Gemeinsam stärker
Von Georges Hallermayer
Im September feierte die Sahelallianz AES Geburtstag, »umzingelt von feindlich gesinnten Ländern und im Krieg«, wie es Burkina Fasos Staatschef Ibrahim Traoré formulierte. Weltweit wurde das zum Anlass genommen, die Souveränität von Mali, Niger und Burkina Faso zu verteidigen – zum Beispiel von brasilianischen Parlamentariern in São Paulo, in Kenia, Tansania und auf internationalen Foren. Oder in der Videoserie »Voices of Sahel«, einem Projekt der International People’s Assembly, in dem Anführer, Aktivisten, Bauern, Jugendliche und Frauen eine neue Vision von Afrika vermitteln. Die drei Staaten im Westen Afrikas hatten sich auf den antiimperialistischen Weg gemacht, Frankreich und die USA ihrer Länder verwiesen, um sich aus eigener Kraft zu entwickeln und aus der Armut zu befreien – bei aller Unterschiedlichkeit in Geschichte, Traditionen und Erfahrungen.
Aus der Not geboren, um Niger nach dem Staatsstreich vom 26. Juli 2023 beizustehen und sich gegen eine Militärintervention der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS zu wappnen, schlossen die drei Staaten am 16. September einen Verteidigungspakt – auch um sich der Wirtschaftssanktionen zu erwehren. Die AES, die Allianz der Sahelstaaten, besteht nun seit zwei Jahren. Sie verließen am 28. Januar 2024 die ECOWAS und gründeten am 6. Juli 2024 eine Konföderation – mit der Charta von Liptako-Gourma als Basis –, um grundlegende Reformen umzusetzen und ihre Kräfte zu bündeln. Zwei lange Jahre, in denen die Bevölkerung dem imperialistischen Einfluss widerstand, »im blutigen Krieg gegen die terroristischen Banden, im Wirtschaftskrieg der Sanktionen, im ideologischen Informationskrieg und diversen Versuchen der internen Destabilisierung«, wie die WAPO, die »Organisation des Peuples de l’Afrique de l’Ouest« in ihren Geburtstagsgrüßen schrieb.
Terror an vier Fronten
Die schwerste Last hat das größte Land der drei, Mali, zu tragen. Im Norden kämpfen in der öl- und gasträchtigen Wüste die Tuaregs für die Unabhängigkeit Azawads, nachdem der Vertrag von Algier im Januar 2025 von der Übergangsregierung aufgekündigt worden war. Azawad verbündete sich mit dem IS-nahen »Islamischen Staat – Sahel-Provinz« (ISSP) und fügte der russischen Wagner-Gruppe und der malischen Armee Fama blutige Niederlagen zu.
Im Zentrum und im Süden von Mali – verursacht durch das Bevölkerungswachstum und die Verschiebung der Regenzeiten infolge der Klimaveränderung – arteten die Auseinandersetzungen zwischen Peul, nomadisierenden Tierzüchtern und Ackerbauern (mehrheitlich Dogon) um Weide- und Durchzugsrechte blutig aus. Die von Iyad Ag Ghali geführte Dschihadistengruppe »Gruppe zur Unterstützung des Islams und der Muslime« (JNIM) nutzt das soziale Dilemma und fordert die Bauern zur Kooperation auf, denn sie seien »dem Sieg nahe«. Zur JNIM hatten sich im Jahr 2017 vier Islamistengruppen zusammengeschlossen: Ansar Dine, Katibat Machina, Al-Murabitun und AQIM (Al-Qaida im Islamischen Maghreb) – etwa ein Fünftel der blutigen Überfälle sollen im letzten Jahr auf ihr Konto gegangen sein.
An der dritten Front, der »Zone der drei Grenzen« mit der größten Stadt Tilaberi, hat sich die Dschihadistengruppe ISSP festgesetzt, um ständig über die jeweilige Grenze von Mali nach Niger oder Burkina Faso zu entkommen. Sie behauptet, in den ersten fünf Monaten des Jahres 240 Attacken geführt zu haben.
In Burkina Faso operiert Al-Qaida nicht nur im Westen, sondern auch im Süden von Benin aus, und entzieht sich dort der Verfolgung, auch nach Niger. Dort hat die Armee nicht nur mit Al-Qaida zu tun. Benin wird vorgeworfen, französische Militärcamps zu unterhalten. Deshalb hält Niger die Grenze geschlossen. Eine »Befreiungsfront« unternimmt Anschläge auf die über 1.000 Kilometer lange (chinesische) Ölpipeline nach Benin, um den ehemaligen Präsidenten Mohammed Bazoum freizupressen, der im Hausarrest auf seinen Korruptionsprozess wartet.
»Wir werden den Krieg gewinnen«, sagte Ibrahim Traoré, der burkinische Präsident, selbstbewusst im Interview zum dritten Jahrestag der erst im April 2024 offiziell proklamierten Revolution. Die Unterstützung Russlands, die koordinierten Militäroperationen in mittlerweile angepasster Taktik (»Motos statt Panzer«) bei noch auszubauender Drohnenüberwachung, vor allem die auch in Mali und Niger nach dem Beispiel Burkinas organisierte Selbstverteidigung der Dörfer durch Freiwilligenverbände drängten die terroristischen Banden an die Grenzregionen zurück (in Mali der ausgedehnte Norden mit offener Grenze zu Algerien). Auch wenn zum Beispiel Burkina Faso fast drei Viertel des Territoriums zurückerobert und gesichert hat, wird der Krieg gegen die von imperialistischen Kräften unterstützten Terrorgruppen, Prüfstein für die Kooperation der AES, nur durch die Beseitigung der Armut zu gewinnen sein – Zehntausende von Binnenflüchtlingen wurden in ihre Dörfer zurückgeführt, um sie samt sozialen Diensten wieder aufzubauen, wie der burkinische Premierminister Jean-Emmanuel Ouedraogo auf der 80. UN-Vollversammlung erklärte.
Kognitive Verzerrung
Im Kontrast macht etwa die Deutsche Welle »eine große Kluft zwischen Erwartungen und Realität« aus. So sei die terroristische Bedrohung nach wie vor existent, die gemeinsamen Streitkräfte stünden nur auf dem Papier, von der angestrebten gemeinsamen Währung sei nichts zu hören. In Medien wie BBC, TV5, Le Monde oder Jeune Afrique ist nichts Positives zu lesen. »Um die Ursprünge in den westlichen Geheimdiensten der NATO und ihren arabischen Verbündeten zu verschleiern, hat man uns daran gewöhnt, diese schändlichen Taten zu akzeptieren«, urteilt der kamerunische Professor an der Universität Rouen, Franklin Nyamsi. »Kognitive Verzerrungen sollen die Wachsamkeit der afrikanischen Bevölkerung täuschen«, schreibt Nyamsi weiter, »Afrika als die Hölle auf Erden darzustellen … und Demokratie und Menschenrechte zu beschwören, um die Regierungen zu schikanieren«, die sich widersetzen.
Dass die Administration sehr sensibel auf solche Pressemeldungen reagiert, sollte nicht verwundern – so unerfreuliche Dinge wie zeitweilige Publikationsverbote für BBC und Le Monde sowie Verhaftungen von Journalisten gingen durch die Weltpresse. Die Terroristen als »bewaffnete Gruppen« selbst in einem UN-Report zu beschönigen war nur ein Element – die Verantwortliche musste dafür auch Burkina Faso verlassen. »Wer in alter Politik weiterarbeiten will, der hat keinen Platz in der Revolution«, erklärte Traoré Ende September in einem Interview. Die Parteien in den drei Ländern, über 300 in Mali, wurden aufgelöst.
Nach der Charta der einzelnen Länder regieren Übergangsparlamente, Initiativen und soziale Verbände (Arbeiter, Bauern, Frauen, Jugend, Sport etc.), traditionelle und religiöse Autoritäten brechen mit den überkommenen Verhältnissen. Es wurde eine Flagge und eine AES-Hymne geschaffen, ein Pass ausgegeben. Nationale Kommissionen der AES sollen die Umsetzung der Beschlüsse koordinieren, an einem Parlament der Konföderation wird gearbeitet. Nach welchem Modell? Wohl kaum nach äthiopischem ethnographischem Vorbild oder einer Clanversammlung wie in Somalia, nach kubanischem Modell der direkten Demokratie oder konsultativ wie in China? Eins wird sicher sein: Die AES werden ihr eigenes afrikanisches Modell finden, aus ihren jahrhundertealten Traditionen und aktuellen Erfahrungen heraus.
Der Zukunft zugewandt
Auch in der Wirtschaft drängt die Zeit, sich von den Sanktionen der ECOWAS zu befreien – dem tödlichen neokolonialen Kreislauf von billigem Export an Rohstoffen und teurem Import von Industriewaren –, um die nationalen Ressourcen verstärkt zu nutzen und eine industrielle Basis zu schaffen. Maßnahmen wie die Gründung einer AES-Investitionsbank sind an erster Stelle zu nennen – auch wenn eine eigene Währung weit entfernt scheint – sowie die Festlegung eines AES-Zollsatzes von fünf Prozent für Importe, die Abschaffung der Roaminggebühren und gemeinsame Infrastrukturprojekte wie die gemeinsame Nutzung der Kernenergie mit russischer Unterstützung.
Mit der Änderung der Bergwerksgesetze sind Gold, Öl und Mineralien nicht mehr wohlfeil mit zehn Prozent staatlichem Anteil, um die Kompradorenbourgeoisie zufriedenzustellen. Auch gegen den Widerstand internationaler Bergwerkskonzerne wird ein Anteil von 30 Prozent durchgesetzt. In Niger wurden Uran oder Gold zum Teil in staatliche Verwaltung überführt. Burkina Faso mobilisiert die Bevölkerung in der Initiative »Faso Mebo«, in freiwilliger Arbeit (bei professioneller Anleitung) Pflaster- und Ziegelsteine zu gießen, um damit Krankenstationen zu bauen und lokale Straßen anzulegen.
International spricht die AES, mit dem malischen Präsidenten Assimi Goïta als Vorsitzenden, für die 72 Millionen Menschen in der Sahelzone mit einer Stimme. So zog sich die Allianz am 22. September vom Internationalen Strafgerichtshof, »einem Instrument neokolonialer Repression«, zurück. Zur Vorbereitung der 80. UN-Vollversammlung trafen sich die drei Premierminister, um sich abzustimmen. Der Regierungschef von Burkina Faso, Jean-Emmanuel Ouedraogo, verurteilte in seiner Rede auch die »ungerechten und illegalen« Sanktionen gegen Russland, Kuba, Venezuela, Iran und Nicaragua. Die internationalen Beziehungen müssten auf »gerechtem Multilateralismus und gegenseitiger Zusammenarbeit basieren«, forderte er.
Georges Hallermayer ist Autor und als freier Journalist unter anderem für junge Welt tätig
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