»Das war ein Schock für die Mitarbeiter«
Von Kristian Stemmler
Wie an anderen Forschungseinrichtungen gibt es auch am Deutschen Elektronen-Synchrotron, Desy, Überlegungen, für militärische Zwecke zu forschen. Wie kam es dazu?
Desy ist ein Institut der Grundlagenforschung, 1959 in Hamburg gegründet mit dem Ziel, Elementarteilchenphysik zu betreiben. Es war immer klar, dass dort nur für zivile Zwecke geforscht wird. Doch vor gut einem Jahr hat das Direktorium auf einer Belegschaftsversammlung angekündigt, einen internen Prozess zu starten, um die Rolle des Desy »bei der Verteidigung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung« zu überdenken. Das kam für fast alle Mitarbeiter wie ein Schock, weil niemand damit gerechnet hatte, dass eine solche Diskussion überhaupt stattfinden würde.
Der Vorstoß des Direktoriums ist ja offenbar Ausdruck eines allgemeinen Umdenkens in der Wissenschaft, was das Verhältnis zum Militär angeht. Wie sehen Sie das?
Kurz zuvor hatte ein Positionspapier des Bundesforschungsministeriums empfohlen, die Trennung von ziviler und militärischer Forschung aufzugeben. Das ist selbstverständlich vor dem Hintergrund des Krieges gegen die Ukraine zu sehen, mit dem sich die Wissenschaftspolitik generell geändert hatte. Das ging damals recht schnell. So wurde einen Tag nach dem Einmarsch in die Ukraine von den Wissenschaftsorganisationen verfügt, dass wissenschaftliche Kooperationen ausgesetzt werden sollten. Desy ist da sogar noch weiter gegangen: Russische Wissenschaftler mussten die Institute verlassen, und selbst die, die seit über 20 Jahren bei Desy waren, durften die E-Mail-Adressen nicht mehr nutzen. Es durfte keine Konferenzen mehr geben mit russischen Wissenschaftlern.
Sie haben damals als Reaktion die Gruppe »Science4Peace« gegründet.
Ja, weil wir die Ausgrenzung und Abschottung fatal und verkehrt fanden. Desy hatte in seiner Geschichte immer viele internationale Verbindungen zu Wissenschaftlern aus anderen Ländern gehabt, darunter auch viele Verbindungen zu Wissenschaftlern aus der Sowjetunion und der DDR, dann später aus Russland.
Nach dem Vorstoß des Desy-Direktoriums hat die Gruppe dann eine Petition mit dem Titel »Not in our name« (Nicht in unserem Namen) ins Internet gestellt. Mit welcher Botschaft?
Wir haben uns gegen die Neuorientierung in der Wissenschaftspolitik gewandt, die von einer Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung nichts mehr wissen will. Sie befindet sich im grundlegenden Widerspruch zum Geist, der nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs aufgekommen war. Am Forschungszentrum CERN in Genf zum Beispiel fordert die Satzung von 1954 ausdrücklich, dass es »keine Forschung für militärische Anforderungen geben darf«, und bei Desy in Deutschland legen die Leitlinien fest, dass die Forschung »zivilen und friedlichen Zwecken« zu dienen hat.
Wie war das Echo auf den Aufruf?
Die Petition wurde innerhalb kurzer Zeit von mehr als 350 Mitarbeitenden von Desy unterschrieben, das sind mehr als zehn Prozent der Belegschaft von rund 3.000 Mitarbeitenden. Das ist schon eine sehr beachtliche Anzahl, vor allem weil in der Petition explizit steht, dass sich die Unterzeichner verpflichten, an keinerlei Projekten für militärische Zwecke mitzuarbeiten. Diese Selbstverpflichtung hat manche davon abgehalten zu unterzeichnen, weil sie Angst hatten, das könnte berufliche Konsequenzen haben.
Für welche militärischen Zwecke könnte denn bei Desy überhaupt geforscht werden?
Der Teilchenbeschleuniger PETRA III liefert hochenergetische Röntgenstrahlen, die für Materialuntersuchungen genutzt werden können. Im vergangenen November hat der Leiter einer Beamline bei einer Veranstaltung mitgeteilt, dass es bereits Anträge zu Untersuchungen gegeben habe, die abgelehnt worden seien. Bei einem der abgelehnten Anträge ging es um Untersuchung von Material bei hohem Neutronenbeschuss, ein Material, das zur Ummantelung von Kernwaffen verwendet wird. Das war mit unserem Leitbild logischerweise nicht vereinbar.
Hält das Direktorium ein Jahr nach seinem Vorstoß noch an der geplanten Öffnung der Forschung für militärische Zwecke fest?
Ja. Es wurden inzwischen Kommissionen eingesetzt, die etwas dazu erarbeiten sollen. Anträge, die »verteidigungsrelevante Forschung« erfordern, sollen künftig zugelassen werden. Einer der Direktoren hat kürzlich sogar deutlich gemacht, dass es nicht um »Dual use«-Forschungen geht, also solche, die gleichermaßen für zivile und militärische Zwecke nutzbar ist, sondern um »Single use«-Forschungen, also solche für rein militärische Zwecke. Das ist eine völlig neue Qualität.
Gerade in der aktuellen Debatte um eine Kooperation mit Israel wird deutlich, wie wichtig eine klare Positionierung bei dem Thema ist. Vor zwei Tagen haben die Alexander-von-Humboldt-Stiftung und der DAAD eine Stellungnahme veröffentlicht, in der die humanitäre Situation in Gaza beklagt wird. Darin steht aber auch, dass die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Israel nicht in Frage gestellt werden darf. Wenn man das damit vergleicht, wie mit Russland nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs verfahren wurde, wird eine ziemlich klare Doppelmoral deutlich.
Hannes Jung hat als Experimentalphysiker am Deutschen Elektronensynchroton (Desy) in Hamburg gearbeitet und ist Sprecher der Gruppe Science4Peace
Kristian Stemmler ist freier Journalist und schreibt regelmäßig für die Tageszeitung junge Welt
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.