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Aus: Ausgabe vom 25.07.2018, Seite 11 / Feuilleton

Özil, bitte tunneln

Kurze Zeit sah es am Montag so aus, als würde der Rücktritt von Mesut Özil aus der Nationalmannschaft zur Staatsaffäre, befeuert von rechten Politikern und Bild. Doch das Sommerloch kriegen sie so nicht weg. Aber es gibt ja noch Twitter für ein kleines bundesdeutsches Sittenbild.

Agrarministerin und Rassismusexpertin Julia Klöckner (CDU) fragt beim Kurznachrichtendienst: »Ist es wirklich Rassismus, wenn man die Unterstützung eines Diktators beklagt, der die Presse- und Meinungsfreiheit einschränkt? Oder ist es nicht Rassismus, reflexhaft die Kritik an der Diktatorunterstützung als deutschen Rassismus abzutun?« @tantetictac klärt sie auf: »1. Unterstützt die Regierung, der Sie angehören, diesen Diktator nicht nur per Foto, sondern mit Geld und Waffen! 2. Den Rassismus gegen Özil können Sie auf allen sozialen Medien nachlesen. Abschiebung und Tod wurden ihm gewünscht und angedroht! 3. Es gibt keinen Reverse Racism!«

Bernd Riexinger, Kovorsitzender der Linkspartei, äußert sich mit Blick auf den DFB-Sponsor: »Mercedes stellt die Zusammenarbeit mit Özil wegen der Erdogan-Fotos ein, liefert aber selbst Wagen und Material für Erdogans Krieg in Syrien. Mehr Doppelmoral geht nicht.« @fuchsbuerste zieht daraus die karrieretechnischen Konsequenzen: »Wäre Özil mal lieber Munitionsfabrikant geworden.«

Die Konsequenzen für das Leben von Migranten in der BRD reflektiert das Migazin: »Der Rücktritt Özils ist ein Wendepunkt. Viele Migranten erkennen in seinem Fall ihre eigene Lebensrealität. Sie erkennen, dass es für sie in Deutschland nie reichen wird, wenn sogar ein Weltmeister es nicht schafft, akzeptiert zu werden.«

@supaheld weist auf die bayerischen Verhältnisse hin: »Bitte bedenken, dass sich die komplette Mannschaft des FC Bayern mit Söder hat fotografieren lassen, und keiner von denen musste sich für die asoziale CSU-Politik rechtfertigen.« Für die Kritik von FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß bietet ­@voelligklar eine Erklärung: »Özil hätte nicht schreiben sollen, er zahle in Deutschland Steuern. War klar, dass sich Hoeneß persönlich angegriffen fühlt.« @vicideficki hat die Zukunft des Fußballers im Blick: »Özil sollte wieder in der Bundesliga spielen. Bei Frankfurt am besten. Und dann die Nationalspieler alle tunneln«.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat sich ebenfalls gemeldet. Nach einer Parlamentssitzung in Ankara sagte er, er habe Özil angerufen und festgestellt: »Seine Haltung ist national und patriotisch. Ich küsse seine Augen. Sie können unser gemeinsames Foto nicht hinnehmen.« Aber was ist mit den Bildrechten? Achtung Wortspiel. Und Özil? Schweigt mal wieder.(jW)

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