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Aus: Krieg & Frieden, Beilage der jW vom 27.08.2025
Spanien

Permanente Zwickmühle

Friedens- oder regierungsfähig: Der Streit um Krieg und Aufrüstung ist zur Bewährungsprobe für die spanische Linke geworden
Von Carmela Negrete
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»Gegen NATO und Imperialismus«: Solch klare Haltung ist auch in der spanischen Linken nicht mehr selbstverständlich (Madrid, 26.6.2022)

Die NATO-Gegnerschaft sei in der südeuropäischen Linken »hegemonial« und »identitätsstiftend«, schrieb 2022 die französische Aktivistin Elisa Moros in der Zeitung El Salto. Das sei ein Fehler, argumentierte sie, da die Ukraine ein demokratischeres Land als Russland sei und daher militärische Unterstützung verdiene. Tatsächlich sind sich die Vereinigte Linke (Izquierda Unida, IU) – Teil der Regierung – und Podemos, inzwischen in der Opposition, in ihrer Rhetorik gegen die NATO erstaunlich einig. In der politischen Praxis zeigt sich jedoch ein anderes Bild.

Die Haltung Spaniens zum Krieg in der Ukraine spaltet bis heute die Linke und könnte sogar die Stabilität der Regierungskoalition gefährden. Arbeitsministerin Yolanda Díaz, aus den Reihen der IU und bis 2023 Sprecherin des Bündnisses Sumar, stellte sich offen hinter den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez (PSOE) und seine Entscheidung, Waffen an die Ukraine zu liefern. Podemos hingegen lehnt diesen Kurs entschieden ab und bezeichnet den PSOE als »Partei des Krieges«. Auch der PCE veröffentlichte zwar kritische Erklärungen, doch der damalige Vorsitzende Alberto Garzón unterstützte Díaz und stabilisierte damit die Regierungslinie.

Ein Teil der Debatte bezieht sich auf historische Analogien. Immer wieder wird der Spanische Krieg von 1936 bis 1939 als Vergleich herangezogen: Auch damals sei die Republik vom Faschismus angegriffen worden und habe internationale Hilfe benötigt. Zwar ist dies weder die offizielle Position von IU noch von Podemos, doch es erklärt, warum die Proteste gegen den Ukraine-Krieg weit schwächer ausfallen als etwa gegen den Irak-Krieg 2003. Historisch greift der Vergleich zu kurz: Der Krieg in Spanien war ein Konflikt zwischen Faschismus und Antifaschismus, während der Ukraine-Krieg stärker von geostrategischen Interessen bestimmt ist.

Andere Beobachter verweisen auf Programme der NATO zur »kognitiven Kriegführung«, die ausdrücklich darauf abzielen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. In Spanien soll ein entsprechendes Zentrum in Murcia entstehen. Dass solche Thesen Resonanz finden, liegt an der besonderen Tradition der NATO-Gegnerschaft: 1982 führte schon der Beitritt Spaniens zu großen Protesten, und 1986 formierte sich daraus die Izquierda Unida. Ihre Identität speist sich bis heute aus der Opposition zum Militärbündnis. Doch Spanien ist längst ein unverzichtbarer Teil der westlichen Militärstrukturen.

Bereits in den 1950er Jahren hatte Diktator Francisco Franco den USA die Einrichtung von Basen in Rota und Morón de la Frontera erlaubt. Heute spielen spanische Standorte eine Schlüsselrolle: In Torrejón de Ardoz befindet sich das NATO-Luftoperationszentrum, in Rota liegen US-amerikanische »Aegis«-Zerstörer. Zudem beteiligt sich Spanien an Missionen in Lettland, Rumänien, der Türkei und im Mittelmeer. Spaniens Rolle ist also nicht nur symbolisch, sondern strategisch zentral.

Für die Linke ist das eine permanente Zwickmühle. Beim NATO-Gipfel 2022 in Madrid wurde sie sichtbar: Während Sánchez Gastgeber war und Spanien seine Bündnistreue unter Beweis stellte, organisierten linke Gruppen Gegengipfel und Proteste. Podemos hielt sich damals noch zurück, veranstaltete aber wenig später eine internationale Friedenskonferenz. Diese unterschiedlichen Strategien verdeutlichen den Konflikt zwischen Regierungsverantwortung und Antikriegstradition.

Trotz aller NATO-Kritik trägt die Linke also eine Regierung mit, die sich sicherheitspolitisch am Bündnis orientiert. Besonders problematisch: die NATO-Vorgabe, fünf Prozent der Wirtschaftsleistung für die Aufrüstung bereitzustellen. Offiziell gilt das sogenannte Fünfprozentziel als Zeichen der Bündnistreue, für die Linke jedoch als schmerzhafter Widerspruch zu eigenen Grundsätzen. Viele betrachten dies als das »kleinere Übel« im Vergleich zu einer möglichen Rechtsregierung unter Partido Popular (PP) und Vox.

Gerade an dieser Frage entzündet sich aktuell der härteste Streit: Mehr Geld für Rüstung bedeute zwangsläufig weniger Mittel für Gesundheit, Bildung und soziale Absicherung, warnen Kritiker. Podemos, das 2023 die Regierung verließ, warnt vor einer »Militarisierung« der Politik und vor dem Verlust linker Identität. IU wiederum betont, die Verpflichtung zum Fünfprozentziel sei nicht bindend, und man lehne eine umfassende Aufrüstung ab.

Damit bleibt offen, ob die spanische Linke einen eigenständigen friedenspolitischen Kurs entwickeln kann, solange sie zugleich regierungsfähig bleiben will. Der Streit um Krieg, Frieden und Aufrüstung ist zu einer entscheidenden Bewährungsprobe für die gesamte Linke geworden – und dürfte Spaniens Politik noch lange prägen.

Carmela Negrete ist Journalistin in Berlin und schreibt regelmäßig über spanische Innen- und Außenpolitik für die Tageszeitung junge Welt

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