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Aus: Ausgabe vom 13.08.2025, Seite 16 / Sport
Fußballrealität

Wunsch und Wirklichkeit

Von wegen Fanmacht: Der geplatzte Transfer von Shon Weissman zu Fortuna Düsseldorf ist cleveres Marketing
Von Raphael Molter
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Habt ihr alle unterschrieben? Düsseldorf-Fans beim Heimspiel gegen Hannover 96 (9.8.2025)

Auch Linke jubelten: Fans von Fortuna Düsseldorf hatten ihren Verein dazu gebracht, den israelischen Stürmer Shon Weissman doch nicht zu verpflichten – vermeintlich. Anfang vergangener Woche gab es Medienberichte, wonach der Zweitligist mit Aufstiegsambitionen kurz davor stände, den Nationalspieler unter Vertrag zu nehmen. Einen Spieler, der über seine Social-Media-Accounts den Genozid in Gaza befürwortet hatte, wie schon ein Blick in seinen Wikipedia-Eintrag verriet. Für die Vereinsführung zunächst kein Grund, keine 500.000 Euro an geforderter Ablöse plus hohes Gehalt zu investieren.

In den sozialen Medien brach ein veritabler Shitstorm über die Fortuna herein. Die Presseabteilung des Vereins versuchte abzuwiegeln. Wobei die eher flapsige Aussage, es passe nicht zu Fortuna-Fans, einen Spieler anhand eines Wikipedia-Eintrags zu beurteilen, offenkundig nicht die gewünschte Wirkung erzielte. Wenig später wurde eine Petition veröffentlicht, die den Klub aufforderte, Weissman nicht zu verpflichten. Als vor einer Woche dann die Mitteilung folgte, der Verein nehme von dem Vorhaben Abstand, wurde das als Sieg der »Düsseldorfer Fanszene« interpretiert. Proisraelische Organisationen reagierten erwartungsgemäß mit dem Vorwurf einer »Anti-Israel-Kampagne«.

Doch die Interpretationen sind zweckrational aufgeladen, mehr Wunsch als Wirklichkeit. Sportlich hätte Weissman zweifellos ins Profil gepasst: Fortuna suchte Verstärkung auf den offensiven Außen und im Zentrum, Weissman bringt Agilität und Torgefahr mit. Nur hat der Spieler nach seinen Erfolgen beim Wolfsberger AC (30 Tore in 31 Spielen) und Real Valladolid (27 Tore in 85 Spielen) in den vergangenen Jahren weder beim FC Granada noch per Leihe beim italienischen Zweitligisten US Salernitana überzeugen können. Eine vermeintlich günstige Situation für Düsseldorf, das den Spieler mit nur noch einem Jahr Vertragslaufzeit wohl deutlich unter Marktwert (1,2 Millionen Euro) hätte haben können.

Doch der 29jährige hätte wohl kaum Wiederverkaufswert. Der Verein wäre mit der noch immer hohen Ablöse und einem überdurchschnittlichen Zweitligagehalt finanziell voll ins Risiko gegangen, was sich nur rentieren würde, wenn noch in dieser Saison der Aufstieg gelänge. Dass Fortuna nun lieber den Freiburger Florent Muslija günstig ausleiht, statt Weissman teuer zu verpflichten, lässt vermuten, dass das der sportlichen Leitung ebenfalls bewusst war.

So konnte Fortuna den Shitstorm doch noch zu seinen Gunsten nutzen. Aus einer bewusst apolitischen Absage wurde in der öffentlichen Wahrnehmung plötzlich ein Zeichen moralischer Haltung. Linke Gruppen wie liberale Medien lobten die angebliche Prinzipienfestigkeit. Übersehen wird: Weder Verein noch aktive Fanszene sind in der Palästina-Frage mit einer begründeten Position aufgefallen. Auch die eher linksorientierten Ultras vermeiden seit Jahren eine klare Stellungnahme.

Wie es hier dem Verein gelungen ist, innerhalb von 24 Stunden der digitalen Empörung ein Schnippchen zu schlagen und am Ende als moralischer Gewinner, gar als Verteidiger der Menschenrechten dazustehen – das ist Whitewashing par excellence. Keine argumentative Auseinandersetzung mit der Kritik, statt dessen opportunistische Nutzung des Moments. Viele propalästinensische Linken fühlen sich indes in der Annahme bestätigt, die Fortuna-Fans hätten es der Vereinsführung gezeigt. Tatsächlich ist es umgekehrt: Wie der politische Mainstream plötzlich sachte Kritik übt, wenn das Grauen in Gaza überdeutlich wird, so verfahren auch die Fußballfunktionäre – Risiken minimieren, Ertrag maximieren, moralisch sauber wirken.

Das Fußballgeschäft erweist sich auch hier als gestaltendes Element imperialistischer Ideologie. Der Verein agiert wie ein Unternehmen, das Markenimage und Umsatz schützt. Die Fans liefern, ob bewusst oder unbewusst, die Kulisse für eine symbolische Reinwaschung. Der kurzfristige Shitstorm wird in Markenbindung und positive Presse verwandelt.

Wer im Fußball eine Art stellvertretende Bühne für den Klassenkampf sucht, projiziert häufig einfach Konfliktlinien: »Fans vs. Verein«. Sinnvoller ist es, zunächst die realen Bedingungen dieses Massenphänomens zu analysieren und dann zu prüfen, ob und wie Kämpfe um den Sport geführt werden können. Ohne diese Grundlage bleibt es bei symbolischen Siegen, die am Ende nicht die Fans, sondern die Vereine für sich verbuchen.

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