Gegründet 1947 Freitag, 26. April 2024, Nr. 98
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    Für friedliche, demokratische Proteste

    Attac-Erklärung zum Ablauf der internationalen G8-Großdemonstration in Rostock

    Trotz einer friedlichen und erfolgreichen Demonstration ist es am Rande der Proteste zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen. Das globalisierungskritische Netzwerk Attac verurteilt die Angriffe auf die Polizei scharf. »Es gibt keine Rechtfertigung für diese Angriffe«, sagte Pedram Shahyar aus dem bundesweiten Attac-Koordinierungskreis.
    Peter Wahl, ebenfalls Mitglied des Attac-Koordinierungskreises, betonte den zuvor friedlichen Verlauf der Demonstration. »In Rostock haben heute 80 000 Menschen ihren demokratischen Protest gegen die unmenschliche Politik der G8 gewaltfrei und phantasievoll zum Ausdruck
    gebracht.« Während der Demonstration hätten die Absprachen zwischen den Organisatoren und der Polizei funktioniert. Die internationale Großdemonstration wurde von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis getragen, das von der Interventionistischen Linken über Attac bis zu Greenpeace reicht. Alle Partner haben sich an die Vereinbarung über den friedlichen Charakter der Demonstration gehalten. »Dies war ein großer Erfolg der Monate langen Mobilisierung. Und den lassen wir uns
    nicht kaputt machen«, ergänzte Shahyar.
    Anlass für die Eskalation nach Ende der Demonstration war nach derzeitigem Kenntnisstand der Angriff einer kleinen Gruppe Demonstranten auf einen am Kundgebungsplatz geparkten Polizeiwagen.
    Dabei sind offenbar zwei Polizisten verletzt worden. Danach eskalierte die Situation. An der Eskalation waren beide Seiten beteiligt. Eine Beruhigung der Lage erfolgte am Abend nach Gesprächen zwischen der Polizei und der Demo-Leitung.
    »Wir hoffen, dass trotz der heutigen Vorfälle in den kommenden Tagen das politische Klima friedliche, demokratische Proteste gegen die Politik der G8 möglich macht«, appellierte Peter Wahl an alle Beteiligten.

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    Erfolg, aber auch Enttäuschung

    Sebastian Wessels, Rostock

    Auf einer Pressekonferenz der Demonstrationsleitung gegen 18.30 Uhr im Medienzelt beim Kundgebungsgelände am Rostocker Stadthafen ziehen Manfred Stenner vom Netzwerk Friedenskooperative und Werner Rätz von ATTAC als Vertreter der Demonstrationsleitung eine gemischte Bilanz.
    Während ihrer Ausführungen dröhnt ein Polizeihubschrauber, wie ständig seit dem Auftakt zur Anti-G8-Demo mittags am Hauptbahnhof.
    Trotz der mit 80.000 Teilnehmenden aus vielen Ländern erfolgreichen und beeindruckenden Demonstration ist auch Beunruhigung und Enttäuschung bei den beiden Organisatoren zu spüren.
    Die Demo-Leitung habe »ernsthaft damit gerechnet, daß es zu keiner Eskalation kommt«, versichert Werner Rätz und kritisiert das provozierende Verhalten der Polizei. Immer wieder seien deren Hundertschaften aus unerfindlichen Gründen durch die Menge marschiert. Nachdem bereits die Feuerwehr angerückt war, um einen Brand zu löschen, habe ein Wasserwerfer der Polizei in die Menge geschossen. »Diese Auseinandersetzungen sind überhaupt nicht im Sinne der Veranstalter.«
    Scharf grenzen sie sich von jenen randalierenden Autonomen ab, aus deren Gruppen immer wieder Steine und Flaschen auf Polizisten geworfen wurden. Den kritischen Punkt habe man am an der Demoroute gelegenen Hotel Radisson vermutet, das US-Delegierte für den G8-Gipfel beherbergen soll. Tatsächlich waren hier einige Knallkörper geflogen. Zwischen dem schwarzen Block und den Polizisten umher tanzende Clowns hatten es hier noch vermocht, die Situation zu entspannen.
    Am Stadthafen jedoch bildeten Hunderte von Polizisten in Kampfmontur einen Sperrriegel zwischen Kundgebungsgelände und Demo – die Konfrontation mit den Autonomen blieb nicht aus. Nahezu während der gesamten Kundgebung, die etwa um 15.30 Uhr begann, konnte man sich zwischen dem Programm auf der Bühne und der Beobachtung der einige hundert Meter entfernt stattfindenden Scharmützel entscheiden. Während Autonome dort Steine warfen, bahnten sich Trupps von Uniformierten in Krawallausrüstung anlaßlos immer wieder den Weg durch die große Menge der friedlichen Kundgebungsteilnehmer. Diese quittierten das mit Pfiffen und Sprechchören: »Haut ab! Haut ab!«
    Manfred Stenner will der Polizei dennoch nicht den Vorwurf machen, sie habe sich nicht an die vereinbarte Deeskalationsstrategie gehalten. Nachdem die Beamten sich immer wieder zurückgezogen hätten, aber dennoch angegriffen wurden, habe er »ein gewisses Verständnis« für ihr Vorgehen.
    Die größte Befürchtung der Organisatoren gilt nun der Frage, ob die Politik der G8 und Alternativen dazu die Schlagzeilen beherrschen - oder Steinwürfe, Brände und Schlägereien. Doch statt mit engagierten Reden wie am Nachmittag auf der Kundgebung (»Dieses System taugt nichts!«) ist Werner Rätz nun vorrangig mit Krisenmanagement beschäftigt.
    Nach 20 Uhr entspannt sich die Lage um Bühne und Pressezelt, die Redebeiträge sind gehalten, auf der Bühne spielen Bands. Ihr Sound mischt sich mit dem der Hubschrauber.

    Sebastian Wessels, Rostock

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    »Wir verbinden Kultur und Globalisierungskritik«

    Interview: Markus Bernhardt

    Globalisierungsgegner starten Kulturprojekt gegen G-8-Gipfel. Unterstützung von hochkarätigen Musikern. Ein Gespräch mit Henning Obens

    Henning Obens ist Pressesprecher der Kampagne »Move against G 8«

    Das Netzwerk »Move against G8« wird im Rahmen der Proteste gegen den G-8-Gipfel am 2. und 3. Juni in Rostock ein Großkonzert mit hochkarätiger Besetzung veranstalten. Neben »Wir sind Helden« und »Juli« werden unter anderem auch Jan Delay und »Chumbawamba« auftreten. War es schwierig, die Künstler zur Teilnahme an dem Konzert zu bewegen?

    Wir waren überrascht, daß sich viele Bands dem Projekt ohne großes Zögern angeschlossen haben.

    Bei vergangenen G-8-Gipfeln sorgten derartige Kulturveranstaltungen meist für eine Entpolitisierung der Proteste. Erinnert sei an die Kampagne des U2-Frontmannes Bono und seines Künstlerkollegen Bob Geldof unter dem Motto »Make poverty history!«

    Die Idee für unsere Kampagne ist eben genau aus der Analyse der damaligen Ereignisse entstanden. Im Gegensatz zu Bono und Geldof haben wir ein Konzept entwickelt, das populäre Kultur und Musik miteinander verbindet und gleichzeitig eng in den Kontext der globalisierungskritischen Bewegung stellt. Dementsprechend sehen wir unser Vorhaben als Versuch, diese Elemente zu verbinden. Allein der Name unseres Projektes belegt zudem, daß wir ein antagonistisches Verhältnis zu den G-8-Staaten und ihrer Politik haben.

    Sie verstehen sich also als Teil der Protestbewegung?

    Ja. Man darf auch nicht vergessen, daß der Personenkreis, der das Projekt »Move against G 8« trägt, auch aus den verschiedenen linken Bewegungen kommt. So engagieren sich bei uns beispielsweise Aktivisten aus der undogmatischen Linken, der Antifa oder auch von ATTAC.

    Sind im Rahmen der jeweiligen Konzerte auch politische Beiträge geplant?

    Selbstverständlich. Wir werden inhaltlichen Beiträgen und Kampagnen wie »Block G8« Raum geben. Viele Künstler, die im Rahmen der Proteste auftreten, haben sich zudem bereits eindeutig gegen den G-8-Gipfel positioniert. Jan Delay hat die politischen Themen, die ihm wichtig sind, auch in mehreren Interviews deutlich benannt. Andere haben eigene Songs geschrieben, die auf einem von uns produzierten Sampler zu finden sind.

    Der von Ihnen produzierte Sampler, der bereits Anfang Mai erschienen ist, soll zur Finanzierung der Proteste beitragen. Wohin wird das Geld fließen?

    Erst einmal müssen von den Einnahmen natürlich die Kosten für unsere Konzerte getragen werden. Schließlich nehmen wir keinen Eintritt und beteiligen uns auch an den Kosten der Gesamtbühne. Falls wir Gelder übrig behalten, werden die natürlich in die Gesamtprotestkasse fließen.

    Inwiefern spielen die jüngsten Hausdurchsuchungen bei G-8-Gegnern bezüglich Ihres Projektes eine Rolle?

    Es ist selbstverständlich, daß wir diese Durchsuchungen skandalös finden; sie sollen nur der Einschüchterung und Spaltung der globalisierungskritischen Bewegung dienen. Dagegen verwahren wir uns deutlich. Auch unsere Kommunikationswege sind von der Lahmlegung des Internetservers so36.net betroffen gewesen, und daher betreffen uns die staatlichen Repres­sionsmaßnahmen ganz konkret.

    Haben sich die Künstler zu den polizeilichen Durchsuchungen geäußert?

    Bisher liegen uns noch keine Statements vor. Es haben aber einige der an »Move against G 8« beteiligten Künstler an der Demonstra­tion in Hamburg teilgenommen, die sich gegen die Polizeiaktionen richtete.

    Als Die »Toten Hosen« das letzte Mal im Rahmen von Protesten gegen einen Castortransport auftraten, wurden die Scheiben ihres Fahrzeuges von der Polizei eingeschlagen und ihr Konzert behindert. Befürchten Sie am 2. und 3. Juni ähnliche Übergriffe der sogenannten Ordnungshüter?

    Wir gehen davon aus, daß es in Rostock nicht zu Auseinandersetzungen kommen wird. Jedoch können wir nicht abschätzen, welche Planspiele die Polizei betreibt.

    Weitere Informationen und Bestellung des Samplers unter: www.move-against-g8.de


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    Kriegsstaat. Die G8 und die Grundrechte

    Von Arnold Schölzel

    Vor fünf Jahren erklärte der US-Präsident den völkerrechtswidrigen »präemptiven Krieg« zum natürlichen Bestandteil der westlichen Werteordnung und führte sofort den ersten gegen den Irak.

    Die Invasion hat bisher nach einem Bericht der britischen Zeitschrift Lancet vom Oktober mehr als 600000 Irakern das Leben gekostet. George W. Bush und Anthony Blair gehören nicht nach Heiligendamm, sondern auf die Anklagebank eines Kriegsverbrechertribunals. Bis auf Rußland handelt es sich bei den übrigen Teilnehmern von G-8-Gipfeln um Vertreter von Vasallenstaaten, die nicht gefragt werden, sondern Unterstützung zu leisten haben. Sieben der acht sind in die Kriegsaktivitäten Washingtons eingebunden – einschließlich Entführung, Folter und Massakrierung der Zivilbevölkerung.

    Die Auflösung jeder völkerrechtlichen Hemmung des Krieges, seiner »Einhegung«, ist das Markenzeichen der Epoche seit 1990 geworden. Die neue Bundesrepublik nimmt an dieser Liquidation mehr oder weniger hemmungslos teil. Der deutschen Teilnahme am Angriffskrieg auf Jugoslawien 1999 gab Gerhard Schröder drei Jahre später ihren Sinn mit seiner Antwort auf die Frage, worin seine größte politische Leistung bestehe: »In der Enttabuisierung des Militärischen.«

    Die Entfesselung von Gewalt in den internationalen Beziehungen ist die Fortsetzung des neoliberalen Wahns, der Universalisierung des Konkurrenzprinzips, mit anderen Mitteln. Der Erosion des Völkerrechts, einer zivilisatorischen Errungenschaft der Neuzeit, entspricht die Umgestaltung des bürgerlichen Rechtsstaates in einen Präventivstaat. Er wird innenpolitische Voraussetzung der neuen Weltkriegsordnung in dem Maß, in dem z. B. die Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik sich weigert, die Feldzüge der neusten Globalisierung zu unterstützen. Es kostet die Berliner Politik und die ihr angeschlossenen Medien unendliche Mühe, sie an Krieg und Kriegstote zu gewöhnen. G-8-Gipfel sind eine günstige Gelegenheit zu demonstrieren, wohin die Reise gehen soll. Die vorbeugende Einschüchterung erhielt in den letzten Wochen in der Bundesrepublik einen kräftigen Schub: Demonstrationsverbot, Bahnangestellte als Zuträger der Sicherheitsbehörden, Entzug von Journalistenakkreditierungen, bundesweite Razzien, Dutzende Haftrichter in Bereitschaft, kilometerlange Barrieren und mehrere Quadratkilometer große Bannmeilen – auf Grundrechte wird gepfiffen, wenn sie in Anspruch genommen werden sollen. Daß die Vorgaben auch noch von einer »fremden Macht« kamen, wie ein Gericht feststellte, belegt die Gesamttendenz: Die Herrschaften sehen sich im Krieg. In einem fortgeschritteneren Maß als an jenem 2. Juni 1967. Dementsprechend sieht ihr Staat aus.

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