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Leserbrief zum Artikel Porträt: Wendegewinnerin des Tages: Sahra Wagenknecht vom 30.09.2020:

Marxismus keine Schablone

Istvan Hidy meint, dass meine Ansicht über das russische Experiment »nicht ganz richtig« sei. So formuliert, lag ich also nicht ganz falsch, oder? Marx schloss, als er sich auf Anfrage von Wera Sassulitsch mit den russischen Problemen befasste und meines Wissens deswegen begann, Russisch zu lernen, nicht mehr aus, dass durchaus Russland zum Initial einer Revolution werden könnte.
Marx schrieb am 21. Januar 1882: »Wenn die russische Revolution das Signal zu einer Arbeiterrevolution im Westen wird, so dass beide einander ergänzen, dann kann das heutige russische Gemeineigentum zum Ausgangspunkt einer kommunistischen Entwicklung dienen.« (MEW Bd. 22, S. 55)
Also, Russland ist hier das Initial, dem durchaus eine Arbeiterrevolution im Westen folgen könnte, was ja auch geschah: Novemberrevolution in Deutschland sowie die Rätebewegungen in Bayern und Ungarn. Fakt ist, dass andere westliche Länder dem nicht folgten. Es gab keine Revolutionen in Schweden oder in England.
Marx war zu diesem Zeitpunkt, als er die oben gemachten Bemerkungen tat, nicht mehr der Meinung, dass, wie Istvan Hidy behauptet, die Revolution im Westen (England, Schweden) beginnt, womit Marx auch Recht behielt. Fakt ist, dass das revolutionäre Zentrum sich vom Westen (Frankreich) über Deutschland nach Russland verschob.
Und genau dem hat Lenin Rechnung getragen. Die westlichen Länder waren ökonomisch viel zu stark und politisch etabliert, als das aus diesen Ländern eine Revolution erwachsen würde. Bis heute gab es in diesen westlichen Ländern keine siegreiche proletarische Revolution. Wäre demnach Marx’ Revolutionstheorie falsch? Ich denke, nein. Lenin hat das auch so gesehen.
Die Vorwürfe späterer Renegaten, die sozialistische Phase der russischen Revolution hätte vermieden werden müssen, man hätte erst einmal die bürgerliche Phase reifen lassen sollen, widerspiegelt nicht die damalige Lage 1917 in Russland.
Die Bürgerlichen um Kerenski haben total versagt: Sie beendeten nicht den Krieg und gaben den Bauern nicht den Boden. Hätten demnach damals die Bolschewiki sagen müssen: »Wir bleiben bei der bürgerlich-demokraischen (?) Phase der Revolution in Russland«, Punkt 1; Punkt 2: »Wir warten auf die siegreichen Revolutionen im Westen«?
Lenin hatte je gerade den weiteren Verlauf der russischen Revolution an siegreiche Revolutionen im Westen gebunden. Nur, als letztere nicht siegreich blieben, hätten Lenin und Co. sagen sollen: »Um so mehr verzichten wir auf die sozialistische Phase«?
Herr Hidy, ich denke nicht, dass Lenin Marx auf den Kopf gestellt hatte, sondern begriff, dass der Marxismus keine Schablone ist, nach der man sich die Wirklichkeit zurechtschneidert.
Joán Ujházy
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