Euphorie und Repression
Von Oliver Wiebe, Fanhilfe Magdeburg
Mit dem Beginn der neuen Saison in den deutschen Fußballligen kehrt nicht nur die Vorfreude auf packende Spiele und emotionale Stadionatmosphäre zurück – auch alte Konfliktlinien treten erneut in den Fokus. Denn während DFL und DFB sich öffentlich mit der großen Begeisterung der Fans am Massensport Fußball schmücken, geraten die Bürgerrechte von Fußballfans immer mehr unter Druck: Anhaltende Repression, mangelnde Transparenz von Polizeieinsätzen sowie gewalttätige Übergriffe durch Polizistinnen und Polizisten schränken die Fanszenen massiv ein. Dabei wollen alle Fans doch nur eines: Ihr Team bestmöglich unterstützen – laut, geschlossen und möglichst kreativ.
Noch immer gelten Fußballfans – insbesondere jene aus den Ultragruppen – als latente Sicherheitsgefahr. Ihr selbstorganisiertes Engagement für eine breite Kurvenkultur, soziale Projekte oder Vereinsdemokratie trifft nicht selten auf Misstrauen von Behörden, Verbänden und Medien. Zugleich nutzen Landespolizeien und Innenministerien das Stadionumfeld als besonderes Experimentierfeld für freiheitseinschränkende Maßnahmen und Repression. Was an Fußballfans getestet wird, findet später massenweise Verwendung gegen sämtliche unliebsame Gruppen, die gegen das herrschende System aufbegehren. Dazu gehörten Aufenthaltsverbote und Meldeauflagen, anlasslose Personenkontrollen, Videoüberwachung und Livetracking von Bewegungsdaten, Begleitung durch Polizeiketten und stundenlange Polizeikessel – Repression als Normalität.
Es geht der Polizei nicht mehr nur darum, Wochenende für Wochenende Fußballfans in Polizeikesseln stundenlang festzusetzen und damit in Sippenhaft zu nehmen. Es soll auch weiter an der digitalen Überwachung durch den Staat gewerkelt werden. Ein großer Vorstoß zur Massenüberwachung geht dabei von Bundesinnenminister Dobrindt (CSU) aus, der sein Ministerium den Einsatz der US-amerikanischen Überwachungssoftware »Palantir« prüfen lässt. Die Software analysiert Daten von Bürgern heimlich. Sie bekommen nichts davon mit, dabei werden u. a. Gesundheitsdaten, Daten des Ordnungsamts und der Polizei zusammengeführt. Die Software wird durch eine private Firma vermarktet, die Peter Thiel führt – einer der Hintermänner der rechtsautoritären Wende in den USA. Fußballfans sehen sich als potentielle Opfer dieser digitalen Überwachung und haben sich einer Verfassungsbeschwerde gegen die Einführung von »Palantir« in Bayern angeschlossen. Ein Mitglied der Fanhilfe von der SpvGG Fürth beteiligt sich als Beschwerdeführer gegen die systematische Datenauswertung der bayrischen Polizei. Ein Sprecher der Fanhilfe beschreibt, was jetzt droht: »Die Erfahrung zeigt: Wer zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen ist, kann bereits ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten. Dies verstößt gegen rechtsstaatliche Prinzipien und ist im Kern abzulehnen.«
Ein besonders scharfes Schwert gegen aktive Fanszenen ist aber das vielfach angewendete Mittel des Stadionverbots. Es kann von Vereinen oder Verbänden ausgesprochen werden, oft ohne gerichtliche Überprüfung oder Einspruchmöglichkeit. Im August 2024 seien, laut DFB, knapp 600 bundesweit wirksame Stadionverbote in Kraft gewesen – viele davon rein präventiv, also ohne Gerichtsentscheidungen. Diese Praxis hebelt rechtsstaatliche Grundprinzipien wie die Unschuldsvermutung aus. Im vergangenen Herbst haben die Innenminister sowie der DFB dann weitere Verschärfungen bei der Vergabe von Stadionverboten angekündigt. Auf einem sogenannten Sicherheitsgipfel wurde ein direkter Angriff auf die freie und selbstbestimmte Fankultur in den Stadien beschlossen, die maßgeblich dazu beiträgt, dass jedes Wochenende Hunderttausende Fans in die Stadien kommen. Die Umsetzung dieser radikalen Pläne wird aktuell ziemlich stark vorangetrieben: Stadionverbote sollen durch den DFB mit der Gießkanne ohne Einfluss der Vereine verteilt werden. Anhörungen der Beschuldigten sowie das Mitspracherecht der Vereine und Fanbetreuer sollen wegfallen. Außerdem sollen Einlasskontrollen möglichst nur noch mit Gesichtserkennung und personalisierten Eintrittskarten stattfinden. Fanhilfen im ganzen Land und mit ihnen die Fans in den Kurven, so der Dachverband der Fanhilfen, werden sich diesen Angriffen gegen die Fankultur entgegenstellen und laut ihre Stimme erheben.
Das Fußballstadion dient als Versuchslabor für Maßnahmen, die andernorts massive Proteste hervorrufen würden: Gesichtserkennung, Drohnenüberwachung, Staatstrojaner, großflächige Funkzellenabfragen. Es wäre jedoch falsch, ein ganz und gar düsteres Bild zu zeichnen. In zahlreichen Fällen konnten Fans juristische Erfolge erringen. Der Dachverband der Fanhilfen ist seit 2021 ein großes Sprachrohr für die Interessen von Fußballfans in Deutschland. Die Interessensgemeinschaft von knapp 25 Fanhilfen aus dem gesamten Bundesgebiet legt den Finger in die Wunde und dokumentiert massive Grundrechtseingriffe der Polizei gegen Fans. Der Dachverband hat allein 24 Spiele in der letzten Saison aufgelistet, wo die Polizei bewusst Einsätze hat eskalieren lassen. Linda Röttig, Vorstand im Dachverband, sagt mit Blick auf die umfangreiche Sammlung von überzogenen Polizeieinsätzen: »Wir müssen feststellen, dass Fans vielfach einem ungezügelten Polizeiapparat ausgesetzt sind. Wir beobachten, dass durch polizeiliches Handeln der Stadionbesuch von größeren Gruppen am Spieltag trotz des Besitzes von Eintrittskarten zunehmend verhindert wird. Solche Einsätze werden durch eine sich immer weiter radikalisierende Rhetorik von politischer Seite, mit der über Fans gesprochen wird, legitimiert. Deshalb brauchen wir dringend eine Trendumkehr.«
Die von der Polizei selbst geführten Statistiken zu Einsätzen beim Fußball sprechen eine ganz andere Sprache: Die Zahlen zeigen, dass die Anzahl der Straftaten und Verletzungen bei Fußballspielen im Promillebereich liegen. Das Risiko, beim Fußballspiel verletzt zu werden, lag in der Saison 2022/23 bei 0,005 Prozent. Auf ca. 24 Millionen Zuschauer der ersten drei Ligen plus DFB-Pokalspiele kamen somit ca. 1.200 Verletzte. Beim Münchner Oktoberfest, was zuletzt von knapp 6,7 Millionen Besuchern frequentiert wurde, gab es über 5.000 Verletzte. Das ist ein beliebter Vergleich, der von Fanhilfen herangezogen wird und doch viel zuwenig gehört wird. Was zählt, ist offenbar nur die politische Profilierung von Innenministern, die sich auf dem Rücken von Fußballfans als Sicherheitsbringer stilisieren statt Statistiken und Zahlen zu analysieren.
Viele Medien berichten über Krawalle, Chaoten oder sogar bürgerkriegsähnlichen Zuständen in den Stadien, was völlig überzogen ist. Die große Mehrheit der Spiele verläuft aber friedlich. Was sich Fans wünschen, erklärt Linda Röttig für die Fanhilfen: »Wir fordern, dass Fans nicht länger als Problemfälle und Schwerstkriminelle betrachtet werden. Die Hetze gegen Fußballfans muss ein Ende haben! Vielmehr braucht es ein Bekenntnis, die Rechte aller Fußballfans zu stärken und eine freie sowie selbstbestimmte Fankultur zu akzeptieren.«
Die Fanhilfen fordern die Abschaffung präventiver Stadionverbote sowie die Einstellung der undurchsichtigen Datei »Gewalttäter Sport«, die auch von Datenschützern seit Jahren kritisiert wird. Fanrechte sind keine Sonderrechte – sie sind Bürgerrechte. Wer das Stadion als gesellschaftlichen Raum ernst nimmt, muss auch dessen politische Dimension anerkennen. Fans sind keine Feinde der Ordnung, sondern ein unverzichtbarer Teil einer lebendigen Fußballkultur. Wenn ihnen der Zugang zum Stadion verwehrt wird, ist das nicht nur ein Angriff auf die Kurve – es ist ein Angriff auf eine demokratische Selbstverständlichkeit.
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Sport
-
Wunsch und Wirklichkeit
vom 13.08.2025 -
Bis zur nächsten Schlappe
vom 13.08.2025