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Leserbrief zum Artikel Internationalismus: Kuba-Krise bei Linkspartei und ND vom 06.02.2021:

Nichts gelernt

Der Beschluss des Parteivorstands der Linken vom 23. Januar erinnert mich fatal an das Glückwunschschreiben der damaligen Parteivorsitzenden Gesine Lötsch und Klaus Ernst an Fidel Castro anlässlich seines 85. Geburtstags im Jahr 2011. Als der damalige Berliner Landesvorsitzende der Linkspartei und heutige Kultursenator Klaus Lederer vom Tagesspiegel um seine Meinung dazu gebeten wurde, antwortete er mit einer durch eine Geste bekräftigten Wasserstandsmeldung: »Mir steht’s bis hier.« Beschämend, hatte ich damals geschrieben, welch eine Chance bot sich ihm an, eine überzeugende Antwort zu liefern. Er hätte ganz anders antworten müssen, allerdings etwas ausführlicher. Zum Beispiel so: Was heute kaum noch jemand weiß, ist, dass es nicht zuletzt der Sowjetunion zu verdanken war, dass die Ausarbeitung der von der UNO bereits 1948 beschlossenen Konventionen über zivile und politische Rechte einerseits und über soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte andererseits nach einer teilweise erbitterten Auseinandersetzung über 18 Jahre zustande kam und schließlich 1966 von der UN-Vollversammlung angenommen wurde. Es spricht Bände, dass sich vor allem die USA, Frankreich und Großbritannien gegen die Konventionen stemmten, weil ihnen die Festschreibung der wirtschaftlichen und sozialen Rechte nicht passte. Es ist eine der großen Leistungen des kubanischen Staates, dass es ihm trotz Blockade, Sanktionen und medialem Trommelfeuer gelungen ist, gerade die sozialen Menschenrechte (Arbeit, Wissenschaft, Kultur, Gesundheitswesen) zu verwirklichen, was ihm – nebenbei bemerkt – auch von Wikipedia attestiert wird. Mir fehlt, hatte ich damals geschrieben, jedes Verständnis für diejenigen in der Linkspartei, die sich opportunistisch vor den Karren einer imperialistischen Menschenrechtskampagne – denn darum kreist ja die ganze Kritik am Castro-Brief – spannen lassen.
Heute, zehn Jahre später, dürfen wir eine Liedzeile von Hannes Wader paraphrasieren: »Viel herumgekommen, noch immer nichts gelernt.« Im Beschluss des Parteivorstands heißt es: »Für die Linke gilt, Menschenrechte sind universell, sie gelten für jede und jeden – überall!« Diesen Satz könnten alle US-Präsidenten, selbst die Toten, von George Washington bis Joe Biden locker unterschreiben. Was also hat den Parteivorstand in seiner Erklärung bewogen, dem Menschenrechtsbegriff einen Absolutheitsanspruch zu verleihen? Unter Ausblendung der gesellschaftspolitischen Realität und jeglicher sich im internationalen Raum spielender Konflikte ist der Begriff nichts mehr als eine hohle Worthülse (was auch auf das verwandte Begriffspaar »Demokratie« und »Freiheit« zutrifft).
Dass nun auch die Linke diesen zur klassenneutralen Phrase verkommenen Menschenrechtsbegriff auch auf Kuba ansetzt, wirft ein bezeichnendes Licht auf das intellektuelle Niveau dieser Partei. Sie müsste es doch sein, die verstanden hat, dass unter diesem Label der »Imperialismus gern seine Kriege rechtfertigt«, wie der DKP-Vorsitzende Patrick Köberle treffend bemerkt hat. Und mit seinen Sanktionen versucht, dem Karibik-Staat die Luft zum Atmen zu nehmen. Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, findet die Arroganz irritierend, mit der »der kubanischen Gesellschaft unterstellt wird, nicht demokratisch zu sein«. Das ist für mich noch etwas zu freundlich formuliert. Der Text der Erklärung bedient sich in einigen Passagen einer penetrant belehrenden Sprache, die mir allzu vertraut ist: Von der Mainstreampresse, den etablierten Parteien und vor allem von den Olivgrünen.
Hans Schoenefeldt
Veröffentlicht in der jungen Welt am 09.02.2021.
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