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Aus: Krieg & Frieden, Beilage der jW vom 27.08.2025
Polnischer Militarismus

Wieder mal siegen

Polen: Während die Regierung plant, ihre Armee zur stärksten in NATO-Europa zu machen, blüht ein volkstümlicher Eventmilitarismus. Friedensbewegung praktisch nicht vorhanden
Von Reinhard Lauterbach
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»Der Krieg wird eventisiert«: Zu besonderen Anlässen werden auch schon mal die Uniformen der »glorreichen« 1920er aus der Mottenkiste geholt (Limanowa, 29.3.2025)

Der 15. August war in Polen Feiertag – und gleich ein doppelter. Die Katholiken feierten Mariä Himmelfahrt und die Patrioten den »Tag der polnischen Armee«. Das Datum erinnert an den Abwehrsieg polnischer Streitkräfte östlich von Warschau gegen die Rote Armee, die polnische Truppen innerhalb von sechs Wochen von Kiew bis an die Weichsel zurückgeworfen, aber dabei ihre Flanken überdehnt hatte. Gerade ist in Ossowo, wo vor 105 Jahren die Schlacht tobte, ein ihr gewidmetes Museum eröffnet worden. Redner aus dem Umkreis des »Instituts für Nationales Gedenken« priesen die epochale Bedeutung dieser Schlacht, die tatsächlich das Ende der sowjetischen Hoffnungen bedeutete, doch noch eine Revolution in Mitteleuropa anstoßen zu können: Polen habe seine eigene Souveränität und gleichzeitig ganz Europa vor der »bolschewistischen Barbarei« gerettet usw.

In diesem Jahr saßen wieder Zehntausende von Zuschauern auf den Abhängen unterhalb der Altstadt von Warschau, um der traditionellen Militärparade aus Anlass des Militärfests zuzusehen. Und sie bekamen diesmal etwas geboten: die größte Parade der polnischen Armee seit Jahren, mit Hunderten Soldaten in Paradeuniformen und im Gleichschritt, von den Fernsehkommentatoren vorgestellt als »die Repräsentationskompanie des zweiten Lufttransportregiments«, der Militärtechnischen Akademie, der 1. Brigade der gepanzerten Kavallerie und welcher anderer Einheiten noch. Jeweils mit namentlicher Nennung des Fahnenträgers.

Anderthalb Stunden ging das so, und es war wie auf der Siegesparade in Moskau am 9. Mai: derselbe inhaltsleere Jubelton, dieselbe reflexionsfreie Vorstellung von Panzern, Haubitzen, Radarfahrzeugen, mobilen Feuerleitständen und was moderne Militärtechnik noch alles zu bieten hat. Nur Sanitätsfahrzeuge wurden nicht gezeigt. Dutzende Flugzeuge donnerten in Dreierformationen im Tiefflug die Weichsel entlang; die Bundeswehr hatte drei »Eurofighter« geschickt. Gleichzeitig demonstrierten vor der Ostseehalbinsel Hel 30 Einheiten der polnischen Marine in Kiellinie Anspruch auf Seemacht – wenigstens in der Ostsee. Kaliningrad ist nicht weit, Polen bestreitet seit einigen Jahren die russische Souveränität über die Region und nennt Kaliningrad offiziell wieder »Królewiec«, genau wie Litauen Straßenschilder in Richtung der russischen Exklave mit »Karaliaučius« beschriftet. Beide Bezeichnungen sind abgeleitet von der sprachlichen Wurzel für »König«, bedeuten also praktisch »Königsberg«.

Das Militärische ist in Polen absolut positiv kodiert. Jede Stadt hat eine Allee, einen Platz oder wenigstens eine Straße »Wojska Polskiego«, der polnischen Armee gewidmet. Obwohl das Land im Zweiten Weltkrieg, dessen Fronten sich zweimal über es hinwegwälzten, zerstört wurde wie kaum ein anderes, hat die staatliche Propaganda die Leiden des Krieges in den Hintergrund treten lassen, hinter den Ruhm des Sieges. Nur, dass es an der Seite der sowjetischen Armee kämpfende polnische Soldaten waren, die an der Eroberung von Berlin beteiligt waren, wird nicht besonders betont. Denn das waren die »falschen« Polen und die falschen Soldaten; ihre Veteranen kämpfen vergeblich um öffentliche Anerkennung, wenn sie ihre Jahrestage begehen. Die Generation, die den Krieg noch erlebt hat, ist inzwischen im wesentlichen verstorben, die steinalten Männer – und wenigen Frauen –, die noch mitgekämpft haben, werden jedes Jahr weniger. Von ihnen sind immerhin gelegentlich Warnungen vor den Grauen des Krieges zu hören gewesen, die Hoffnung, die Jungen »müssten das nicht erleben«.

Gern gehört wurde das nicht. Man gewinnt den Eindruck, die Polen liebten es, Krieg zu spielen. Überall treten »Rekonstruktionsgruppen« auf, die historische Schlachten nachstellen, ob Grunwald/Tannenberg 1410, den Großpolnischen Aufstand von 1918/19 oder den Warschauer Aufstand von 1944. In nachgemachten Ritterrüstungen, hoch zu Ross und mit Adlerschwingen am Harnisch, wie die polnischen Husaren des 17. Jahrhunderts, in etwas zu sauberen und weder angesengten noch durchlöcherten Uniformjacken. Die Stahlhelme aus der Requisitenkammer glänzen in der Sonne, der Platzpatronenrauch wabert ins Publikum, mischt sich mit dem vom Würstchengrill am Rande der Veranstaltung. Der Krieg wird eventisiert, die Leute gehen hin, weil es etwas zu erleben gibt, und verschwenden keinen Gedanken daran, wie sie im Kriegsfall vorkommen würden: als Menschenmaterial staatlicher Durchsetzung. Das Fernsehen zeigt zwar jeden Abend Bilder von zerstörten Häusern und weinenden Frauen in der Ukraine, aber das wird immer kommentiert als Ausweis russischer Barbarei, nie als das, wie Krieg eben in der Realität aussieht.

In einer der zahllosen TV-»Diskussionen« zum Militärfeiertag dieses Jahres sagte einer der Teilnehmer, die Waffenshow solle junge Leute motivieren, der Armee beizutreten. Denn damit hapert es, obwohl die Regierenden Großes vorhaben: Sie wollen die Streitkräfte des Landes auf 300.000 aktive Soldaten plus Reservisten plus eine Territorialverteidigung von 150.000 Mann aufrüsten. Dafür ist keine Milliarde zu schade. Fünf Prozent des Sozialprodukts wollte die PiS-Regierung und will das Tusk-Kabinett Jahr für Jahr für die Rüstung ausgeben.

Darin nehmen sich die politischen Lager nichts. Panzer werden en gros gekauft, unabhängig von der Frage, wie sinnvoll es wäre, mehrere Kampfpanzerfamilien nebeneinander zu haben: in Polen modernisierte deutsche »Leopards«, amerikanische »Abrams« und jetzt auch noch bis zu 1.000 K2-Panzer aus Südkorea. Letztere vermutlich, weil die Koreaner Lieferkapazitäten hatten und mit schneller Verfügbarkeit winkten. Wie im Kriegsfall die Ersatzteillogistik um den halben Globus – und um das Gebiet des potentiellen Hauptgegners herum – abgewickelt werden soll, fragt niemand. Jedenfalls nicht öffentlich. Die Munitionsindustrie bekam die Aufgabe zugewiesen, eine Million 155-Millimeter-Granaten pro Jahr auszustoßen, eine weitere Million Stück kleinerer Kaliber dazu.

Und niemand bis auf ein paar versprengte Sozialaktivisten und Altlinke sagt ein Wort dagegen. Das Thema der Militärausgaben ist in der öffentlichen Diskussion tabu. Eine Friedensbewegung gibt es nicht. Der einzige Lichtblick: In Meinungsumfragen haben bisher nur etwa 30 Prozent der befragten Polinnen und Polen ihre Bereitschaft erklärt, tatsächlich im Kriegsfall das Gewehr in die Hand zu nehmen. Die meisten erklärten, sie würden versuchen, aus dem Land zu fliehen oder sich irgendwo auf dem Land zu verkriechen. Hoffnungen der Hilflosigkeit.

Reinhard Lauterbach ist freier Journalist und lebt in Polen. Er schreibt regelmäßig für die Tageszeitung junge Welt, unter anderem über polnische Innen- und Außenpolitik

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