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Aus: Krieg & Frieden, Beilage der jW vom 27.08.2025
Bomben auf Jemen

Seeblockade und Luftkrieg

Imperialistische Allianz im Einsatz: Jemen zwischen Waffenstillstand und Dauerbeschuss
Von Jakob Reimann
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Vom Lebensmittelwerk bis zur Wasseraufbereitungsanlage: Die westlichen Bomben treffen zumeist zivile Einrichtungen (Sanaa, 24.8.2025)Wasseraufbereitungsanlage: Die westlichen Bomben treffen zumeist zivile Einrichtungen (Sanaa, 24.8.2025)

Seit fast zwei Jahren steht die Republik Jemen wieder in den internationalen Schlagzeilen. Nicht wegen der fortgesetzten humanitären Katastrophe im ärmsten Land der arabischen Welt, das seit 2015 von Saudi-Arabien und Verbündeten mit westlichen Waffen in Schutt und Asche gelegt wird, sondern wegen des Eingreifens der De-facto-Regierung in Sanaa an der Seite der Palästinenser in Israels Vernichtungskrieg im Gazastreifen. Kurz nach Beginn der Angriffe auf die palästinensische Zivilbevölkerung begannen die Ansarollah (im Westen als »Huthis« bezeichnet), Handelsschiffe im Roten Meer ins Visier zu nehmen, die sie mit Israel in Verbindung brachten. Auch Israel selbst sowie westliche Kriegsschiffe vor der jemenitischen Küste wurden mit Raketen attackiert. Israel, die USA und Großbritannien reagierten darauf mit einer ausgedehnten Bombenkampagne gegen das bereits verwüstete Land.

Ende August 2025 griff die israelische Luftwaffe in Sanaa ein Ölterminal, zwei Kraftwerke und den Präsidentenpalast an. Sechs Menschen wurden getötet, 86 verletzt. Kriegsminister Israel Katz drohte anschließend mit einer »Plage der Erstgeborenen«, einer direkten Anspielung auf die zehnte Plage im Buch Exodus. Die Netanjahu-Regierung beteuert nach jedem Angriff, man treffe »Terrorziele«. Doch die Bilanz des Yemen Data Project (YDP) zeigt das Gegenteil: Seit Beginn der israelischen Operation im Juli 2024 dokumentierte es 32 Luftschläge, von denen lediglich einer ein militärisches Ziel traf. Im Mai 2025 wurde ein »Lager der Raketenbrigade« bombardiert. Alle übrigen Angriffe richteten sich gegen zivile Infrastruktur – Häfen, Fabriken, Öl- und Wasserwerke, Flughäfen. Der erste Angriff am 20. Juli 2024 auf den Hafen von Hodeida wurde zugleich der tödlichste: 14 Menschen starben, darunter zwölf Hafenarbeiter, 90 wurden verletzt. Insgesamt forderten israelische Luftangriffe bisher mindestens 39 Tote und 259 Verletzte.

Als Rechtfertigung verweist Israel auf Raketenangriffe der Ansarollah. Zwar wurde die Mehrheit abgefangen, doch im Juli 2024 traf eine Rakete ein Wohngebäude nahe der US-Botschaft, ein Mensch starb. Die Bombardierungen der USA und der Briten ab Januar 2024 hatten einen anderen Vorwand: Sie sollten verhindern, dass die Ansarollah die internationale Schiffahrt im Roten Meer weiter bedrohen. Ab November 2023 griffen diese über 100 Schiffe an, versenkten vier, entführten eines und töteten acht Seeleute.

Die Reaktion der westlichen Koalition fiel verheerend aus. Laut YDP führten die USA und Großbritannien 648 Angriffe durch, die mehrheitlich militärische Ziele trafen, aber immer wieder auch zivile Objekte zerstörten. So bombardierten sie Radiostationen, Sportplätze, Krankenhäuser, Schulen und sogar Wasseraufbereitungsanlagen. Besonders blutig war der Angriff auf ein Ölterminal im Hafen von Ras Issa, bei dem 84 Menschen starben. Im April 2025 attackierten US-Kampfflugzeuge zudem eine Asyleinrichtung für afrikanische Migranten in Saada und töteten mindestens 68 Menschen.

In den USA wächst die Kritik an diesen Interventionen. Präsident Donald Trump hatte im Wahlkampf versprochen, die endlosen Kriege Washingtons zu beenden – ein zentrales Anliegen seiner »Make America Great Again«-Basis. Diese ist jedoch keine einheitliche Bewegung: Während evangelikale Unterstützer bedingungslos an der Seite Israels stehen, gewinnt innerhalb der MAGA-Strömung ein isolationistischer Flügel an Einfluss, der sich konsequent gegen US-Kriegseinsätze in Westasien ausspricht. Trumps Bombardierungen des Jemen – und im Juli 2025 auch des Iran – brachten ihn in Konflikt mit dieser Strömung. Er bemühte sich daher, die Angriffe begrenzt zu halten, und verkündete im Mai 2025 überraschend eine Vereinbarung mit den Ansarollah: Man werde Luftangriffe einstellen, sofern diese ihre Attacken auf Schiffe im Roten Meer beendeten.

Der ursprüngliche Krieg im Jemen ist inzwischen eingefroren. Seit dem Einmarsch der saudisch-emiratischen Koalition am 26. März 2015, der mit weitreichenden Flächenbombardements und Bodenoffensiven begann, wurden die Ansarollah zwar aus einigen zuvor eroberten Gebieten, vor allem aus Aden, verdrängt. Doch die großen urbanen Zentren, darunter Sanaa, blieben unter ihrer Kontrolle. Es folgten Jahre eines blutigen Abnutzungskrieges ohne nennenswerte Frontverschiebungen. Erst mit dem von der UNO sowie von Ägypten, Jordanien und Oman vermittelten Waffenstillstand vom April 2022 trat eine Phase relativer Ruhe ein. Obwohl das Abkommen im Oktober desselben Jahres auslief, hielten sich die Konfliktparteien weitgehend an die Feuerpause. Die Gewalt sank auf ein historisches Tief. Der letzte große saudische Luftangriff fand im Januar 2022 statt, bei dem ein Gefängnis in Saada bombardiert wurde und 87 Menschen starben.

Doch die Grundtatsache bleibt: Vom Lebensmittelwerk bis zur Wasseraufbereitungsanlage ist die Infrastruktur des Landes in weiten Teilen pulverisiert. Über Jahre hinweg haben Saudi-Arabien, die Emirate, später die USA und Großbritannien und nun auch Israel das Land mit Bomben überzogen – vielfach mit Waffen aus Deutschland und anderen europäischen Staaten. Für die kriegsmüde Bevölkerung bedeutet das: Auch wenn die Frontlinien eingefroren sind, bleibt der Himmel voller Gefahr.

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