4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 07.02.2024, Seite 7 / Ausland
Tödliche Pushbacks

Zehn Jahre Staatsverbrechen

Pushbacks: Beschwerde gegen Spanien beim UN-Ausschuss gegen Folter eingereicht
Von Carmela Negrete
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Wütender Protest: Schon vor zehn Jahren gingen Menschen gegen illegale Pushbacks auf die Straße (12.2.2014)

Am Sonnabend haben Hunderte Aktivisten in Ceuta demonstriert und eine Konferenz abgehalten. Sie erinnerten damit an den tödlichen Einsatz der Guardia Civil am 6. Februar 2014 an der Grenze zur spanischen Exklave, bei dem 15 Menschen starben und weitere verletzt wurden. Bis heute wurde kein einziger Verantwortlicher zur Rechenschaft gezogen, weder von der paramilitärischen Polizei Guardia Civil noch von Offizieren oder gar politischen Verantwortlichen. Am Strand El Tarajal, der zwischen Marokko und Ceuta liegt, wurden an jenem Tag Schutzsuchende, die sich im Meer befanden, mit Tränengas und Gummigeschossen angegriffen.

»Vor 10 Jahren ertranken hier am Strand 14 Menschen, weil die Guardia Civil Gummigeschosse auf sie abfeuerte und mit allen Mitteln versuchte, sie davon abzuhalten, die Küste zu erreichen«, verlasen die Aktivisten aus einem Manifest. Und weiter: »Die Tragödie von Tarajal ist kein isolierter Fall, sondern Teil eines perversen, rassistischen, kolonialen und weißen Suprematistensystems, das schwarze Körper, nordafrikanische Leben, Migrantenleben verachtet und tötet, ihre Todesfälle nicht untersucht und nichts tut, um zu verhindern, dass sie sich wiederholen.« Auch das Jahr 2023 habe mit mehr als 6.600 Opfern geendet, die beim Versuch, die spanischen Küsten zu erreichen, starben.

Im Manifest fordern sie außerdem ein Ende des »Neokolonialismus in der Entwicklungszusammenarbeit, der der Kontrolle und Externalisierung von Grenzen dient«, auch die Instrumentalisierung und Ausbeutung von Schutzsuchenden solle aufhören. Die rund 200 Organisationen, die das Manifest unterstützen, sprechen weiter davon, dass der »Europäische Pakt für Migration und Asyl« mit den Menschenrechten unvereinbar ist und dazu führen wird, dass sich solche Fälle wie in Tarajal wiederholen. »Die Grenzen bleiben Orte ohne Rechte und des Todes, und es gibt immer noch keine legalen und sicheren Wege«, stellen sie fest. Und im Fall von Tarajal: »Noch heute kennen die Familien der Opfer die Wahrheit nicht, werden nicht entschädigt und anerkannt und können ihre Liebsten nicht würdevoll verabschieden.«

Seit zehn Jahren warten die Angehörigen der Opfer und die Opfer selbst vergeblich auf Gerechtigkeit. 16 Beamte wurden angeklagt, doch die spanische Justiz hat den Fall bereits dreimal archiviert. Auch deshalb wird nun mit Hilfe der Vereinten Nationen versucht, dieses Verbrechen aufzuklären. Die Berliner Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) unterstützt dabei eines der Opfer, Ludovic N., der im Januar eine Beschwerde beim Ausschuss gegen Folter der Vereinten Nationen eingereicht hat. Der damals Minderjährige überlebte den Überfall ebenso wie 400 andere Schutzsuchende. Er wurde damals von den spanischen Autoritäten umgehend auf marokkanisches Territorium abgeschoben. Die Praxis solcher sogenannter Pushbacks ist illegal. Sie verhindert, dass Personen einen Asylantrag stellen können, und gefährdet somit Leben. In einer Pressemitteilung des ECCHR erklärt die Organisation, dass im März 2019 in Berlin »erstmals eine der Überlebenden per Videokonferenz« aussagen konnte. N. jedoch wurde an einer Aussage gehindert und bis heute nicht angehört.

Währenddessen kommen in Spanien weitere Schutzsuchende über das Meer an. Am Montag allein 200 Menschen, darunter Kinder. Auch im vergangenen Jahr kamen auf diesem immer gefährlicheren Weg 55.600 Menschen an. Die NGO Caminando Fronteras betreibt einen Notrufdienst für Menschen in Seenot und prangert seit Jahren an, dass die Rettungsdienste Spaniens und Marokkos ihre Pflichten vernachlässigen und Rettungsaktionen zu spät oder gar nicht einleiten. Vermehrte Kontrollen an der Küste von Senegal und Mauretanien führen außerdem dazu, dass verzweifelte Schutzsuchenden eine noch gefährlichere Route in Richtung der kanarischen Insel El Hierro nehmen.

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