Dinosaurier auf Ketten
Von Sven Kurz
Das imperialistische Deutschland plant die größte Panzerbestellung seiner Nachkriegsgeschichte: bis zu 5.000 GTK »Boxer«, 3.500 Patria-Radpanzer und mehrere hundert »Leopard 2« für 60 bis 75 Milliarden Euro. Hinzu kommen 500 bis 600 »Skyranger«-Luftabwehrsysteme für bis zu neun Milliarden US-Dollar. Doch bleibt die Frage: Fließen hier Milliarden in eine schon überholte Technologie?
Fast ein Jahrhundert lang bildeten Panzer und gepanzerte Fahrzeuge das Rückgrat der Kriegführung. Ihre Dominanz blieb selbst angesichts moderner Bedrohungen durch Hubschrauber oder Panzerabwehrraketen weitgehend unangefochten – bis zur Ankunft der Drohnen. Heute sind sie laut der Militärexpertin Patricia Marins kaum mehr eigenständig einsetzbar, sondern höchstens als Unterstützung ebenjener Drohnen. Selbst modernste »Hardkill«-Schutzsysteme wie das israelische »Trophy« erwiesen sich etwa in Gaza als unzureichend. »Merkava«-Panzer mussten dort nachträglich mit provisorischen Käfigen ausgestattet werden.
Die technischen Fakten sprechen für sich: Drohnen können 200 bis 300 Millimeter Panzerung durchschlagen – genug, um ein Fahrzeug fast aus jedem Winkel zu zerstören. Der Einsatz gepanzerter Konvois gilt daher inzwischen als riskant und veraltet. Mit dem Fortschritt bei KI-gesteuerten Drohnen, Glasfasersteuerung, Wolframsprengköpfen und Schwarmtaktiken verschlechtert sich die Lage für Panzer weiter. Ihr Überleben auf dem modernen Schlachtfeld erscheint zunehmend unwahrscheinlich.
In der Ukraine zeigt sich eine Molekularisierung der Kriegführung: Allgegenwärtige Drohnen schlagen selbst zu oder lenken Artillerie, wodurch größere Panzeraufmärsche nur unter hohen Verlusten möglich und daher selten sind. Statt dessen prägen Strandbuggys, Motorräder und andere schnelle Fahrzeuge das Gefechtsfeld. Hauptkampfpanzer treten nur noch vereinzelt als schwer gepanzerte Pionierfahrzeuge auf – zu verwundbar für die neue Realität.
Die Entwicklung führt zu einer Neubewertung älterer Modelle – selbst einfache Systeme wie der sowjetische T-72 gelten mancherorts wieder als besonders zweckmäßig, weil günstig, robust und aufrüstbar. Westliche Panzer wie der »Leopard 2« oder der M1 »Abrams« mussten teilweise von der Front abgezogen werden. Denn für die Erfordernisse der modernen Kriegführung sind sie zu schwer: Jede wirksame Zusatzpanzerung gegen die Drohnen raubt ihnen die Beweglichkeit.
Die russischen Panzer dagegen haben noch eine Gewichtsreserve. Dort gibt es die sogenannte Mangalpanzerung, die sich evolutionär entwickelt hat: von angeschweißten Metallschuppen hin zu mehrschichtigen Verbundsystemen aus Igel-Eisenstangen, Förderbandgummischürzen sowie Metallgittern und -platten. Diese können mittlerweile Dutzenden Drohneneinschlägen standhalten. Im Westen existiert eine solche pragmatische Lösung nicht – vermutlich, weil sie für Offiziere ästhetisch nicht tragbar erscheint und die Rüstungsindustrie damit keine Milliarden verdienen kann.
Denn die europäische Panzerbeschaffung leidet unter massiver Kostenexplosion: Ein »Leopard 2A8« kostet rund 29 Millionen Euro, ein »Boxer« über 20 Millionen. Schon wenige tausend Fahrzeuge summieren sich auf Dutzende Milliarden. Russland baut vergleichbare T-90M für etwa 4,5 Millionen US-Dollar pro Stück, während Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate günstiger auf Modernisierung alter Panzerbestände setzen. Die einen binden Milliarden in womöglich überholte Technik – andere verschaffen sich Zeit und Flexibilität, um die neuesten Entwicklungen in der Ukraine auszuwerten.
Während in anderen Teilen Europas Milliarden in traditionelle Panzer investiert werden, zeigt das estnische Unternehmen Milrem Robotics mit dem »Havoc 8×8« bereits die Zukunft. Das 15-Tonnen-Fahrzeug besitzt eine 30‑Millimeter‑Kanone, modular erweiterbare Bewaffnung und einen Hybridantrieb – und verzichtet vollständig auf eine Besatzung. Sein Vorteil liegt nicht nur im geringen Gewicht – weniger als die Hälfte eines GTK »Boxers« –, sondern in den Möglichkeiten unbemannter Systeme: Sie können in hochriskanten Umgebungen eingesetzt werden, sparen Kosten und bieten höhere Mobilität.
Die Entwicklung reicht über traditionelle Fahrzeugkonzepte hinaus. China stellte mit dem »Black Panther 2.0« einen Roboterhund vor, der den 100-Meter-Sprint in unter zehn Sekunden schafft und künftig nicht nur Infanterieaufgaben übernehmen könnte. Auch die US-Firma Boston Dynamics arbeitet mit »Spot« an einem vielseitigen vierbeinigen Roboter für urbanes Gelände.
Mit fortschreitender Entwicklung von KI werden Navigation, Kommunikation und Entscheidungsfähigkeit unbemannter Systeme stetig verbessert. Damit könnten koordinierte Schwärme komplexe militärische Operationen übernehmen – und das schon sehr bald.
Dadurch lassen sich traditionelle Panzeraufgaben durch spezialisierte autonome Systeme anders erfüllen: Ein autonomer Festungsbrecher könnte die Besatzungstonnage in andere Eigenschaften umwandeln. Statt eines 60-Tonnen-Kolosses für Infanterieunterstützung würden mehrere kleinere Einheiten aus verschiedenen Winkeln operieren. Aufklärung übernähmen Schwärme kleinerer Scouts. Selbst Sicherungsaufgaben könnten von autonomen Systemen übernommen werden.
Der Wegfall der Besatzung bedeutet eine grundlegende Tonnageumverteilung und eine Designrevolution. Rund zehn Tonnen, die heute für Überlebenssysteme, Ergonomie und Besatzungsschutz benötigt werden, stehen dann für andere Zwecke zur Verfügung. Hinzu kommen kompaktere Designs durch wegfallende menschliche Ergonomieanforderungen. Ein 60-Tonnen-Panzer ließe sich so theoretisch in drei bis vier spezialisierte 15- bis 20-Tonnen-Systeme aufteilen – oder in noch viel kleinere Designs.
Westeuropäische Mächte investieren derzeit Hunderte Milliarden in eine möglicherweise bereits überholte Technologie, während sich die militärische Realität fundamental wandelt. Die Frage ist nicht, ob der traditionelle Panzer obsolet wird, sondern welche Konzepte ihn ersetzen werden. Der Panzer ist tot – doch unbemannt steht seine Wiedergeburt bevor.
Sven Kurz ist freier Journalist und regelmäßiger jW-Autor
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