4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 07.02.2024, Seite 8 / Ausland
Asylsuchende im Visier

»Wir sehen eine Verhärtung der Politik«

Pro Asyl kritisiert Flughafenasylverfahren und Abschiebungen in den Iran. Ein Gespräch mit Wiebke Judith
Interview: Gitta Düperthal
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Protest vor den Schaltern der Lufthansa am Frankfurter Flughafen gegen Abschiebeflüge in den Iran (6.4.2023)

In Hessen ist am Frankfurter Flughafen ein Iraner nach einem Flughafenasylverfahren akut davon bedroht, in das Land, aus dem er floh, abgeschoben zu werden. Pro Asyl fordert, Abschiebungen dorthin generell zu stoppen. Wie konkret ist die Gefahr für den Mann?

Seit 2023 hat sich die problematische Menschenrechtslage im Iran weiter verschärft. In den vergangenen Tagen wurden fünf kurdische Männer hingerichtet. Der Staat greift zur Todesstrafe, um politische Oppositionelle zu unterdrücken. Die Bundesregierung kann niemandem, der aus Deutschland abgeschoben wird, garantieren, dass er, im Iran angekommen, nicht willkürlich inhaftiert und im Gefängnis gefoltert werden könnte. Da Personen im Flughafenverfahren als »nicht eingereist« gelten, handelt es sich rechtlich um eine Zurückweisung, nicht um eine Abschiebung. Die Konsequenz für die betroffene Person ist die gleiche: Deutschland liefert sie dem Ajatollah-Regime aus. Zu den näheren Umständen möchte ich in dem Fall nichts sagen. Es könnte den Betroffenen zusätzlich gefährden. Klar ist, dass er große Angst vor seiner Rückführung hat.

Wer kann diese noch verhindern?

Das Verfahren liegt dem Gericht noch vor. Im Fall solcher Eilverfahren kann aber nach der Entscheidung die Rückführung jederzeit erfolgen. Die Bundesregierung und das Bundesinnenministerium müssen intervenieren. Ende 2023 lief der Abschiebestopp in den Iran aus. Die Innenminister der Länder wurden sich nicht einig, ihn zu verlängern.

Mit welcher Begründung?

Das geschah einfach. Bundesweit betrifft das mehr als 9.700 »Aus­reise­pflichtige«, davon über 8.600 mit einer Duldung; allein in Hessen mehr als 1.100. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes, der hierzu üblicherweise herangezogen wird, bezieht sich auf 2022 und ist veraltet. Anders als etwa zur Lage in Syrien verlangte die Innenministerkonferenz nicht, einen jeweils halbjährlich aktualisierten Bericht zum Iran vorzulegen. Wir können das nicht nachvollziehen.

Die Lage dort ist seit dem Tod von Jina Mahsa Amini und den darauffolgenden Protesten im Land bis heute von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen geprägt, darunter von willkürlichen Verhaftungen, grausamer Folter in den Gefängnissen und Hinrichtungen. Laut Menschenrechtsorganisation Hengaw wurden im Jahr 2023 mindestens 829 Personen hingerichtet. 2022 waren es 582. Im neuen Jahr waren es laut Iran Human Rights allein im Januar 67 Personen. Eine weitere Eskalation ist zu beobachten.

Das Flughafenasylverfahren selbst wird seit seiner Einführung vor 30 Jahren ständig von Menschenrechtsorganisationen kritisiert.

Es ist ein verkürztes, auf schnelle Ablehnung ausgerichtetes Verfahren, das aus unserer Sicht nicht fair ist. Wir sehen immer wieder Ablehnungen, die so im normalen Verfahren nicht ergehen würden. Oft sind gerade erst im Transitbereich des Flughafens angekommene Menschen noch nicht in der Lage, über ihr Fluchtschicksal zu berichten. Die Entscheidung als »offensichtlich unbegründet« muss aber innerhalb von zwei Tagen erfolgen.

Sie konstatieren Versagen an allen Ecken: vom Auswärtigen Amt über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz BAMF, bis zur Innenministerkonferenz.

Alle sind in der Pflicht, tätig zu werden. Es darf weder sein, dass das Auswärtige Amt die Lageberichte im Iran nicht aktualisiert; noch darf das BAMF auf veralteter Faktengrundlage entscheiden. Die Innenministerkonferenz der Länder muss den Abschiebestopp verlängern.

Könnte das Vorgehen im Zusammenhang mit dem Rechtstrend und einer immer dreister agierenden AfD stehen?

Wir sehen auf jeden Fall eine Verhärtung der Politik. Die Ampelregierung hat gerade ein repressives Abschiebungsgesetz verabschiedet. Wenn Außenministerin Annalena Baerbock zwar die »Brutalität des Regimes« anprangert, ihr Ministerium aber den entscheidenden Lagebericht nicht aktualisiert, ist das zynisch. Und: Innenministerin Nancy Faeser muss konsequent für die Einreise schutzsuchender Iranerinnen und Iraner eintreten.

Wiebke Judith ist rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl

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