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Aus: Welt im Umbruch, Beilage der jW vom 05.11.2025
Welt im Umbruch

Distanz unter Freunden

Spannungen zwischen Mali und Algerien verschärfen sich nach Grenzvorfall. Hintergrund ist anhaltende Unsicherheit durch terroristische Gruppen im Sahelstaat
Von Sabine Kebir
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Auch in Timor-Leste, einem der jüngsten Staaten der Welt, gingen Jugendliche auf die Straße (Dili, 17.9.2025)

Die vier Länder pflegten schon im Unabhängigkeitskampf freundschaftliche Beziehungen: Das ebenfalls militärisch mit Russland zusammenarbeitende nördliche Nachbarland Algerien war der natürliche Verbündete des antiimperialistischen Kurses von Burkina Faso, Mali und Niger, die sich in der Sahelallianz AES zusammengeschlossen hatten. Da es ein großes wirtschaftliches Gefälle zwischen den Sahelstaaten und Algerien gibt, hat letzteres dort viel Wirtschaftshilfe geleistet. Seit Jahrzehnten ist es auch Ziel von Migranten. In landwirtschaftlichen Entwicklungsprojekten und auf Baustellen in Algerien arbeiten Tausende Malier. Und auch aus Niger kommen immer wieder Menschen in das Land, finden aber nur zum Teil Arbeit.

Seit etwa 20 Jahren sieht man in Nordalgerien eine große Zahl nigrischer Familien. Frauen und Kinder betteln auf Straßen und Autobahnen und übernachten in Lagern. Sobald diese keine Neuankömmlinge aufnehmen können, kommt es zu Abschiebungen mittels Buskarawanen. Zeitweise funktionierten staatliche Abkommen, wonach abgeschobene Bürger an der Grenze vom Herkunftsland wieder aufgenommen werden müssen, wie es die Afrikanische Union auch zur Pflicht erklärt hat.

Wie konnte es Anfang Oktober dazu kommen, dass sich auf dem Podium der UNO der Premierminister Malis, Abdoulaye Maïga, und der algerische Außenminister, Ahmed Attaf, ein heftiges Wortgefecht lieferten? Maïga beschuldigte Algerien, den »internationalen Terrorismus zu fördern«, und Attaf wies das als »verkommene, vulgäre und grobschlächtige Äußerung« zurück. In der Tat wirkt es widersprüchlich, Algerien der Unterstützung des Terrorismus zu bezichtigen – jenes Land, in dem in den 1990er Jahren durch strikte westliche Kreditauflagen und den schweren Terrorismus von Al-Qaida-Gruppen ein Regimewechsel herbeigeführt werden sollte.

Wichtiger Partner

Während dieses Muster kürzlich in Syrien gelang, konnte die algerische Armee die islamistische Rebellion Ende der 90er Jahre unter Kontrolle bringen. Das war allerdings nicht nur durch militärisches Handeln möglich, sondern auch durch einen politisch geführten Prozess. Dass die »Versöhnung« der demokratischen Zivilgesellschaft viel zuweit ging, kann hier nicht erörtert werden. Grundsätzlich war es aber richtig, den Bürgerfrieden auch durch Verhandlungen und Kompromisse anzusteuern.

Mit dieser Erfahrung war Algerien ein wichtiger Partner bei der Terrorismusbekämpfung im Sahel. 2015 gelang es, in Algier ein Versöhnungsabkommen zwischen der Regierung Malis und den aufständischen Tuareg zu vermitteln. Ausdrückliches Ziel war die Bewahrung der territorialen Integrität Malis. Der Vertrag hatte für Algerien auch innenpolitische Relevanz. Seine südlichen Landesteile werden von Tuareg bewohnt, die eng mit jenen in Mali verwandt sind. Als Algerien und Mali noch französische Kolonien waren, spielte die Grenze keine Rolle. Während Mali 1960 unabhängig wurde, liefen auch bereits Verhandlungen um die Unabhängigkeit Algeriens. Frankreich wollte sie nur dem algerischen Norden gewähren.

Große Gebiete des rohstoffreichen Südens sollten an Mali gehen, wo sich Paris mehr Einflussmöglichkeiten ausrechnete. Nur im zähen Ringen kam es zur Festlegung der heutigen Grenze, die allerdings durch das Gebiet der Tuareg verläuft. Wäre es bei freundschaftlichen staatlichen Beziehungen geblieben, hätte sie an Bedeutung verloren, denn auch Malis Norden ist reich an allerdings kaum erschlossenen Rohstoffen. Es wundert nicht, dass sich Frankreich mittels Entwicklungshilfeprojekten und auch mit der MINUSMA-Mission dort weiterhin Einfluss sicherte.

Verständlich, aber wohl doch voreilig, war die Entscheidung der Militärregierung in Bamako, den 2015 in Algier mit den Tuareg geschlossenen Versöhnungsvertrag für nichtig zu erklären, die MINUSMA-Mission zu kündigen und im Oktober 2023 Kidal, die Metropole des Nordens, zu bombardieren und dann zu besetzen. Sofort entstanden in Nordmali erneut Widerstandsgruppen, die teils wiederum von der Ukraine militärisch gegen russische Wagner-Söldner, die auf seiten der malischen Regierung kämpften, unterstützt wurden. Im August 2024 kappte Bamako daraufhin die diplomatischen Beziehungen zu Kiew. Aber auch im Süden, nicht einmal in der Hauptstadt selbst, ist es der Militärregierung bis heute gelungen, den Terrorismus unter Kontrolle zu halten.

Alte Wunden

Dass sich die Militärregierung für die Priorisierung des Militärischen gegenüber der politischen Versöhnung entschieden hat, ist der äußerliche Grund, weshalb sich das Zerwürfnis mit Algerien immer mehr vertiefte. Nordmalier, die zu Gesprächen mit algerischen Offiziellen eingeladen wurden, gelten in Bamako als Sezessionisten oder gar als Terroristen. Die Eskalation erreichte ihren Höhepunkt, als Ende März eine nach Algerien geflohene Tuareggruppe von einer malischen Drohne verfolgt und vom algerischen Militär abgeschossen wurde. Das ist der Hintergrund, weshalb Mali Algerien vor dem Internationalen Gerichtshof der UNO anklagt, Terrorismus zu unterstützen.

Algerien behauptet, beweisen zu können, dass die Drohne liquidiert wurde, weil sie die Souveränität seines Territoriums verletzt hatte. Niger und Burkina Faso solidarisierten sich mit Mali. Bamako und Niamey provozierten sogar den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Algier. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat Mitte Oktober angekündigt, in dem Konflikt, der letztlich auf die Grenzziehung der alten Kolonialmacht zurückgehe, vermitteln zu wollen.

Dass der eigentlich läppische Vorfall seit Monaten immer weitere Kreise zieht, lässt schließen, dass Intrigen anderer Staaten im Spiel sind. Zuerst ist an Frankreich zu denken, das gerade selbst eine scharfe antialgerische Kampagne führt. Im Sahel kann es heute nur indirekt, zum Beispiel über Marokko, agieren. In Bamako sollen schon Fähnchen des Königreichs gesichtet worden sein, und angeblich verspricht es den Sahelstaaten Zugang zu dem Atlantikhafen, den es in der völkerrechtswidrig besetzten Westsahara errichten will.

Sabine Kebir ist Schriftstellerin, Übersetzerin und regelmäßige Autorin der jungen Welt

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