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Aus: Ausgabe vom 06.02.2024, Seite 7 / Ausland
Palästina

Gesetzloses Töten in der Westbank

Amnesty-Bericht dokumentiert außergerichtliche Hinrichtungen durch Israels Armee
Von Gerrit Hoekman
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Kopfschuss im Krankenbett: Tatort im Ibn-Sina-Krankenhaus in Dschenin (30.1.2024)

Während sich die mediale Aufmerksamkeit auf den Gazastreifen konzentriert, bleibt die Situation im Westjordanland häufig unter dem Radar. In einem am Montag veröffentlichten Bericht wirft Amnesty International (AI) der israelischen Besatzungsmacht nun vor, außergerichtliche Exekutionen zu verüben. Die Soldaten würden außerdem Sanitäter regelmäßig gewaltsam daran hindern, Verletzte zu versorgen. AI untersuchte drei Vorfälle aus dem Oktober und November, bei denen 20 Menschen rechtswidrig getötet worden seien, darunter sieben Kinder.

Erst am 30. Januar drang ein israelisches Kommando, als Ärzte und Patienten verkleidet, ins Ibn-Sina-Hospital in Dschenin ein und ermordete drei junge Palästinenser, die in einem Krankenzimmer schliefen. Einer von ihnen wurde dort wegen einer Lähmung der Beine behandelt, die anderen beiden wollten ihm Gesellschaft leisten, so das medizinische Personal. Laut israelischer Armeeführung hätten die Männer einen großen Anschlag geplant. Das reichte aus, um sie zu erschießen. Ohne Gerichtsurteil und ohne Möglichkeit einer Verteidigung. Für Aurel Sari hat das Kommando gegen internationales Recht verstoßen, weil es sich verkleidet hat, »um das Vertrauen des Gegners zu gewinnen und ihn dann zu töten oder zu verletzen«, erklärte der Professor für Völkerrecht an der Universität in Exeter gegenüber ABC News. »Die Regel ist Teil des Völkergewohnheitsrechts sowohl in internationalen als auch nicht internationalen bewaffneten Konflikten, was bedeutet, dass Israel daran gebunden ist.«

Menschenrechtsgruppen wie AI fordern den Internationalen Gerichtshof in Den Haag auf, endlich gegen das gesetzlose Verhalten der israelischen Besatzungsmacht einzuschreiten. Es geht nicht nur um außergerichtliche Exekutionen, sondern auch um exzessive Gewalt bei Festnahmen oder um die ungesetzliche Zerstörung von Häusern. Am Montag riss die israelische Armee das Haus einer palästinensischen Familie in der Nähe von Al-Khalil (Hebron) ein, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur WAFA. Sieben Menschen sind jetzt obdachlos. Besonders gefürchtet sind die Razzien, die oft bei Nacht stattfinden.

In Nur Schams, dem Flüchtlingslager von Tulkarem, dauerte eine Razzia am 19. Oktober laut WAFA sage und schreibe 30 Stunden. Bulldozer kappten im ganzen Lager Strom- und Wasserleitungen. 13 Palästinenser wurden getötet, darunter sechs Minderjährige. 15 Personen wurden festgenommen. Ein israelischer Soldat kam ebenfalls ums Leben, neun wurden verletzt. Während der Razzia durchsuchte und beschädigte die Armee mehr als 40 Häuser. Zu den Toten gehörte der 15 Jahre alte Mahamid Taha. Israelische Soldaten erschossen ihn vor dem Elternhaus, als er nachschauen wollte, ob die Israelis abgezogen waren. Drei Kugeln trafen den unbewaffneten Jungen. Ins Bein, in den Bauch und in den Kopf. Als ihn sein Vater in Sicherheit bringen wollte, wurde auch er durch Schüsse verletzt – obwohl er den Soldaten seine erhobenen, leeren Hände gezeigt habe, erzählte die Tochter AI. Der Vater überlebte schwerverletzt, sein Sohn starb. Zwölf Stunden später kehrten die Soldaten zurück und durchsuchten stundenlang das Haus der Familie. Am 3. Januar war Nur Schams WAFA zufolge erneut das Ziel einer Razzia mit Kampfdrohnen und Scharfschützen auf den Dächern der höchsten Gebäude – anderthalb Tage lang.

Die Razzien führen immer wieder zu meist friedlichen Protesten der Bevölkerung. Manchmal schmeißen Jugendliche Steine auf die Soldaten. Die Besatzungsmacht reagiert häufig mit scharfer Munition, auch wenn nach internationalen Standards der Tod von Demonstranten nur dann in Kauf genommen werden darf, wenn eine unmittelbare Gefahr für das Leben der Soldaten besteht. Scharfe Munition »ist keine angemessene Reaktion auf das Werfen von Steinen«, so AI. Als Besatzungsmacht ist Israel an die Genfer Konvention gebunden. Menschenrechtsgruppen zufolge hält sich Israel kaum noch daran.

Auch in der Nacht zu Montag überzog die israelische Armee die Westbank mit Razzien. 33 Personen seien verhaftet worden, berichtete der israelische Sender I 24 News. Seit dem 7. Oktober sind nach Angaben des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet und der israelischen Armee mehr als 3.000 Menschen festgenommen worden. .

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