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Aus: Ausgabe vom 06.02.2024, Seite 7 / Ausland
Nachruf

Diplomat für die Freiheit

Namibia: Eine der führenden Stimmen der SWAPO ist verstummt. Zum Tod des Präsidenten Hage Geingob
Von Christian Selz, Kapstadt
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Unbestechliche antkoloniale Stimme: Der verstorbene namibische Präsident Geingob (Pretoria, 25.5.2019)

Wäre es nach dem südafrikanischen Apartheidregime gegangen, hätte Hage Geingobs Leben ein frühes und jähes Ende genommen. Weil er das rassistische Bildungssystem nicht mittragen wollte, hatte Geingob seine junge Lehrerlaufbahn nach nur einem Jahr abgebrochen und war aus seiner Heimat, dem damals von Südafrika besetzten Südwestafrika, ins Nachbarland Botswana geflohen. Im August 1963 sollte er mit einem von der südafrikanischen Befreiungsbewegung African National Congress (ANC) gecharterten Flugzeug nach Daressalam fliegen. Doch der südafrikanische Geheimdienst sprengte die Maschine.

Sein Leben verdankte der spätere Präsident Namibias Geingob einzig der Tatsache, dass die Bombe früher als beabsichtigt explodierte, als das Flugzeug noch leer auf dem Rollfeld stand. Geingob wurde so zunächst Repräsentant seiner Partei South West African People’s Organisation (SWAPO) in Bots­wana und arbeitete schließlich mehr als zwei Jahrzehnte als wichtigster Diplomat der Befreiungsbewegung bei der UNO in New York. Am Sonntag starb Namibias Staatspräsident im Alter von 82 Jahren in einem Krankenhaus in der Hauptstadt Windhoek.

Namibias Befreiungskampf, den die SWAPO nach einer gescheiterten Klage beim Internationalen Gerichtshof ab 1966 bewaffnet führte, war stets mit dem politischen Ringen um Anerkennung bei den Vereinten Nationen Hand in Hand gegangen. Geingob war dabei der wichtigste Diplomat. Ab 1964 fungierte er als Repräsentant seiner Organisation bei der UNO und blieb dort auch, nachdem er 1969 Mitglied des Zentralkomitees und des Politbüros der SWAPO geworden war. 1972 ging er als politischer Offizier ins UN-Sekretariat und wurde ab 1975 Direktor der Kaderschule United Nations Institute for Namibia im sambischen Lusaka.

Geingobs Wirken ist es maßgeblich mit zu verdanken, dass die Vereinten Nationen Südafrika zunächst 1966 das Mandat für Namibia entzogen und die Befreiungsorganisation schließlich 1976 zum alleinigen rechtmäßigen Repräsentanten des namibischen Volks erklärten. Dass das Apartheidregime in Pretoria sich den entsprechenden UN-Resolutionen widersetzen konnte, lag maßgeblich auch daran, dass es zunächst noch offen, später im Geheimen von westlichen Ländern unterstützt wurde. So lieferten beispielsweise westdeutsche Konzerne wie Rheinmetall oder Daimler trotz UN-Embargos noch in den 1980er Jahren Waffen oder militärisch genutzte Fahrzeuge an Südafrika. Die DDR, die Sowjetunion und Kuba unterstützten derweil den Befreiungskampf.

Nachdem die südafrikanische Armee Anfang 1988 mit wesentlicher Hilfe kubanischer Truppen in der Schlacht bei Cuito Cuanavale im Süden Angolas zurückgeschlagen worden war, musste Pretoria schließlich in einen Übergangsprozess zur Unabhängigkeit Namibias einlenken, der von der UNO überwacht wurde. Geingob kehrte im Folgejahr in sein Heimatland zurück und war maßgeblich an der Ausarbeitung der neuen demokratischen Verfassung beteiligt. Mit der Erreichung der offiziellen Unabhängigkeit am 21. März 1990 wurde er Premierminister unter dem SWAPO-Gründungspräsidenten und ersten demokratisch gewählten Präsidenten Namibias, Sam Nujoma. Seit 2015 war Geingob selbst Präsident Namibias.

Im Amt blieb er ein überzeugter Streiter für die tatsächliche Unabhängigkeit des namibischen Staates. Mehr als einmal äußerte er seinen Unmut über die Arroganz, mit der Berlin die Verhandlungen über eine Anerkennung des Völkermords an den Herero und Nama in seiner ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika und entsprechende Reparationen führte. Noch im Januar, als er seine Krebserkrankung bereits bekannt gemacht hatte, attestierte Geingob Deutschland aufgrund der ablehnenden Haltung der Bundesregierung gegenüber der von Südafrika vor dem Internationalen Gerichtshof angestrengten Völkermordklage gegen Israel eine »Unfähigkeit, Lehren aus seiner schrecklichen Geschichte zu ziehen«. Innenpolitisch blieb sein Werk der Befreiung Namibias aber zumindest auf ökonomischer Ebene unvollendet. An den aus Kolonial- und Apartheidherrschaft resultierenden Besitzverhältnissen hat sich bis heute mit einer der weltweit höchsten Ungleichverteilung von Einkommen und Reichtum wenig verändert. .

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