Drohnen statt Pflugscharen
Von Lars Lange
Im Juli 2025 erreichten die russischen Drohnenangriffe auf die Ukraine einen neuen Höhepunkt. Nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe feuerte Russland in diesem Monat 6.297 Drohnen und 148 Raketen ab – durchschnittlich 203 Drohnen täglich, ein Bombardement von beispielloser Intensität. Am 9. Juli kam es mit 728 Drohnen und 13 Raketen zum größten Einzelangriff seit Kriegsbeginn, in der Nacht zum 21. August zu einem weiteren Großangriff mit 574 Drohnen und 40 Raketen. Die Zahlen verdeutlichen eine bemerkenswerte industrielle Entwicklung: Aus rund 200 »Geran-2«-Drohnen pro Monat im Sommer 2023 wurden inzwischen über 200 pro Tag. Aus den Iran-Importen der ersten Kriegsmonate ist eine voll industrialisierte Waffenproduktion geworden.
Im Zentrum dieser Produktionssteigerung steht die »Geran-2«, Russlands Version der iranischen »Shahed 136«-Drohne. Was einst sporadische Angriffe waren, entwickelte sich zu einem systematischen nächtlichen Bombardement ukrainischer Ziele. Dahinter steht ein weitverzweigtes industrielles Netzwerk. Laut ukrainischen Angaben (die russische Seite hält sich mit der Veröffentlichung von Informationen zurück) sind rund 900 Unternehmen in die Drohnenproduktion eingebunden. Siebzig Prozent davon seien kleine oder mittelgroße Betriebe, die Gesamtbelegschaft der Drohnenherstellung wird auf 7.000 Menschen geschätzt. Zwischen 2022 und 2025 habe Russland umgerechnet mindestens drei Milliarden US-Dollar speziell für die Entwicklung seiner Drohnenindustrie bereitgestellt. Für die kommenden drei Jahre plane Moskau weitere Investitionen von 1,38 Milliarden US-Dollar, um die Produktion weiter hochzufahren.
Die ukrainische Regierung sieht die Verschleierung der tatsächlichen Investition durch sogenannte zivile Programme als Schlüsselelement der russischen Strategie. Die entsprechende Rüstungsindustrie würde offiziell als Entwicklung von Drohnen für die Landwirtschaft getarnt. Diese Taktik zeige messbare Erfolge: Zwischen 2023 und 2024 sei die Gesamtproduktion von Drohnen um mindestens das 2,5fache gestiegen, die Herstellung von Langstreckendrohnen sogar um das Fünffache.
Zusätzlich investiere Russland laut ukrainischen Angaben von 2025 bis 2027 weitere 260 Millionen US-Dollar in den Aufbau spezieller Forschungszentren für Drohnen, die über das gesamte Territorium verteilt würden.
Das Herzstück der russischen Drohnenproduktion liegt in der Sonderwirtschaftszone Alabuga in der Republik Tatarstan, etwa 1.100 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Dort wurde die weltgrößte Fabrik für die Fluggeräte errichtet. Im Juli gewährte das russische Verteidigungsministerium erstmals detaillierte Einblicke in die Produktionsstätten der »Geran-2«-Drohnen. Die vom Militärsender Zvezda veröffentlichten Aufnahmen zeigen endlose Reihen mattschwarz lackierter Kampfdrohnen. Die »Geran-2«-Produktion werde von der russischen Firma Albatros geleitet, die sich zuvor als Hersteller von Landmaschinen ausgegeben habe, so ukrainische Angaben.
Neben Alabuga existiert ein zweiter wichtiger Produktionsstandort in Ischewsk, wo die »Geran«-ähnlichen »Garpiya-1«-Drohnen im Kupol-Werk gefertigt werden. Diese haben andere Konfigurationen und Montageverfahren als die »Geran-2«.
Zur Arbeitskräftebeschaffung setzt Russland auf internationale Rekrutierung. Über das Onlineprogramm »Alabuga Start« werben die Russen Arbeiter aus 44 Ländern an, darunter Uganda, Mosambik, Kolumbien, Mali und weitere afrikanische sowie lateinamerikanische Staaten. Besonders bedeutsam scheint die nordkoreanische Beteiligung: Am Rand der Sonderwirtschaftszone sei ein umzäuntes Arbeitslager errichtet worden, in dem bis zu 25.000 nordkoreanische Arbeiter die »Geran-2«-Produktion unterstützen würden.
Ein zentrales Element der russischen Strategie ist das Konzept der »strategischen Tiefe«: Die Verteilung von Drohnen- und Komponentenherstellung über das gesamte Territorium soll verhindern, dass ukrainische Langstreckenangriffe die gesamte Produktionskette lahmlegen können.
Diese dezentrale Produktionsstrategie schien aufzugehen – bis sich ausgerechnet am 1. August 2025 eine überraschende Wende ereignete. Nach den Rekordangriffen des Juli mit täglich über 200 Drohnen gingen die Einsätze drastisch zurück. Seither waren nur sechs Angriffe mit dreistelligen Drohnenzahlen zu verzeichnen, der größte Einzelangriff umfasste 280 Drohnen.
Das genaue Datum des Rückgangs wirft Fragen auf: Möglich sind eine bewusste Vorratshaltung für Großoperationen, technische Probleme oder Engpässe bei Komponenten. Eine weitere Spekulation betrifft die mögliche Umstellung der Produktion auf eine neue Generation. Die Entwicklung einer »Geran-3« mit Strahlantrieb könnte die temporäre Reduzierung der Angriffe erklären, während die Fertigungslinien auf das Nachfolgemodell umgerüstet werden. Mit dem verstärkten Einsatz nordkoreanischer Arbeiter könnte die Produktion in den kommenden Monaten nochmals drastisch ansteigen und die geplanten 79.000 Drohnen für 2025 möglicherweise deutlich übertreffen.
Lars Lange ist freier Autor und schreibt regelmäßig in der jungen Welt zu militärischen Fragen
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