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Leserbrief zum Artikel Arbeiterbewegung: Seien wir ehrlich vom 09.01.2019:

Zielgruppe genau analysieren

Zustimmung! Liebevoll beobachtet und sehr zartfühlend formuliert. Alle reden von der Arbeiterklasse, aber keiner kennt sie. Auch ich, emeritierter Proletarier, kenne sie nicht, nur sehr unterschiedliche Kollegen und andere Lohnabhängige. Wen wollen wir mit welchen Mitteln erreichen? Jedes Grüppchen betreibt »Überzeugungsarbeit«, aber in Jahrzehnten politischer Basisarbeit ist mir noch keine Gruppe untergekommen, die die Menschen, die sie erreichen will, gefragt hätte, was sie denken, meinen, wollen und wo sie der Schuh drückt, statt sie ungefragt niederzureden. Ehe ich weiß, was mein Gegenüber aus welchen Gründen denkt, empfindet, worüber er grübelt und sich Sorgen macht, was er weiß und zu wissen glaubt, argumentiere ich gegen ein Phantom – mit überwältigendem Erfolg. Die Situation erinnert an den Heimwerker, der ein Bücherregal bauen will, keine Ahnung hat, welches Holz welche Eigenschaften hat, noch wie und mit welchem Werkzeug es zu bearbeiten ist. Und statt sich zu informieren, wird im Kreise ähnlich vorgebildeter Bastler über die Bücherregalklasse und deren Widerstand schwadroniert. Vorschlag: sich einige Wochen die Quälerei antun und Ausgaben von (z. B.) Stimmen und Gegenstimmen, Kla-TV, expresszeitung.ch (Ursprung immer die Schweiz – öha) oder ähnlichen Mist analysieren. Herausarbeiten, welche Zielgruppe mit welchen Mitteln angesprochen wird. Herausfinden, mit welchen Mitteln der Leser geködert und mit welchen Tricks gearbeitet wird, an welche Vorurteile welcher Zielgruppe die Manipulation gezielt andockt, welche Wissenslücken genutzt werden und mit welchen Methoden irre Schlüsse, skurrile »Analysen« und Scheinlösungen in die Köpfe der Leser geschleust werden. Parallel einige Bücher über Manipulationstechniken, Werbe- und Massenpsychologie durcharbeiten. Anschließend miteinander die Ergebnisse vergleichen und analysieren, eine Zielgruppe herausfinden und sich dieser zuwenden (erste Werberegel: Wer alle zugleich erreichen will, erreicht niemanden) – aber als Partner, nicht als alles viel besser wissender Oberlehrer.
Otto Kustka, Litschau/Österreich

Kommentar jW:

Die Zuschrift wurde von uns gekürzt. Der Autor schrieb daher als Klarstellung zu der gekürzten Fassung:

Verzeiht meine G’scheitlerei, aber seit mehr als 30 Jahren arbeite ich am Thema (politischer) Manipulation im Zusammenhang mit Gehirnfunktion, Bildung, Medien und Eliten. Deshalb ein Vorbehalt gegen die Änderung von Teilen meines Leserbriefs »Erste Werberegel«. Klar, es sind die Gemainstreammedien, die wahllos Gedankenleergut in Mediotenköpfen endlagern, aber die von mir erwähnten (Stimme und Gegenstimme, Kla-TV, Expresszeitung.ch etc.) Medien arbeiten, im Gegensatz zu den Primitivmedien, gezielt und präzise. Sie bearbeiten (in jahrelanger systematischer Arbeit) die Zielgruppe, die den etablierten Medien kritisch bis ungläubig gegenübersteht und manipulieren sie, systematisch an Unwissen und Vorurteile anknüpfend, nach rechts (technisch nahezu perfekt). Sie verfügen über ein ganzes Netzwerk von spezialisierten Medien, Manipulationsfachleuten, »kritischen Journalisten«, »Experten«, Internetblogs, Gratisabonnements, TV – und viel Geld. Mediengläubige (Gratiszeitungen etc.) sind schwerer zu erreichen und zu Misstrauen und kritischem Denken zu bringen als die (nicht so kleine) Schar der bereits Misstrauischen. Warum sollten wir ausgerechnet diese (leichter erreichbare!) Zielgruppe der rechten Propagandamaschinerie überlassen? »Rechte« entstehen nicht durch Urzeugung und Dummheit, sondern werden gemacht – und genau dort könnten/sollten wir ein- bzw. angreifen. Mein Fehler war, dass ich – »kurzer Leserbrief« – verabsäumt habe, diesen wesentlichen Aspekt klar herauszuarbeiten.

Veröffentlicht in der jungen Welt am 15.01.2019.
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