Die Linke? Nach dem Erfurter Parteitag im Juni 2022 gab unsere Partei ein Bild der Zerrissenheit ab, was vom dreisten Auftreten derer noch verschärft wurde, die sich »progressive Linke« nennen; aber auch durch das resignative Verhalten eines Teils des linken Flügels, der die Partei für verloren erklärt. Statt zu arbeiten, wurde und wird von manchen nur noch gejammert und geschimpft. Das ist verständlich, hilft aber nicht weiter. Die Situation auf dem Erfurter Parteitag wurde mit jener der Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914 verglichen.

Strömungsprobleme

Aber – der Erfurter Parteitag bedeutete nicht die Aufgabe der friedenspolitischen Grundsätze unserer Partei. Denn im entscheidenden Punkt konnten sich die Parteirechten nicht durchsetzen: In der Frage der Waffenlieferungen. Deren fundamentale Bedeutung ging zunächst einmal unter in der berechtigten Empörung über den Grad der von der Parteitagsregie betriebenen Manipulation. Auch neigten nicht wenige Parteilinke dazu, Äußerungen führender Politikerinnen und Politiker der Partei für wichtiger zu halten als die geltende Beschlusslage. Diese Missachtung in harten Auseinandersetzungen errungener Teilerfolge ist ebenso fehl am Platze wie deren Überschätzung. Uns wird voraussichtlich eine Programmdebatte aufgezwungen werden – vermutlich mit dem Ziel, vor den Europawahlen inhaltliche Veränderungen vorwegzunehmen. Wir werden uns dem stellen und müssen sehr genau wissen, was unbedingt verteidigt werden muss.

Sehr häufig werden wir mit der Auffassung konfrontiert, die Zerstrittenheit in der Partei resultiere aus der Existenz zu vieler verschiedener Strömungen, Zusammenschlüsse und Plattformen. Weniger häufig, aber doch oft genug, werden Probleme in der Partei mit der Ost-West-Zusammensetzung begründet. So schreibt Raul Zelik im ND vom 20. Dezember 2022: »Vor allem in Teilen der Ostmitgliedschaft ist die Diskrepanz – so mein subjektiver Eindruck – zwischen rhetorischer Radikalität und Obrigkeitshörigkeit oft groß, wobei beide Haltungen unvermittelt ineinander übergehen können. So wird in Ostberliner Bezirksverbänden beispielsweise einerseits oft ein radikaler Antikapitalismus propagiert, andererseits bedeutet das aber nicht unbedingt, dass sich die Parteimitglieder dort auch besonders aktiv an sozialen Kämpfen beteiligen.«

Sehen wir einmal davon ab, dass Antikapitalismus nur radikal denkbar ist. Nehmen wir sachlich zur Kenntnis, dass Zelik – im gleichen Atemzug mit seinem »subjektiven Eindruck« – den Berliner Landesverband für die Pflegekampagne, die Aktivierung der Bezirksverbände für das Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« oder die Mobilisierung »Genug ist genug« lobt. Sofort im Anschluss daran folgt wiederum Zeliks Behauptung: »Doch strukturbestimmend ist eher das Gegenteil, wie die Auseinandersetzung um die Berliner Regierungsbeteiligung regelmäßig zeigt. Bei Ostberliner Ortsgruppen der Linken bekommt man oft die Klage zu hören, die eigene Partei sei zu angepasst. Mit diesem Argument werden auch viele Austritte aus der Linken erklärt (zuletzt etwa derjenige der ehemaligen DDR-Wirtschaftsministerin Christa Luft).«

Soweit noch einmal Zelik. Hört er sich eigentlich selbst zu? Die Ostberliner Mitglieder sind radikal und obrigkeitshörig, inaktiv – außer bei Kampagnen, die im ganzen Land Beachtung finden – und beschweren sich über Angepasstheit und Regierungsbeteiligung. Eine, die selbst der DDR-Obrigkeit angehört hatte, tritt deshalb sogar aus der Linken aus. Da fehlt nicht nur jegliche Stringenz, das ist gegenüber den aus dem Osten kommenden Mitgliedern schon denunziatorisch. Die Bezirksverbände Mitte oder Lichtenberg haben nicht weniger für das Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« getan als Tempelhof-Schöneberg oder Neukölln. Manche Funktionäre aus dem Westteil der Stadt sind nicht weniger obrigkeitshörig als manche im Osten, die übrigens nicht selten aus dem Westen stammen. Und wer den Basisorganisationen – ob in Ost- oder Westberlin – vorwirft, sie seien angepasst, der hat sich noch nie ernsthaft mit der Frage befasst, wie von Vorständen mit Kritik der Basis umgegangen wird. Oft nämlich überhaupt nicht. Wer, das negierend, Basisschelte betreibt, dem mangelt es zumindest an dialektischem Herangehen.

Anderes Parteiverständnis

Wenn Zelik aber meint, viele alte Mitglieder der Linken im Osten hätten ein anderes Parteiverständnis als viele im Westen, dann ist das nicht falsch. Ohne dieses Parteiverständnis, das durchaus Nachteile hat, wäre die Partei im Osten schon sehr lange zerfallen. Und ohne die Genossinnen und Genossen im Westen, die häufig eine etwas andere Art der Bindung an die Partei haben, kann Die Linke auch nicht existieren. Darum geht es. Was Zelik da formuliert, geht an den eigentlichen Problemen der Zerrissenheit der Linken vorbei, ja vertieft sie.

Und in dieser Frage kann die Kommunistische Plattform für sich etwas in Anspruch nehmen: Wer zu uns auf die Konferenzen kommt oder an den Bundeskoordinierungsratssitzungen teilnimmt, der wird – und das seit Jahr und Tag – umsonst nach Ost-West-Konflikten suchen und statt dessen Solidarität und einen kulturvollen Umgang miteinander finden. Warum ist das so? Weil wir uns in grundlegenden inhaltlichen Fragen gemeinsame Positionen erarbeiten und manchmal auch erstreiten, weil Streit fast immer respektvoll verläuft und so eine Atmosphäre des gemeinsamen Denkens, Handelns und auch Fühlens entstanden ist, die einen vergifteten Umgang miteinander so gut wie ausschließt. Manche der sogenannten progressiven Linken könnten von uns, den in ihren Augen dogmatischen Kommunistinnen und Kommunisten, lernen, was Toleranz ist und wie sie funktioniert.

Kehren wir kurz zu der häufig zu findenden Position zurück, die Zerrissenheit in der Partei resultierte aus den vielen, in der Satzung vorgesehenen Zusammenschlüssen und sogenannten, in Satzung und Programm nicht fixierten, Strömungen. Die Vielzahl der Zusammenschlüsse ist nicht unproblematisch. Schaut man sich deren Geschichte seit 1989/90 an – die KPF existiert seither –, so könnte man leicht zu dem Schluss gelangen, dass so mancher Zusammenschluss gegründet wurde, um einen anderen aus dem Feld zu räumen. Da nicht wenige von uns von Anbeginn in diese Prozesse involviert waren, ließe sich diese Feststellung leicht belegen. Die KPF hat jedoch diese Polemik nie geführt und wir werden das auch heute nicht tun. Der Grund dafür: Nachdem die Strukturen der SED auch mit Hilfe der Zusammenschlüsse zerschlagen waren, Fraktionsbildung war ja in der SED undenkbar, hatten auch die neuen Kader – die durchaus manchmal die alten waren – ein Interesse an der Möglichkeit, so widerstandsfrei wie möglich zu agieren. Und so gab es immer wieder Vorstöße, die Rechte der Zusammenschlüsse zu beschneiden beziehungsweise sie abzuschaffen. Das wollten wir nie. Deshalb war uns das solidarische Miteinander der Zusammenschlüsse stets sehr wichtig. Und es gibt keine Solidarität, wenn man sich gegenseitig das statutarisch vorgesehene Existenzrecht abspricht. Hinzu kommt, und das ist wesentlich: Auch die Vielzahl der Zusammenschlüsse erzeugt nicht die Zerstrittenheit der Partei. Um es konkret zu machen: Eine Forderung nach Waffenlieferungen seitens der stellvertretenden Parteivorsitzenden Katina Schubert oder ebenso von Ministerpräsident Bodo Ramelow, für den zudem die »NATO-Frage« »geklärt« ist, oder auch eine Reise der Bundestagsabgeordneten Caren Lay nach Taiwan spalten die Partei mehr als die Existenz aller Zusammenschlüsse. Mit anderen Worten: Nicht die aufgrund unterschiedlicher Sozialisation von Ost- und Westmitgliedern existierenden Unterschiede sind maßgeblich für innerparteiliche Konflikte, nicht die Zusammenschlüsse erzeugen Zerrissenheit, sondern konträre Positionen, die – ausgewählt – nachfolgend noch einmal skizziert werden sollen.

Preis des Regierens

Spätestens Mitte der 1990er Jahre begann in der seinerzeitigen PDS die Auseinandersetzung darüber, ob die Partei in erster Linie eine oppositionelle sein sollte, oder ob das Bestreben, an Regierungen teilzunehmen, wichtiger sei, weil dort mehr bewirkt werden könne. Dieser Streit betraf die Kommunalpolitik nicht. Hinsichtlich der Teilnahme an Landesregierungen hat sich die normative Kraft des Faktischen ebenso durchgesetzt wie die Analyseverweigerung. Über Vorteile des Mitregierens wird geredet. Über Negativfolgen eher nicht. Das elementare Problem ist nunmehr auch seit Jahrzehnten das Streben nach der Regierungsbeteiligung im Bund. Warum? Im Bund kann nur mitregieren, wer die Staatsräson der BRD, also auch ihre Bündnisverpflichtungen etwa in der NATO, akzeptiert und im gegebenen Falle zu erfüllen bereit ist. Um es unumwunden zu sagen: Wer in die Bundesregierung will, kann nicht gegen die NATO sein, muss Auslandseinsätze der Bundeswehr akzeptieren und letztlich auch die ökonomischen, politischen und ideologischen Konsequenzen, die daraus resultieren. Keines der bisherigen Parteiprogramme der PDS und seit 2007 der Linkspartei erlaubt eine solche Position. Die ununterbrochenen Vorstöße seit 1996, an dieser Programmatik etwas zu ändern, stellen immer wieder die Identität der Partei infrage, sowohl ihren friedenspolitischen Charakter als auch ihren sozialistischen Anspruch. Das konnte nicht ohne Auswirkungen auf die innerparteiliche Situation bleiben.

Bis etwa 2014/2015 drehte sich die Auseinandersetzung um die friedenspolitischen Grundsätze der Partei primär um das Thema der sogenannten Einzelfallprüfung. Deren Befürworter suggerierten, auch sie seien gegen Auslandseinsätze. Irgendwann haben sie dann den Begriff der Kampfeinsätze eingeführt, der die Auslandseinsätze harmloser erscheinen ließ. Aber, so schränkten sie ein, es könne Situationen geben, wo im Einzelfall geprüft werden müsse, so bei Völkermord, ob einem Militäreinsatz nicht aus humanitären Gründen zugestimmt werden müsse. So näherten sie sich unausgesprochen dem Menschenrechtsimperialismus an. Die Einzelfallprüfung erhielt dagegen nie eine Mehrheit auf Parteitagen.

Seit der gewachsenen Aggressivität der USA und ihren Vasallenstaaten gegen China und Russland ist das Thema der Einzelfallprüfung nicht vom Tisch. Aber das Verhältnis zur NATO ist zum Schwerpunkt der Auseinandersetzung um die friedenspolitischen Grundsätze der Partei geworden. Und das hörte sich spätestens seit der Eingliederung der Krim in die Russische Föderation bis zum 24. Februar 2022 wie folgt an: Heutzutage sind alle mächtigen Staaten imperial beziehungsweise imperialistisch. Deshalb bedarf es nicht nur der Distanz zum Beispiel zu den USA, sondern auch zu China und Russland. Äquidistanz ist sozusagen das Gebot der Stunde. Auf diese anscheinend gesellschaftspolitisch objektive Art und Weise erfolgte schleichend – und darum geht es eigentlich – eine Verharmlosung der NATO.

Ein Herz für die NATO

Mit Beginn des Ukraine-Krieges endet nunmehr auch diese Phase der seit mehr als einem Vierteljahrhundert andauernden Bestrebungen, die friedenspolitischen Grundsätze der PDS beziehungsweise der Linken zu schleifen. Nimmt man den Erfurter Parteitag vom Juni 2022, so wurde dort von der Parteitagsregie alles getan, den Eindruck entstehen zu lassen, es gäbe wohl kaum einen aggressiveren Staat auf dieser Erde als die Russische Föderation. Dieser Eindruck sollte und soll vor allem durch Entkontextualisierung erzeugt werden. Mit dem völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine sei die Vorgeschichte unwesentlich geworden. Die Gründe, die zum Krieg führten, sind in der Partei durchaus akzeptiert worden, wie der Beschluss »Auch für den Ukraine-Konflikt gilt: Internationale Solidarität« aus dem Jahr 2014 belegt. Doch inzwischen meinen die sogenannten progressiven Linken sowie Teile der Bewegungslinken, die NATO-Osterweiterung sei keine Bedrohung Russlands. Damit muss man die sicherheitspolitischen Interessen Russlands auch nicht ernst nehmen. Wer diese Position einnimmt, hält die NATO irgendwann für friedensstiftend.

Dass das nicht übertrieben ist, verdeutlicht ein Punkt in einem vom Parteivorstand selbst eingereichten Änderungsantrag zum Leitantrag des Parteivorstandes L03 »Keine Aufrüstung, kein Krieg. Für eine neue Friedensordnung und internationale Solidarität«, der in Erfurt mehrheitlich angenommen wurde. In diesem Änderungsantrag L03.172.1 heißt es unter anderem: »Welche Maßnahmen sind aus unserer Sicht sinnvoll, Ländern wie Moldawien oder Georgien, die real von einem aggressiven Nachbarn militärisch bedroht sind, auch ohne NATO tatsächliche Sicherheit zu bieten?« In dieser Frage steckt unumwunden die Feststellung, mit der NATO gäbe es tatsächliche Sicherheit. Mit dem geltenden Parteiprogramm hat das nichts mehr zu tun. Kurz gesagt: Während bis zum 24. Februar 2022 der gleiche Abstand zu Russland und China einerseits und zu den USA und der NATO andererseits gewahrt werden sollte, unterstellt Udo Wolf US-Präsident Biden mittlerweile, dass der keine militärischen Konflikte wolle. Und Katja Kipping räsoniert, ebenso wie Bodo Ramelow, über eine Neuaufstellung der Linkspartei in Sachen NATO.

Friedensfrage

Diese Kernpunkte der Auseinandersetzung um die friedenspolitischen Grundsätze unserer Partei machen das Wesen dessen aus, was dann als Querelen, innerparteiliches Gezänk u. ä. bezeichnet wird. Oder aber es wird personalisiert: Personen zankten sich und sollten damit mal aufhören, damit es der Partei wieder gut geht. Oder die Anstifter der Polarisierungen sollten gehen. Tunlichst wird vermieden, über grundlegende inhaltliche Differenzen zu reden. Denn diesbezüglich müssten die sogenannten progressiven Linken und Teile der Bewegungslinken hinsichtlich der Friedensfrage damit rechnen, dass sie nicht in der Mehrheit wären.

Mit dem kryptischen Gerede über Querelen u.  ä. kann Stimmung gemacht werden. Stimmungen sind immer eine »gute« Grundlage für Manipulationen. Und die Partei soll manipuliert werden, ja zu sagen zu einem die NATO letztlich bejahenden Kurs. Der Friedensaktivist Jürgen Wagner hat in seinem jüngsten Buch »Im Rüstungswahn. Deutschlands Zeitenwende zu Aufrüstung und Militarisierung« dafür treffende Worte gefunden, indem er ausgehend vom Ukraine-Krieg formulierte, es sei erschreckend, wie angesichts des »zweifelsfrei völkerrechtswidrigen Angriffes (Russlands) bei Teilen der Linken friedenspolitische Vorstellungen wie ein Kartenhaus zusammenbrachen und sie blitzschnell ins Lager der ›eigenen‹ Militaristen überliefen«.¹

Diejenigen in der Linkspartei, auf die diese Charakterisierung Wagners zutrifft, träumen wohl immer noch von einer Regierungsbeteiligung im Bund, und sei es mit einer Bellizistin wie Baerbock. Über diese Träume – für die Partei sind es eher Alpträume – nähern wir uns dem Zustand, nicht mehr in den Bundestag zu kommen.

Anmerkungen:

1 Siehe für einen Auszug aus Jürgen Wagners Buch »Im Rüstungswahn. Deutschlands Zeitenwende zu Aufrüstung und Militarisierung« die jW-Themaseiten vom 1.11.2022: »Fabriken des Todes«. Siehe zudem Jürgen Wagners kürzlich erschienene Analyse »Deutschland soll führen« (junge Welt, 18.4.2023).

Stephan Jegielka gehört dem Bundessprecherrat der Kommunistischen Plattform innerhalb der Partei Die Linke an.

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  • Leserbrief von M.Lücke aus berlin (27. April 2023 um 10:40 Uhr)
    Es gibt mehr als nur russenfreundlich oder rechtsextrem. Der Artikel macht es sich viel zu einfach. Nicht jeder, der Russland einen aggressiven Imperialismus attestiert, ist ein Nazi. Die Toten des Zweiten Weltkriegs sind auch mitnichten Legitimation für heutige russische Angriffskriege, ob in der Ukraine, Georgien, Tschetschenien, Afghanistan oder Bombardements in Syrien. Russland ist kein Heilsbringer und kaum jemand denkt das zeitgleich von den USA. Russland versucht unverhohlen sein altes Reich wieder aufzubauen und schwadroniert von den Rechten alter Zaren und Kaiserinnen. Die »Vorgeschichte außer Acht lassen« verschweigt immer die russischen Aggressionen seit der Implosion der Sowjetunion.
  • Leserbrief von Lothar Böling aus Düren (26. April 2023 um 23:01 Uhr)
    Wer auf der Höhe der Zeit agieren will, sollte Fakten beachten und nicht auf billige NATO-Propaganda hereinfallen. Von deutschem Boden sind bereits zwei Weltkriege ausgegangen. Die Erkenntnis für die deutsche Arbeiterbewegung nach dem Ersten Weltkrieg lautete: »Nie wieder Krieg!« und nach dem Zweiten Weltkrieg: »Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!« Daran hat sich nichts geändert. Angesichts der Tatsache, dass Deutschland im letzten Weltkrieg für 56 Millionen Tote verantwortlich zeichnet, davon 27 Millionen Sowjetbürger, sind deutsche Waffenlieferungen in die Ukraine erneut ein verbrecherischer Akt. Denn Kriege fallen nicht vom Himmel, sondern werden von langer Hand vorbereitet. Nicht anders verhält es sich mit dem Stellvertreterkrieg der NATO in der Ukraine. Dass Russland am 24. Februar 2023 in die Ukraine einmarschiert ist, daran besteht kein Zweifel. Ursache für diesen militärischen Konflikt aber ist die seit 1999 betriebene NATO-Osterweiterung, von 16 auf 30 Länder, also das Vorrücken von NATO-Truppen über 1.000 Kilometer, bis an Russlands Grenze. US-Raketen für einen atomaren Erstschlag wären in wenigen Minuten in Moskau. Eine solch aggressive Vorgehensweise der NATO, der größten Angriffsarmee der Welt, ist eine ernste Bedrohung. Wäre Russland nicht das größte Land der Erde und hätte es keine Atomwaffen, wäre Putin längst Geschichte; so wie Saddam Hussein im Irak und Gaddafi in Libyen. Seit Jahren setzt der US-Imperialismus auf bezahlte Regimekritiker, Hetzpropaganda und organisierten Regime-Change. Was bereits in vielen Ländern gelang, erfolgte 2014 mit dem »Euromaidan« auch in der Ukraine: Ein blutiger Regimewechsel mit Hilfe nationalistischer und faschistischer Kräfte. Der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch wurde zum Rücktritt gezwungen und musste fliehen. Installiert wurde eine US-Marionettenregierung, deren aktueller Hauptdarsteller der gut bezahlte Exkomiker Selenskij ist. Für Belarus (Tichanowskaja) und Russland (Navalny) war ähnliches geplant.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marc P. aus Cottbus (26. April 2023 um 18:16 Uhr)
    Glaubt noch irgendjemand ernsthaft, dass man die Mehrheit in der Partei »Die Linke«, die eine sozialistische Gesellschaft im Sinn hat, mit allen daraus erwachsenen Konsequenzen für die praktische Politik der Partei und ihre programmatische Ausrichtung, noch irgendwie mit dem in Übereinstimmung bringen kann, was »progressive« und Teile der »bewegten« Linken sich zum Ziel gesetzt haben? Während die Partei langsam in der Bedeutungslosigkeit versinkt, wird lamentiert, bedauert, gestritten – noch, hier und da – und sich gegenseitig die bürgerliche Presse auf den Hals gehetzt. Wem nutzt das? Sicher nicht der Partei, und schon gar nicht der Sache. Man hat jetzt die Wahl, sich ehrlich zu machen und grundlegende Richtungsentscheidungen zu treffen oder der vom Richtungskampf gelähmten Partei die Sterbebegleitung zu machen. Egal, in welche Richtung sich die Partei danach entwickeln wird, ob als eine konsequent antikapitalistische und den (traditionellen) Werten der Linken verpflichtete oder, im Gegenteil, zu einer weiteren Spielart einer irgendwie noch links orientierten bürgerlich-liberalen Partei, wird diese dann vorerst nur noch in wenigen Länderparlamenten und wohl nicht mehr im Bundestag vertreten sein. Aber eine radikale linke Alternative wird in jedem Fall eine höhere Relevanz und Attraktivität besitzen als ein linker Abklatsch der Grünen oder der SPD. Letzteres braucht nun wirklich niemand.
  • Leserbrief von Peter Groß aus Bodenseekreis (25. April 2023 um 09:10 Uhr)
    In der anarchistischen Arbeiterzeitung »Der Drache« (Berlin, 1972) lautete eine Schlagzeile »Freiheit ohne Sozialismus ist Privilegium und Ungerechtigkeit - Sozialismus ohne Freiheit ist Unterdrückung und Sklaventum«. Das Verständnis für Freiheit, Frieden, Gleichheit fehlt in Abhandlungen von Aust, Kraushaar, Bundeszentrale für pol. Bildungsarbeit, in Kriegsgesängen der Frauen und Mütter im Bundestag oder ÖRR-Medien. Dort werden, wie von Pia Lamberty (staatlich wohlwollend finanziert), Verschwörungsmythen gegen Andersdenkende gestrickt und vorverurteilt was das Zeug hält. Wofür stehen Die Linke Militaristen? Wer 18 bis 65jährige zum Kriegsdienst zwingt, ist enthemmter Blutsäufer. Ob er Putin, Selenskij, Biden, Scholz heißt - ist egal. Freiheit definieren streikende Lkw-Fahrer aus Georgien, Rumänien Usbekistan anders als 450 Euro monatlichen Mindestlohn für wochenlange Zwölfstundenfahrten, Parkplatzkantine, Lohnraub oder in Flaschen pinkeln. Wer in Spanien, Italien, auch Deutschland unbezahlte Frohndienste leistet, unter Überwachung faschistoider Schlägerbanden seine Meinung nicht äußern darf, weil er dann mit Gewalt bis zum Totschlag bedroht wird (frontal, zdf 18.04.2023) sieht die EU-Welt mit anderen Augen. EU-Polen dürfte Marktführer im Handel mit Arbeitssklaven und Menschenhandel sein. »Insbesondere bei Fahrerinnen und Fahrern aus Drittstaaten, deren Aufenthaltsrechte an ihre Arbeitsverträge gekoppelt sind, entstehen zusätzliche Abhängigkeiten von den Arbeitgebern. Hier findet Ausbeutung in besonderem Maße statt«, sagte Gewerkschafter Kocsis. Ob Pflege, Fleischverarbeitung, Transportgewerbe oder dem Handel, mit von Leihmüttern ausgetragenen Adoptivkindern (Ukraine), es fehlt die Freiheit nein zu sagen. Wir sind vor Jahrzehnten auf die Straße gegangen als die USA Vietnam bombardierten, die UdSSR die CSSR besetzte, für Gefangene in sowjetischen, Deserteure in US-amerikanischen Gefängnissen. Wir werden Mörder immer Mörder nennen, gleich welcher Ideologie sie angehören.

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