junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Sa. / So., 04. / 5. Mai 2024, Nr. 104
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!

Leserbriefe

Liebe Leserin, lieber Leser!

Bitte beachten Sie, dass Leserbriefe keine redaktionelle Meinungsäußerung darstellen. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zur Veröffentlichung auszuwählen und zu kürzen. Leserbriefe sollten eine Länge von 2000 Zeichen (etwa 390 Wörter) nicht überschreiten. Kürzere Briefe haben größere Chancen, veröffentlicht zu werden. Bitte achten Sie auch darauf, dass sich Leserbriefe mit konkreten Inhalten der Zeitung auseinandersetzen sollten. Ein Hinweis auf den Anlass Ihres Briefes sollte am Anfang vermerkt sein (Schlagzeile und Erscheinungsdatum des betreffenden Artikels bzw. Interviews). Online finden Sie unter jedem Artikel einen Link »Leserbrief schreiben«.

Leserbrief zum Artikel Sammlungsbewegung »Aufstehen«: »Die linken Parteien in die richtige Richtung bringen« vom 24.06.2020:

Weg mit den falschen Tickets

Beide Gesprächspartner scheinen der »S«PD noch zu glauben, es könnte sich ausgerechnet bei dieser Partei um eine sozialdemokratische handeln. Soll womöglich dann auch die »C«DU christlich, die »A«fD eine Alternative oder ein Zitronenfalter ein Mensch sein, der Zitronen faltet? Marius Fischer sieht immerhin bereits den Gegensatz, doch formulierte ich seinen Zwar-aber-Satz an seiner Stelle eher so: »Ich bezeichne mich immer noch als Sozialdemokraten; genau deshalb habe ich mich folgerichtig von der ›S‹PD entfremdet.« vielleicht brächten dann wenigstens einige Noch-immer-Mitglieder« oder »-Genossen« die Zivilcourage auf, dieses sinkende Wrack endgültig dem Seeheimer-Gesindel zu überlassen und in Entsprechung zur erfolgreichen Ausgründung der WASG zwei oder drei weitere Ausgründungen zu wagen.
Wie war das eigentlich vor der Zeit der CDU-Undercover-Agenten Gerhard Schröder, Peer Steinbrück, der aus biologischen Gründen nicht mehr stimmberechtigten Peter Struck oder des ehrlicherweise zur Lindner-Brutalopartei desertierten Exsuperministers Clement? (Gabriel, Schulz oder Nahles lohnt es sich schon kaum mehr zu erwähnen.) Sehr im Kontrast zu ihrem einst guten Ruf als »Programmpartei« war die SPD seit sehr langer Zeit sehr, sehr inhomogen. Dass die Kriegskredite für Wilhelm den Letzten und Konsorten ein früher Sündenfall waren, räumen seither wohl auch die meisten SPD-Genossen nicht nur am linken Rand ein. – Dass selbst ein eher Parteirechter wie Kurt Schumacher 1932 herzerfrischend coragierte Worte im Reichstag fand, räume ich ihm gerne ein: »Wenn wir etwas am Nationalsozialismus anerkennen, so ist es die Tatsache, dass ihm zum ersten Mal in der menschlichen Geschichte die restlose Mobilisierung der menschlichen Dummheit gelungen ist. Meine Herren Nationalsozialisten, Sie können tun oder lassen, was sie wollen: An den Grad unserer Verachtung werden Sie niemals heranreichen.« – Ab 1966 betrieb SPD-Bundesaußenminister Willy Brandt, ab 1969 SPD-Bundeskanzler Willy Brandt Ostpolitik als Entspannungspolitik mit Zivilcourage, was keinesfalls heißen muss, dem Mann die unbedachte und folgenschwere Unterschrift unter die von der oppositionellen CDU/CSU provozierten Berufsverbote zu verzeihen. – Und während seiner quälend langen Kanzlerschaft musste CDU-Mafioso Dr. Kohl Angst haben, in der »S«PD so etwas wie eine ernsthafte Opposition zu haben, und sei es mit Figuren wie Scharping. So hielten sich Kohls »Schwarz-Gelbe« im Vergleich zu den UK-Tories oder den US-Repsen zunächst mit dem Sozialkahlschlag eher zurück und ließen die antisoziale Sau erst in ihrer vorerst letzten Legislatur 1994–1998 mit Kurkrise und Erwerbslosenverhöhnung raus. 1998 kamen dann die Seeheimer CDU-U-Boote um Schröder und spuckten nicht nur wahllos mehr oder minder allen, sondern gezielt just der ureigensten SPD-Klientel ins Gesicht. Spuckt doch endlich zurück! Und ja, das geht auch eleganter, risikoärmer und wirkungsvoller als mit Spucke: mit Parteiaustritt, Stimmenverweigerung oder eben zwei oder drei konstruktiven und wahrhaft sozialdemokratischen Ausgründungen. In meiner Engelsgeduld mache ich bis heute zwei Ausnahmen: Nina Scheer, MdB, SPD, schrammt zwar kürzlich zusammen mit so einem Kölner Arzt mit Fliege am SPD-Vorsitz vorbei, den bisher buchstäblich jeder, selbst noch ein Franz Müntefering, erreicht hatte. Auch kommt sie medial regelmäßig viel zu kurz. Doch scheint sie willens und bereit, das verdienstvolle Werk ihres Vaters Hermann Scheer, MdB, SPD und als Ökologe im Zweifel überall zur Stelle, zumindest in Teilen (so im Wuppertal-Institut) fortzuführen. Und: Kevin Kühnert, SPD, sorgte – endlich! – für die Wiedervorlage der objektiv so notwendigen und auszubauenden »Neiddebatten«, indem er die Milliärdchen der Familie Quandt nicht auf ewig völlig ungenutzt verpuffen lassen will. Volle Unterstützung – auch wenn mir primär die Widerverstaatlichung des längst bewährt Staatlichen am Herzen läge: Post, Bahn, Fernsehen, Landespsychiatrie, Kreiskrankenhäuser etc. Aber: Braucht Nina Scheer oder braucht Kevin Kühnert für die sehr respektablen und notwendigen ökologischen und sozialen Ziele ausgerechnet ein Seeheimer-Ticket? Täte es nicht auch ein »grünes«, ein linkes oder ein sonstwie tendenziell wenigstens etwas progressiveres, etwas couragierteres, etwas sozialdemokratischeres, etwas besser den SPD-Formalzielen sowohl vom ökologischen Umbau der Industriegesellschaft (seit 1989) als auch des demokratischen Sozialismus (seit Parteigründung) entsprechendes Ticket?
Bernhard May, Solingen
Veröffentlicht in der jungen Welt am 21.07.2020.
Weitere Leserbriefe zu diesem Artikel:
  • Dringender Appell an Die Linke

    Um – so bald wie möglich – aus der Corona-Krise zu kommen, ist auf einer breit angekündigten Pressekonferenz mit möglichst vielen der Parteiführenden und -delegierten zu fordern: 1.) Ein Verbot (auf ...
    Victor Grossman
  • Wiederauferstanden

    Fast schien es, »Aufstehen« habe sich niedergelegt, nicht nur wegen Corona. Die Bewegung meldet sich wieder, ist auferstanden, und wenn wir optimistisch sein wollen, so wird sie auch der geheiligte Ge...
    Roland Winkler, Aue
  • Starke Einheitsbewegung

    Danke für das Interview mit dem neuen »Aufstehen«-Trägervereinsvorstand. »Aufstehen« könnte die vielen Ein-Punkt-Bewegungen auf den Punkt bringen – dass wir in einem breiten Linksbündnis mit der Macht...
    Eckart Schmidt, Hannover
  • Ohne Basis und ohne Ziel

    Wer im Jahr 2020 denkt, eine »Sammlungsbewegung linker Kräfte« könne die »linken Parteien im Bundestag« zu einer grundsätzlich anderen,besseren Politik drängen, soll weiter an Weihnachtsmann, Osterhas...
    Uwe Nebel, Mannheim