Gegen die tariffreie Uni
Von Ralf Wurzbacher
Es hat sich herumgesprochen: Wer einen sicheren Job mit Zukunft bei ordentlicher Vergütung sucht, ist im staatlichen Wissenschaftsbetrieb fehl am Platz. Spätestens mit dem Aufkommen der Grassroots-Bewegung »#IchBinHanna« vor vier Jahren hat die Öffentlichkeit eine Ahnung davon, wie rabiat an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit Nachwuchswissenschaftlern umgegangen wird. Große Teile des hauptberuflichen Personals im sogenannten Mittelbau ächzen unter bedrückenden Arbeits- und Lohnbedingungen, werden mit Kurzzeit- und Kettenverträgen kleingehalten, schieben unbezahlte Überstunden und leben in ständiger Angst, die Anstellung zu verlieren. Das Problem steht seit etlichen Jahren auf der Regierungsagenda, eine Lösung wird aber immer wieder verschleppt.
Es gibt eine weitere Gruppe auf dem Campus, die die Politik lange Zeit mit Missachtung gestraft hat: die studentischen Beschäftigten. Das sind Studierende, die in der Mehrzahl als sogenannte Hilfskräfte in so ziemlich jedem Bereich der Hochschule Arbeit verrichten: Sie betätigen sich als Tutor, Laborant, Bibliotheksaufsicht, bereiten Seminare vor, betreuen Datenbanken, organisieren Exkursionen, redigieren Texte, korrigieren Klausuren, beschaffen Bücher, pflegen Webseiten, warten die Technik, sie archivieren, recherchieren und programmieren. Eigentlich erledigen sie alles, was gemacht werden muss, und täten sie es nicht, müsste die Uni morgen dichtmachen.
»Jung, akademisch, prekär«
Trotzdem werden sie behandelt wie das fünfte Rad am Wagen. Das geht damit los, dass der Apparat sie bevorzugt »unsichtbar« macht, indem sie vielfach unter Sachmitteln geführt werden, nicht als Personal. Deshalb lässt sich auch nicht genau sagen, wie viele sie sind. Das Statistische Bundesamt hatte sie 2021 mit 160.000 beziffert, realistischer sind 300.000 bis hin zu 400.000 Personen. Die Schätzung stammt aus einer Anfang 2023 veröffentlichten Studie des Instituts für Arbeit und Wirtschaft (IAW) an der Universität Bremen. Die durch die Gewerkschaften Verdi und GEW beauftragte Untersuchung beruht auf einer Umfrage unter 11.000 studentischen Beschäftigten und beleuchtet erstmalig einen bis dahin weitgehend blinden Fleck der hochschulinternen Arbeitswelt.
Betitelt ist die Arbeit mit »Jung, akademisch, prekär« und das passt: Die Betroffenen werden mehrheitlich schlecht bezahlt, hangeln sich oft von einem Arbeitsvertrag zum nächsten, viele nehmen ihren Urlaubsanspruch nicht wahr, leisten massenhaft unbezahlte Mehrarbeit oder arbeiten Krankheitstage nach. Und dies alles geschieht in einem Umfeld, das sie von Mitbestimmungsmöglichkeiten weitgehend ausschließt und »in dem grundlegende Arbeitsrechtsverstöße die Regel sind statt die Ausnahme«. Das geht so weit, dass sie regelmäßig Aufgaben leisteten, »die rechtlich in den Verantwortungsbereich des technischen oder administrativen Personals fallen« und nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) entlohnt werden müssten, konstatierten die IAW-Forscher. Die Rektoren schätzen an den Hilfskräften vor allem, dass sie disponibel sind und billig. Ihrer Dienste bedient man sich, ihre Interessen interessieren nicht.
Aber der Wind ist dabei, sich zu drehen. 2019 war die bundesweite Kampagne TVStud auf den Plan getreten, eine Initiative von Aktiven aus inzwischen mehr als 40 Städten, die für einen deutschlandweit einheitlichen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte kämpft. Impulsgeber war 2018 ein Durchbruch in Berlin, wo Studierende nach 41 Tagen Streik den TVStud III durchsetzen konnten. Der brachte eine einschneidende Verbesserung: die Kopplung an den TV-L und damit regelmäßig und prozentual im gleichen Maße steigende Stundenentgelte für studentische Hilfskräfte, Assistenten und Tutoren.
Die Westberliner Insel
Eine Ausnahmeerscheinung war die Hauptstadt lange davor. Ein gesonderter Tarifvertrag namens TVStud existiert dort schon seit 1980, der bisher zweimal erneuert wurde. Der Lohn: An der Spree stehen studentische Beschäftigte im Bundesvergleich um vieles besser da: Sie verdienen mehr Geld, haben die meisten vertraglich vereinbarten Arbeitsstunden, müssen sich seltener in einem weiteren Job verdingen und profitieren von den mit großem Abstand längsten Vertragslaufzeiten (14,1 Monate). Außerdem sind studentische Personalräte im Personalvertretungsgesetz und Mindestvertragslaufzeiten von zwei Jahren im Berliner Hochschulgesetz verankert. Das ist noch entfernt von prächtig versorgt und rundum zufrieden, aber eben auch kein »Sachmittel« mehr, mit dem sich nach Gutsherrenart wirtschaften ließe. Ein Beispiel: Während andernorts Entgelte von bestenfalls knapp über Mindestlohn (12,82 Euro) gängig sind, die durch unbezahlte Überstunden noch gedrückt werden, erhalten die Berliner real 14,32 Euro, also fast zwölf Prozent mehr.
Das freilich macht Lust auf mehr, beziehungsweise auf Nachahmung im Rest der Republik. Im Vorfeld der Ländertarifrunde 2021 formierte sich die TVStud-Bewegung in neuer Qualität und mit beachtlicher Präsenz unter Rückgriff auf Organizingansätze aus den USA. Am Ende der Auseinandersetzung stand immerhin eine Vereinbarung zwischen Gewerkschaften und der Tarifgemeinschaft deutscher Länder über eine »Bestandsaufnahme« der Beschäftigungsverhältnisse und Arbeitsbedingungen als Zwischenschritt zu einer möglichen Tarifierung. Daraus entstand besagtes Forschungsprojekt »Jung, akademisch, prekär«, was rund ein Jahr später zur Vorlage der gleichnamigen Studie führte.
Den nächsten »Meilenstein« auf dem Weg zum großen Ziel brachte die 2023er Tarifrunde mit der Einigung auf eine bundesweit geltende »schuldrechtliche Vereinbarung«, eine Art Vorstufe zum Tarifvertrag, die unter anderem Bestimmungen zu Mindestentgelten und Mindestvertragslaufzeiten von zwölf Monaten vorsieht. Allerdings sind die Vorgaben nicht individuell einklagbar, sondern nur kollektiv, was einem Freibrief an die Hochschulen gleichkommt, sich nicht daran zu halten. Zum Beispiel wird mit Hilfskräften an Hamburger Hochschulen so verfahren wie ehedem – also schlecht. Unredlich ist auch das Gebaren der Bundesländer. Mittlerweile haben die sich in großer Mehrheit zu einem Bundestarifvertrag bekannt, aber, sobald es zur Sache geht, wird eifrig blockiert.
Ein Tarifvertrag muss her
Reichlich Spannung verspricht deshalb die kommende Tarifrunde, die im Herbst beginnt. Diesmal wollen die Aktiven keine Kompromisse mehr eingehen und unter der Devise »Keine halben Sachen« alles in die Waagschale legen, was geht, bis hin zu bundesweiten Streikmaßnahmen. »Skandalös« nennt Andreas Keller, Mitglied im Vorstand der GEW, die Hinhaltetaktik der Politik. »Während die meisten Bundesländer darauf pochten, dass von ihnen beauftragte Unternehmen Tariflöhne bezahlten, unterhalten sie selbst eine riesige tarifvertragsfreie Zone mitten im öffentlichen Dienst«, sagte er junge Welt. Die Zeit sei überfällig für einen echten Tarifvertrag. »Den werden wir nur durchsetzen können, wenn sich die Betroffenen selbst gewerkschaftlich organisieren, unsere Tarifbewegung unterstützen und, wenn es darauf ankommt, zum Arbeitskampf bereit sind. Daran arbeiten wir.«
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