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Aus: Ausgabe vom 06.02.2024, Seite 2 / Ausland
»Weltwirtschaftsforum« in Davos

»Ski-Schickeria fühlte sich bedroht«

Schweiz: In Davos ging die Polizei gegen Demonstranten vor, die gegen das Weltwirtschaftsforum protestierten. Ein Gespräch mit Milica Kurtović
Interview: Alieren Renkliöz
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Protest gegen das 54. Weltwirtschaftsforum in Davos (14.1.2024)

Auf dem Fronttransparent, das Ihren Demozug Mitte Januar in Davos anführte, stand: »World Economic Failure. Climate Justice Now!« – Was kritisieren Sie am Weltwirtschaftsforum, WEF?

Wer kommt denn alljährlich zu diesem Treffen? Vertreter von Unternehmen, Banken und Versicherungen sowie Politiker. Wer den Eintrittspreis von mehreren zehntausend Schweizer Franken zahlen kann, darf mitmachen. Daran ist nichts demokratisch. Die Mächtigen verhandeln dort ihre Interessen, der Rest der Welt hat sich damit abzufinden. Man muss sich das einmal vorstellen, das ganze Dorf wird zum Weltwirtschaftsforum: Ladenräume weichen sogenannten Pop-up-Stores auf der Promenade, also »Showrooms« für die Öffentlichkeit, in denen Unternehmen und Länder sich präsentieren können. Das Geschäftliche findet in Hinterzimmern statt. Bis zu 5.000 Armeeangehörige waren dieses Jahr im Einsatz – zusätzlich zur Polizei aller Kantone. Da stellen wir uns schon die Frage, wie diese Veranstaltung die Krisen der Welt lösen soll, wenn die großen Profiteure des Systems die Geldgeber der Veranstaltung sind und eine so zentrale Rolle einnehmen.

Nachdem Sie im Rahmen der »Strike-WEF-Wanderung« von Küblis nach Davos gelaufen waren, fand am 14. Januar die Abschlusskundgebung auf dem »Davos Platz« statt. Wie verlief der Protest?

Die zu dem Protest aufrufende Organisation hatte im Vorfeld mit vielen Auflagen zu kämpfen, die Route musste kurzfristig geändert werden. Warum wird unsere öffentliche Kritik an dem Treffen nicht geduldet? An der Demonstration selbst beteiligten sich dann rund 350 Menschen. Im Anschluss versammelten wir uns mit einer kleineren Gruppe vor einem der Showrooms auf der Promenade. Dann wurden wir von der Polizei umzingelt.

Wie gingen die Behörden mit Ihnen um?

Willkürlich und teilweise brutal. Wir wurden abgeschirmt, von Zivilbeamten verfolgt. Menschen, die von der Abschlusskundgebung in Davos zur Abschiedsfeier am anderen Ende des Dorfes gingen, wurden anlasslos festgehalten und durchsucht. Vor einem der Showrooms äußerten wir spontan unsere Meinung, mit rund 15 Menschen. Wir standen auf dem Bürgersteig, hatten ein Banner und riefen zwei, drei Parolen, sonst nichts. Direkt wurden wir eingekesselt. Die Polizei riss die erste Person brutal zur Identitätserfassung aus der Gruppe, dabei wurden ihre Handgelenke verdreht und gedroht, die Schmerzgriffe zu verstärken – ohne Erklärung über den Grund der Behandlung. Die Polizei machte dann widersprüchliche Angaben, erst hieß es »zufällige Personenkontrolle«, dann »unangemeldetes Zusammenrotten«. Auch unbeteiligte Menschen, die von der angemeldeten Kundgebung auf dem Weg nach Hause waren, wurden mit in den Kessel gezogen. Am Ende waren fast 30 Menschen von der Polizei umzingelt.

Wie rechtfertigte die Polizei dieses Vorgehen?

Während der ganzen Maßnahme antworteten die Polizisten auf die Frage nach der Grundlage: »Meine Uniform legitimiert mich dazu«, »Willkommen in Davos« und »Das ist eine Befehlsausführung.« Eine Person hielt sich nach der ID-Kontrolle in einer Einfahrt versteckt, um auf ihre Freunde zu warten, weil sie sich allein nicht sicher fühlte. Die Polizei zerrte sie daraufhin auf die Straße. Ein Polizist drohte mit dem Einsatz von Reizgas und schubste die Person, die auf einer vereisten Fläche stand, nach vorn. Auf die Nachfrage, ob er verantwortlich für einen Genickbruch sein wolle, antwortete er: »Ja.«

Wie reagierten Passanten?

Anwohner und Skitouristen lachten uns aus, manche beschimpften uns. Auch als die Polizei zupackte, gab es keine Unterstützung: Man hat geglotzt und gefilmt. Während der Wanderung haben wir in einer Turnhalle übernachtet. Die ganze Nacht hämmerten immer wieder Menschen gegen die Scheiben, alle ein bis zwei Stunden wurde man wach davon. Die Ski-Schickeria fühlte sich wohl so bedroht, dass sie uns nicht eine Nacht ruhig schlafen lassen wollte. Aber von Reichen erwarten wir sowieso keine Solidarität.

Milica Kurtović ist Mitglied bei »Ende Gelände«, einem Zusammenschluss von Menschen aus der Antiatom- und der Antikohlebewegung

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