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Aus: Ausgabe vom 27.09.2019, Seite 10 / Feuilleton
Christian Geissler

Der sture Blick

Als die Mauer fiel und die Deutschen vereint ihr wiedergewonnenes Joch unterm Kapital feierten, hatte Christian Geissler gerade eine Lesereise beendet, deren Termine er zu Solidaritätsveranstaltungen mit den RAF-Gefangenen erklärt hatte. Geissler, der Schriftsteller mit dem programmatischen (k) für »Kommunist« hinter dem Namen, stürzte der Untergang des Sozialismus nicht in die erwartbare Krise. Die Niederlagen der Linken, ihre verzweifelten Kämpfe, das immer wieder neue Aufstehen gegen die Ausbeutung, das Lernen aus dem Misslingen – das waren nicht erst seit dem 1988 erschienen Hauptwerk »kamalatta« seine Themen. Geisslers existentielles Verständnis des »krieg(s) der klasse« hätte aktueller nicht sein können. Dass es das bis heute geblieben ist, davon kann man sich etwa anhand der aktuellen Jahresgabe der Christian-Geissler-Gesellschaft überzeugen. Das dokumentiert das Romanfragment »wir erklären die feindschaft«, das nach einigem Hin und Her 1992 als »Sonntagsgeschichte« im Neuen Deutschland erschien.

Der Text war einer von vielen, mit denen Geissler in den Jahren 1989–1992 auf die Konterrevolution reagierte und beschreibt in elf Schlaglichtern das Verrücktwerden an den neuen Verhältnissen und das dennoch nicht Zurückstecken. Der Titel »wir erklären die feindschaft« meint nicht nur das Beharren auf dem Widerstand gegen den siegreichen Imperialismus, sondern auch das Verständlichmachen dieser vielen als wahnsinnig erscheinenden Entscheidung, wie Sabine Peters in ihrer instruktiven Einleitung schreibt. Gegen die verzagte Frage nach dem revolutionären Subjekt, schrieb Geissler 1989, helfe nur »der offne blick von menschen, die ihr menschliches leben leben wollen. Dieser sture blick, wenn wir ihn endlich heben, faßt auf, kreist ab, erkennt unvergeßlich den feind, das imperialistische subjekt.« – »Das ›wir‹ ist ein voluntaristischer Akt der Selbstbestimmung vieler einzelner.« (Peters).

Während Geissler in späteren Buchpublikationen die deutlich gekürzte Zeitungsfassung übernahm, präsentiert die Jahresgabe nun erstmals den ungekürzten Ursprungstext und dokumentiert die Abweichungen. Die Publikation kann gegen eine freiwillige Spende unter info@christian-geissler.net bestellt werden. (pm)

https://kurzlink.de/CGG_Jahresgabe_2019

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