Traditionalisten und Romantiker
Von René Lau
Mitte August ist es wieder soweit: Nach dem Start der Regionalliga Ende Juli kehrt der große Fußball zurück ins Leben der Fans. Es ist noch nicht die Bundesliga, aber die zweite und dritte Liga sind bereits in vollem Gange. Die Vorfreude ist riesig, und angesichts der zahlreichen Traditionsvereine strömen wie erwartet massenhaft Anhängern in die Stadien. Spiele wie Schalke 04 gegen Hertha BSC, 1. FC Magdeburg gegen Eintracht Braunschweig in der zweiten Bundesliga, Erzgebirge Aue gegen Hansa Rostock oder Rot-Weiss Essen gegen 1860 München in der dritten Liga lassen das Herz eines jeden Fußballtraditionalisten höher schlagen. Auch die Vereine der Bundesliga starten in diesen Tagen mit den Spielen des DFB-Pokals in die neue Saison. Doch was dürfen wir Fans von dieser Spielzeit erwarten? Welche Entwicklungen prägen den Fußball, und wie steht es um die Rechte der Anhänger?
In den vergangenen Jahren war das Verhältnis von Verbänden, Politik oder Polizei zu den Fußballfans angespannt. Dabei gab es zahlreiche Gelegenheiten, bei denen Funktionsträger und Entscheidungsträger den Fans hätten entgegenkommen können. Erst kürzlich beging der Deutsche Fußball-Bund (DFB) sein 125jähriges Jubiläum – eine Feier, die erfreulich bescheiden ausfiel, ohne den übertriebenen Pomp früherer Zeiten. Das ist dem größten Sportfachverband der Welt zugute zu halten. Doch wäre ein solches Jubiläum nicht der perfekte Anlass gewesen, die Fenster weit zu öffnen, frischen Wind in die Beziehung zu den Fans zu bringen und neue Wege der Zusammenarbeit einzuschlagen? Statt dessen traten Innenpolitiker geballt vor die Kameras und diskutierten Pläne für eine zentrale Stelle zur Verhängung von Stadionverboten sowie weitere repressive Maßnahmen gegen Fans. Die meisten dieser Innenminister haben vermutlich weder je ein Spiel aus der Kurve heraus verfolgt, noch sind sie in einem Neuner oder einem Sonderzug zu einem Auswärtsspiel mitgefahren. Kurz gesagt: Sie haben oft wenig Verständnis für die Lebenswelt der Fans und wissen kaum, wovon sie sprechen, wenn sie solche Maßnahmen fordern.
Wo war in dieser Debatte der DFB, um diesen Plänen entschieden entgegenzutreten? Warum hat der Verband nicht klargestellt, dass laut den offiziellen Statistiken der Polizei die Situation in und um die Stadien immer sicherer geworden ist? Anstatt die Regelungen für Stadionverbote weiter zu verschärfen, wäre eine Lockerung dieser Maßnahmen sowie ein rechtsstaatlicher Umgang damit längst überfällig. Das fordern Fananwälte und Fanhilfen seit Jahren mit Nachdruck. Auch aus der Politik kam in der vergangenen Saison viel Gerede, aber wenig wurde umgesetzt. Die Ampelkoalition versprach eine grundlegende Überarbeitung der umstrittenen Datei »Gewalttäter Sport« – doch passiert ist nichts. Dabei wäre es dringend notwendig, Mindestanforderungen einzuführen, wie eine Informationspflicht der Behörden gegenüber den betroffenen Fans oder einen förmlichen Bescheid mit Rechtsmittelbelehrung. Selbst wenn die Ampelregierung nicht vorzeitig abgetreten wäre, hätte sie dieses Versprechen vermutlich nicht eingelöst. Auch die neue Regierung zeigte in ihrer Anfangsphase in der abgelaufenen Saison wenig Bereitschaft, sich für die Rechte der Fans oder allgemeine Bürgerrechte einzusetzen. Gerade in Zeiten, in denen wir die erheblichen Freiheitseinschränkungen während der Coronakrise aufarbeiten, wäre es von zentraler Bedeutung, rechtsstaatliche Prinzipien zu stärken und zu manifestieren. Dass die Polizei nach dem vieldiskutierten Urteil zu den Polizeikosten nun über Abrüstung nachdenkt, bleibt ein Wunschtraum von Fußballromantikern. Während früher vor allem Hardliner in den Polizeigewerkschaften mit Bürger- und Freiheitsrechten auf Kriegsfuß standen, sind es heute zunehmend Politiker in Bundestag und Landtagen, die einen harten »Law and Order«-Kurs verfolgen. Eskalation und Aufrüstung bestimmen immer stärker die Agenda.
Wir Fans werden auch in dieser Saison diejenigen sein, die auf Missstände hinweisen, lautstark für unsere Rechte eintreten und sie so einfordern, dass viele es mitbekommen. Der Kampf wird um so härter, solange Verbandsfunktionäre, Politiker und Polizei den Weg der Konfrontation wählen. In der vergangenen Saison gab es zahlreiche Möglichkeiten, den Fans die Hand zu reichen und eine konstruktive Zusammenarbeit zu suchen – doch das war offenbar nicht gewollt. Es könnten bald Zeiten kommen, in denen Verbandsfunktionäre sich nach den Tagen zurücksehnen, in denen die Fans aus Protest lediglich Tennisbälle auf den Rasen geworfen haben.
Das wird bereits jetzt im laufenden Konflikt vieler Vereine im Nordosten mit dem Nordostdeutschen Fußballverband (NOFV) deutlich. Die Kampagne »Verbandsstrafen abschaffen« setzt dem Verband erheblich zu, indem sie die Abschaffung von Strafen für Pyrovergehen oder kritische Transparente fordert. Immer mehr Vereine auch jenseits des Nordostens schließen sich dieser Initiative an, so dass sie in absehbarer Zeit auch für andere Regionalverbände oder sogar den DFB zu einem Problem werden könnte. Ein gemeinsames und abgestimmtes Handeln von Vereinen und Fans ist für Verbandsfunktionäre ein Alptraum, da das Gegeneinanderausspielen der Akteure dadurch unmöglich wird. Während über den Einsatz von Pyrotechnik noch diskutiert werden könnte, ist die Haltung der Verbände in anderer Hinsicht klar: Selbst Transparente, die unter das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 5 des Grundgesetzes fallen und nicht strafbar sind, werden zunehmend sanktioniert, wenn ihr Inhalt den Moralvorstellungen der Verbandsspitzen widerspricht oder als zu kritisch angesehen wird. Mit der Strafenpolitik der Sportgerichte der Verbände muss endlich Schluss sein. Die Verbände sollten sich auf ihre Kernaufgabe besinnen: die Organisation des Spielbetriebs. Ereignisse auf den Rängen, die keinen Einfluss auf das Spiel haben, wie etwa gegebenenfalls harmlose Pyrotechnik oder Transparente, dürfen nicht zu Strafen für die Vereine führen. Schließlich kümmert es die Verbände auch nicht, wenn die Ordner im Stadion schwarz arbeiten oder am Getränkestand gegen Jugendschutzbestimmungen verstoßen wird.
Ein weiteres großes Ärgernis für Fans und Vereine ist die Aufstiegsregelung zur dritten Liga, die vom DFB verwaltet wird. In Deutschland gibt es fünf Regionalligen, aber nur vier Aufstiegsplätze zur dritten Liga. Die Kampagne »Meister müssen aufsteigen« hat sich formiert, unterstützt sogar von Vereinen aus dem Bereich der Deutschen Fußballliga (DFL), die mit derartigem Aufstieg nichts zu tun haben. Selbst Vereine aus der Regionalliga West oder Südwest, die nach der aktuellen Regelung direkte Aufstiegsplätze haben, schließen sich an. Der DFB drückt sich vor der Verantwortung, indem er das Problem den Regionalligen zuschiebt. Zwar mag das formal korrekt sein, doch es würde dem Verband gut anstehen, hier aktiv einzugreifen oder zumindest vermittelnd tätig zu werden. Aus den jüngsten Äußerungen der DFB-Funktionäre wird jedoch kaum ersichtlich, dass ein solcher Wille besteht. Offenbar ist auch hier nur Druck von unten in der Lage, etwas zu bewirken. Es bleibt zu hoffen, dass sich in naher Zukunft genügend Stimmen finden, die auf einem DFB-Bundestag eine gerechtere Aufstiegsregelung vorschlagen und durchsetzen können. In diesem Zusammenhang liefert der DFB kein gutes Bild ab.
Wie man sieht, gibt es zahlreiche Probleme, bei denen für den DFB und seine Regionalverbände dringender Handlungsbedarf besteht. Warten wir ab: Der Herbst wird zeigen, dass Fußballfans nicht nur kreativ, sondern auch ausdauernd sind, wenn es darum geht, für ihre Anliegen zu kämpfen. Die neue Saison verspricht nicht nur spannende Spiele, sondern auch einen intensiven Einsatz für Fanrechte und eine gerechtere Fußballwelt.
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