Volle Ladung Ethik
Von Ralf Wurzbacher
Bei Helsing sucht man »Menschen, die ihr Herz am rechten Fleck haben«. Dimitri, Nikita und Ivan kommen nicht in Frage. Ihre Herzen hat es beim Einschlag einer HX-2-Kamikazedrohne herausgerissen. Die produziert das Münchner Unternehmen zu Tausenden, insbesondere zur Bekämpfung russischer Truppen im Ukraine-Krieg. Und während auf dem Schlachtfeld das Blut fließt, sprudeln am Münchner Firmensitz die Profite – mit »höchsten ethischen Standards« und »zum Schutze unserer Demokratien«. Das vor vier Jahren gegründete Startup ist das derzeit bestbewertete in Deutschland; schätzungsweise schon zwölf Milliarden Euro schwer und immer noch im Kommen.
Jüngst gingen Inhalte eines »streng geheimen« Konzepts zur Entwicklung unbemannter Luftkampfsysteme durch die Gazetten, mit immenser Bombenfracht bestückbar und dem Potential, Konkurrenten wie Airbus und Rheinmetall gefährlich zu werden. Angeblich sollte eine Veröffentlichung im Handelsblatt unbedingt verhindert werden, aus Sorge vor »gravierenden Schäden« für Helsing und die BRD. Der Bericht erschien trotzdem, am 5. August, nachdem es nur fünf Tage zuvor einen spektakulären Führungswechsel in der Marketing- und Kommunikationsabteilung gegeben hatte. Die leitet seit Monatsanfang Johannes Boie. Er war früher Chefredakteur von Bild und der Welt am Sonntag, sprang also von Springer direkt ins Bett mit einer Rüstungsschmiede.
Dort geht es kuschelig und herzlich zu. »Helsing steht für technologische Souveränität und demokratische Resilienz«, gab der 41jährige bei seiner Vorstellung zum Besten: »Die Werte des Unternehmens stimmen mit meinen überein.« Er bringe die Fähigkeit mit, das ambitionierte »Technologieunternehmen verantwortungsbewusst und kraftvoll zu positionieren, auch in der gesellschaftlichen Debatte«, schwärmten die beiden CEOs Torsten Reil und Gundbert Scherf anlässlich der Personalie. Nur wenige Tage darauf platzte unter Boies Ägide die Bombe, dass man an einem nie dagewesenen Drohnenbomber bastele, was aber keiner wissen dürfe. So etwas nennt man wohl Einstand nach Maß.
Helsing ist Deutschlands Himmelsstürmer auf dem Gebiet moderner Waffentechnologie. Im Juni gab das auf künstliche Intelligenz (KI) spezialisierte Unternehmen bekannt, weitere 600 Millionen Euro bei einer Reihe potenter Geldgeber eingesammelt zu haben, angeführt von der Investmentgesellschaft Prima Materia des Spotify-Gründers Daniel Ek. Von Haus aus ist Spotify ein Streamingdienst für Musik. Heute ist der Krieg tonangebend und lässt Investoren tanzen. Mit der neuesten Spritze haben die Münchner seit 2021 über 1,3 Milliarden Euro an Fremdkapital aufgetrieben. Mit im Boot sitzt unter anderem die schwedische SAAB AB, einer der größten Rüstungskonzerne weltweit und Hersteller des Kampfjets »Gripen«. Der soll demnächst mit Helsings KI-Agent »Centaur« auf die Jagd gehen.
Zu Helsings Produktportfolio gehören daneben die »Recce/Strike-Plattform Altra«, ein softwarebasiertes Verbundsystem zur Zielidentifikation und -bekämpfung, sowie das System »SG-1 + Lura«, bei dem ein ganzer Drohnenschwarm zur Unterwasseraufklärung von der Leine gelassen wird. Die gerade »durchgesickerten« Pläne sehen Drohnenflotten mit über 1.000 Kilometer Reichweite vor, die selbständig aufklären und Aufgaben klassischer Kampfjets übernehmen sollen, also Angriffe auf Bodenziele, Luftkämpfe und Feindaufklärung. Mithilfe der Anfang Juni verkündeten Übernahme des deutschen Flugzeugbauers Grob Aircraft will Helsing die Fluggeräte offenbar komplett selbst fertigen. Wie es heißt, bringt sich das Unternehmen damit womöglich als Alternative zum »Future Combat Air System« in Position. Der geplante Cyberkampfjet in deutsch-französischer Koproduktion droht an Streitigkeiten zwischen Airbus und Dassault Aviation zu scheitern.
Drohnen und KI sind der Renner auf den aktuellen und kommenden Kampfplätzen der Erde. Sie verheißen chirurgische Präzision beim Töten und Zerstören sowie null menschliche Verluste auf seiten der Bediener der Waffensysteme. Damit sind sie bestens geeignet, Krieg als Mittel der Politik noch attraktiver zu machen. Vor allem hiesige Jungunternehmer beweisen viel Innovationsgeist beim Business mit dem Tod aus heiterem Himmel. Neben Helsing mischen mit Quantum Systems und Stark Defence zwei weitere deutsche »Hoffnungsträger« in der ersten Liga der Drohnenindustrie mit. Die Stark-Kamikazedrohne »Virtus« ist seit April auf dem Markt und kommt bereits »probeweise« in der Ukraine mit dem Ziel zum Einsatz, »unsere demokratischen Werte zu verteidigen«.
Das will auch Helsing-CEO Scherf und noch viel mehr. Der Firmenmitbegründer war bis Ende 2016 Beauftragter für die strategische Steuerung nationaler und internationaler Rüstungsaktivitäten der Bundeswehr im Bundesministerium der Verteidigung und davor sowie danach für die Unternehmensberatung McKinsey tätig. Für die NATO-»Ostflanke« visioniert er einen mächtigen »Drohnenwall«, bestehend aus Zehntausenden Flugobjekten, unterstützt durch Satelliten und andere Aufklärungssysteme. Es sei ein »bisschen paradox, aber gerade autonome Systeme sind für Demokratien gemacht«, beschied er im Frühjahr gegenüber dem Handelsblatt. »Wir schätzen das Leben, wir leben auch alle gerne ein gutes Leben. Ich glaube nicht, dass unsere Demokratien einen Abnutzungskrieg, der viele Menschenleben kostet, führen können oder wollen.«
So, so! Die Russen dagegen stehen auf so etwas, klang da ungesagt mit, und irgendwie schätzen die auch das Leben nicht, wie überhaupt alle Demokratiefeinde. So fällt das Mordsgeschäft schon viel leichter.
Ralf Wurzbacher ist freier Autor und schreibt regelmäßig für die Tageszeitung junge Welt über Wirtschafts- und Sozialpolitik
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