Fan und Staatsfeind
Von Oliver Rast
Nur noch ein paar Augenblicke: Sturmhaube über die Nasenspitze ziehen, Helm zurechtruckeln, Kinnriemen festziehen, Visier runterklappen. Tonfa und Pfefferspray im Anschlag. Attacke! Von einer Einsatzhundertschaft der Thüringer Bereitschaftspolizei. Hinter der Südkurve in der Arena im Ernst-Abbe-Sportfeld. Dort, wo die aktive Fanszene der Jenenser an Spieltagen etwa Stangenpavillon, Biertische und -bänke aufbaut. So auch am 30. November 2024. Einem Sonnabend nachmittag während der Partie des Heimteams FC Carl Zeiss Jena gegen die Chemiker der BSG aus Leipzig. Ein Traditionsduell am 17. Spieltag in der viertklassigen Regionalliga Nordost. Vor 7.200 Zuschauern, davon rund 1.200 Auswärtsfahrer.
Zum Ende des Kicks suchten erlebnisorientierte BSG-Anhänger Kontakt zur Konkurrenz, machten sich am Zaun zum Pufferblock zu schaffen. Vereinzelt flogen Bengalos und Leuchtspur in Richtung des Blocks der heimischen Ultras der »Horda Azzuro«. Szenetypischer Rabatz. Auch nach dem Schlusspfiff. Gattertore, die die Rivalen trennen sollen, wurden »gewaltsam« geöffnet. In der Folge kam es kurzzeitig zu einem »unkontrollierten Aufeinandertreffen beider Fanlager mit enthemmter Gewaltanwendung«, teilte die Landespolizeiinspektion Jena am späten Abend nach dem Ligaspiel mit. Dazwischengehende Polizeikräfte hätten eine weitere Eskalation unterbunden – »mittels Einsatz von Reizgas und Schlagstock«. Der Arbeitsnachweis nach dem 5:0-Triumph des FCC: 79 Verletzte – darunter 64 Zuschauer, fünf Ordner und zehn Polizisten. Ferner mehr als 40 Anzeigen, etwa wegen Landfriedensbruch.
Die Fanrechtler der Blau-Gelb-Weißen Hilfe Jena (BGWH) titelten hingegen nach dem Match: »Als die Südkurve zum Lazarett wurde«. Eine Spur der Verwüstung hätten die Einsatzkräfte hinterlassen. Dazu wahllos versprühte Fontänen von Pfefferspray. »Egal ob junger Stadionbesucher oder alteingesessener Zeiss-Fan, jeder wurde an diesem Tag zur Zielscheibe der unprovozierten Reizgasattacke.«
Das ist nicht alles. Jenas Bürgermeister und Ordnungsdezernent Benjamin Koppe (CDU) mimte den Hardliner als Verwalter des städtischen Stadions. Und verhängte munter Hausverbote. Gegen vermeintliche »Gewalttäter« aus den Reihen der Anhängerscharen. Bereits im Mai 14 Hausverbote. Eine Maßnahme, die faktisch einem Stadionverbot gleichkommt.
Die Reaktion: eine leere Kurve. Am 11. Mai, ab Minute 75 beim Spiel gegen den ZFC Meuselwitz. Dazu zwei weiße Transparente mit großen schwarzen Lettern: »Bullenstadt & Hausverbot? Nicht mit uns!« Der stadteigene Sicherheitsboss zeigte sich unbeeindruckt, erteilte im Juli 61 weitere Verbote gegen Fans, »sein« Haus zu betreten. Was Koppe hier als »sachlich geboten« verkauft, sei nichts anderes als eine institutionalisierte Vorverurteilung, kritisierte die BGWH. Der Amtsträger erkläre unverhohlen, dass ihm polizeiliche Verdachtsmomente genügten, um Dutzende Menschen ohne rechtskräftiges Urteil hart zu bestrafen. Zumal Koppe gleichfalls bemerkte: »Eine eigenständige Ermittlungstätigkeit seitens der Stadt erfolgt nicht.« Kurzum, der Dezernent für Ordnung habe das Hausrecht »als privatrechtliches Schlupfloch missbraucht, um Grundrechte auszuhebeln«. Damit entlarve er sich als Verwalter der Unfreiheit.
Wohl wahr, denn der Clou ist: Einige Betroffene könnten nachweisen, weder an Auseinandersetzungen beteiligt noch überhaupt an jenem Spieltag im oder vor der Südkurve gewesen zu sein, schreibt die Jenenser Fanhilfe. Ein Beleg für den »brutalen und blinden Hass« gegen Anhänger des Fußballsports. Oder: Der Fan bleibt Staatsfeind.
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