4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Machthaber leben vom Krieg

Harald Projanski äußert eine Kritik an der (von der heute verbotenen KP der Ukraine partiell unterstützten) Regierung Asarow unter Präsident Janukowitsch, die teilweise nicht berechtigt ist. Die neue Regelung, dass jede Oblast (Region, Provinz) eine regionale Sprache neben dem Ukrainischen festlegen konnte, eröffnete neue Wege zur Überwindung der Diskriminierung der »Russophonen«, die nicht »entrussifiziert werden« wollten, v. a. im Osten und Süden der Ukraine. Acht Oblasti nutzten diese Möglichkeit sofort! Faktisch war das die südöstliche Hälfte des Landes, neben der autonomen Krim (die war immer offiziell russischsprachig), wo stets die Partei der Regionen bzw. ihr Präsidentschaftskandidat Janukowitsch gewählt wurden. Was die Maidan-Faschisten 2014 prompt wieder beseitigten. Das waren: Charkow (Charkiw), Dnepropetrowsk (Dnipro), Saporoschje (Saporischschja), Cherson, Nikolajew (Mikolajiw), Odessa, Lugansk und Donezk. Nur in den beiden letzteren Staädten wagten Russischsprechende den »Aufstand gegen den Aufstand«, den »Anti-Maidan«, nachdem »der Maidan«, also der bewaffnete Putsch der ukrainischen Faschisten, in Kiew gesiegt hatte.
Frau Nikonorowa, die Außenministerin der Donezker Volksrepublik, hat glücklicherweise nicht auf den Westfälischen Frieden 1648 verwiesen, als nach 30 Jahren Krieg am Ende doch die Koexistenz von zwei bis drei religiösen Bekenntnissen innerhalb des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bekräftigt werden musste (der römisch-katholischen neben den beiden protestantischen, der evangelisch-lutherischen und der reformierten kalvinistischen Religion bzw. Kirche). Aber es galt auch »Cuius regio, eius religio« - die Religion bestimmt der Lokalfürst, so dass z. B. 1731 auch der Erzbischof von Salzburg »seine« Untertanen, die evangelisch bleiben wollten, aus dem Lande jagen konnte (Brandenburg-Preußen nahm sie auf und siedelte sie in Ostpreußen an) und dass z. B böhmische Protestanten nach der Rekatholisierung ihr Land verlassen mussten (ein 1751 gegründeter Vorort von Potsdam, heute Babelsberg, hieß z. B. lange »Nowawes«, also »Nová ves«, was tschechisch »neues Dorf« heißt); im Land von Jan Hus gibt es heute praktisch keine Protestanten mehr ...
Das ist dann aber kein »Modell« für eine Lösung im 21. Jahrhundert. Heute spielt erstens weniger die Religion als vielmehr Sprache und Kultur eine Rolle. Und die jeweiligen Machthaber entscheiden zweitens nicht alles.
Leider hat z. B. auch Gregor Gysi solche Vorstellungen von der Zukunft der russischen (und teilweise russisch-orthodoxen) Minderheit in der Ukraine geäußert – die ukrainischen Nationalisten haben das drastischer formuliert: »Tschemodan, woksal, Rossija« (Koffer, Bahnhof, Russland), also: »Raus mit den Russen!«
Unter dem nationalistischen Terror bezeichnen sich heute die meisten russischsprechenden Einwohner der Ukraine eben als »Ukrainer mit russischer Muttersprache«. Aber aufgrund der Komplexheit ihres Gebietes haben sie einen Anspruch auf regionale Autonomie und auf Mitsprache in Kiew, nicht anders als z. B. die niederländisch sprechenden Flamen im lange nur französisch dominierten Belgien. (Heute geht es in Belgien keineswegs reibungslos zu zwischen den Nationen, aber es gibt gleichberechtigte nationale Gebiete – Flandern und Wallonien, dazu die aus neun Gemeinden bestehende »Deutschsprachige Gemeinschaft« in Ostbelgien sowie das zweisprachige Brüssel, die lange quasi nur frankophone Hauptstadt in niederländisch-»flandrischer« Umgebung war. So etwas kann man, wenn man Frieden zwischen den Nationen eines Landes will, also auch friedlich regeln. Wie Frau Nikonorowa es gesagt hat.)
Aber, da ist Projanski zuzustimmen, die heutige die Macht habende Clique, großenteils sogar gebürtige Russen aus dem Osten, Süden oder der Hauptstadt des Landes, aber Polithsardeure und Gauner, lebt von diesem Krieg. Die Frage ist: Können sie den Westen da hineinziehen?
Volker Wirth, Berlin
Veröffentlicht in der jungen Welt am 16.04.2021.
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