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Aus: Ausgabe vom 07.02.2024, Seite 7 / Ausland
Nahostkonflikt

Kein Ort mehr sicher

Krieg gegen Gaza: Süden des Küstenstreifens unter Beschuss. Zahlreiche getötete Zivilisten, Vertriebene leiden Hunger
Von Gerrit Hoekman
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Mit dem letzten Hab und Gut: Palästinenser am Strand von Rafah im Süden des Gazastreifens (6.2.2024)

Der ägyptische Präsident Abdel Fattah Al-Sisi hat am Dienstag den US-amerikanischen Außenminister Antony Blinken in Kairo empfangen. Ägypten ist tief besorgt über eine Ausweitung der Kämpfe auf den Grenzort Rafah. Dort hat mehr als die Hälfte der Bevölkerung von Gaza Zuflucht vor den Bombardements der israelischen Armee gesucht. Israel könnte nun verängstigte palästinensische Zivilisten über die Grenze ins Nachbarland treiben – ein Szenario, das Kairo unter allen Umständen verhindern will. Am Mittwoch wird Blinken das israelische Kriegskabinett persönlich über das Ergebnis seiner Reise nach Saudi-Arabien und Ägypten unterrichten.

Der israelische Verteidigungsminister Joaw Gallant hatte laut dpa am Montag abend angekündigt, die Armee werde bis zur ägyptischen Grenze vordringen. »Jeder Terrorist, der sich in Rafah versteckt, sollte wissen, dass er ebenso enden wird wie diejenigen in Khan Junis und Gaza-Stadt«, drohte Galant israelischen Medien zufolge. »Gut die Hälfte der Hamas-Terroristen ist tot oder schwer verwundet.« Kairo warnte umgehend, ein israelischer Militäreinsatz entlang der Grenze werde den Friedensvertrag gefährden, den die beiden Länder vor mehr als 40 Jahren unterzeichneten.

»Jegliche Militäreinsätze in Rafah – mit seinem begrenzten Raum und der Überfüllung mit über 1,5 Millionen von der israelischen Armee vertriebenen Palästinensern – würden zu brutalen Massakern führen, die in der modernen Geschichte beispiellos sind«, sagte der palästinensische Politiker Mustafa Barghuthi am Dienstag laut dem TV-Sender Al-Dschasira voraus. Rafah platzt aus allen Nähten. Die neu Ankommenden schlagen ihre Zelte direkt am Grenzzaun zu Ägypten auf, berichtete die palästinensische Nachrichtenseite Maan am gleichen Tag. »Es gibt kein Essen und Wasser nur über eine ägyptische Wasserleitung«, sagte eine Frau gegenüber Maan. Ägypten hat auch eine Stromleitung ausgebaut, damit die Menschen ihre Mobiltelefone aufladen können.

Mittlerweile sind zwei Drittel des Gazastreifens auf israelischen Befehl hin evakuiert worden. 85 Prozent der Bevölkerung sind auf der Flucht. Die Versorgungslage ist katastrophal. Ein Viertel der Menschen leidet Hunger. »In Fortsetzung der internationalen Bemühungen Jordaniens, die Entsendung humanitärer Hilfe und Hilfsgüter an die Menschen im Gazastreifen zu organisieren und zu unterstützen, haben die jordanischen und die niederländischen Streitkräfte am Montag abend zwei gemeinsame Luftabwürfe mit C-130-Flugzeugen durchgeführt«, teilte Amman laut Maan mit. Die Güter seien in Boxen verstaut gewesen, die an GPS-gesteuerten Fallschirmen hingen.

»Kein Ort ist sicher, überhaupt kein Ort. Wohin sollen wir gehen?« zitierte die ägyptische Tageszeitung Al-Ahram online einen verzweifelten Vater. In der Nacht von Montag auf Dienstag wurden mindestens weitere 99 Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder, getötet, teilte das Gesundheitsministerium in Gaza mit. Die Zahl der seit dem 7. Oktober getöteten Palästinenser beläuft sich inzwischen auf 27.585. Mindestens 67.000 wurden verletzt. Die Angaben der Behörde haben sich nach Ansicht der UNO in der Vergangenheit als glaubwürdig erwiesen.

In Khan Junis soll die israelische Armee in erbitterte Gefechte mit den Kuds-Brigaden des Islamischen Dschihads verwickelt sein, berichtete Al-Dschasira am Dienstag. Die israelische Armeeführung vermutet in der zweitgrößten Stadt in dem Küstenstreifen die unterirdische Kommandozentrale der Hamas und auch ihren Anführer in Gaza, Jahja Sinwar. Die Armee hofft dort auch die von der Hamas noch festgehaltenen über 100 Geiseln zu finden. Vor einigen Wochen hatte Israel Khan Junis noch zur »sicheren Zone« für Zivilisten erklärt.

Das mittelamerikanische Land Nicaragua hat unterdessen die Regierungen Großbritanniens, Deutschlands und weiterer Länder aufgefordert, die Förderung des Palästinahilfswerks UNRWA wiederaufzunehmen und Lieferungen von Waffen an Israel einzustellen. Ansonsten müssten sie sich darauf gefasst machen, vom Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Völkermord belangt zu werden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (7. Februar 2024 um 07:06 Uhr)
    Die »wertegeleitete« deutsche Außenpolitik sabotiert inzwischen die Hilfe für die Hungernden, indem sie die deutschen Zahlungen für die UNWRA blockiert. Wie tief unser Land inzwischen wieder gesunken ist! Man wird das im Nahen Osten nicht vergessen: Ägypten liefert Strom und Wasser, Deutschland Heuchelei.

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