KI statt Lehrkraft?
Von Sebastian Edinger
Rund 100.000 Unterrichtsstunden fallen an deutschen Schulen jährlich aus, im vergangenen Jahr fehlten laut Kultusministerkonferenz gut 17.000 Lehrkräfte. Die Qualität des Bildungssystems sinkt rapide, immer mehr junge Erwachsene verlassen die Schule, ohne richtig Lesen und Schreiben gelernt zu haben. Selbst das Kapital klagt, man finde keinen hinreichend gebildeten Nachwuchs mehr, Ausbildungsplätze bleiben unbesetzt. Überraschend kommt all das nicht, die Bildungsmisere wurde über Jahrzehnte sehenden Auges herbeigekürzt.
Entsprechend populär sind daher nun Ansätze, die versprechen, die Probleme kostenschonend zu lösen. Große Hoffnungen werden wie in vielen Bereichen auf die Digitalisierung gesetzt, vor allem von künstlicher Intelligenz (KI) verspricht man sich vielfältige Möglichkeiten, Bildung billiger zu machen. Denn wozu mehr Lehrer, wenn die Schüler alternativ mit digitalen Endgeräten und KI-basierter Lernsoftware ausgestattet werden können?
Lehrer können mehr als KI-Tools
Mit dem »Digitalpakt Schule« wurden die Bildungseinrichtungen ohnehin schon mit Pads und Laptops geflutet – wenngleich viele Geräte in den Kellern verstauben, weil es weder geeignete Lernkonzepte noch technisches Fachpersonal gibt, welches sie administrieren könnte. Auch entsprechende Software privater Anbieter ist längst verfügbar. KI-basierte Tools können Erklärvideos generieren, Aufgaben entwickeln, die Antworten der Schüler korrigieren und Tipps geben. Sogar vollautomatisierte Benotungssysteme sind verfügbar. Keine Frage, zunächst sind KI-Lösungen deutlich preiswerter zu haben als menschliches Lehrpersonal. Selbst wenn sich der Trend fortsetzt, vermehrt auf weniger qualifizierte und schlecht bezahlte »Quereinsteiger« zu setzen.
Unter den Tisch fällt, dass der Verantwortungsbereich von Lehrern weit über reine Wissensvermittlung und Leistungsbewertung hinausgeht. Im Idealfall bieten Lehrer emotionale Unterstützung, fungieren als Vorbilder und fördern soziale Kompetenzen. Sie schaffen ein Vertrauensverhältnis, geben Lernenden Sicherheit, sind einfühlsam und haben Verständnis für die persönlichen Herausforderungen und die unterschiedlichen sozioökonomischen Verhältnisse der Schüler. Sie begleiten die Kinder beim Erwachsenwerden und springen auch mal da ein, wo Elternhäuser ausfallen. Wie gesagt, im Idealfall. Lehrer sind nicht immer gerecht und einfühlsam, können es aber sein. KI nicht. Technische Systeme haben kein Feingefühl, keine Empathie, keinen Blick für soziale Belange. Und sie diskriminieren, weil sie mit diskriminierenden Daten trainiert wurden.
Kurzum, wo Lehrkräfte durch KI ersetzt werden, geht die Menschlichkeit verloren. Darunter leiden vor allem Schüler aus finanziell benachteiligten Verhältnissen, die mehr als andere auf Zuwendung und Unterstützung angewiesen sind. Und weiter gespart wird ja trotzdem, auch bei der Technik. Viele Schulen setzen wegen des Kostendrucks bereits auf elternfinanziertes Equipment. Die einen kommen mit Topgeräten, die anderen teilen veraltete Technik mit ihren Geschwistern oder improvisieren mit dem Smartphone. Auch die Software wird zunehmend zum Kosten- und damit zum Spaltungsfaktor, denn mit der Bildungsdigitalisierung geht eine Bildungsprivatisierung einher. Die Lern-KIs kommen von privaten Anbietern, die damit Rendite machen wollen. Sprich: Die Programme werden teurer – und wenn die Bildungsetats weiter knappgehalten werden, kommt es auch hier zunehmend auf den Geldbeutel der Eltern an.
Natürlich sind die sogenannten Ed-Techs, derer es in Deutschland laut Startup-Monitor 2024 mittlerweile rund 500 gibt, auch an den Daten der Lernenden interessiert, um auf deren Basis immer neuere, immer bessere, immer teurere KI-Systeme zu trainieren oder sie an Werbefirmen zu verkaufen. Gerade Kinder und Jugendliche sind jedoch als vulnerable Gruppe besonders schutzbedürftig – insbesondere mit Blick auf die Machenschaften der Datenkraken.
KI im Klassenraum ist Realität
Die Lehrerschaft steht KI im Klassenraum überwiegend skeptisch gegenüber: Laut dem aktuellen Schulbarometer der Robert-Bosch-Stiftung wissen 62 Prozent von ihnen nicht, wie die Technologie im Unterricht sinnvoll eingesetzt werden könnte; und 60 Prozent fürchten negative Folgen für die kommunikativen und sozialen Fähigkeiten der Lernenden. Zu Recht, wie eine aktuelle Erhebung des Massachusetts Institute of Technology zeigt, bei der Probanden in drei Gruppen über mehrere Monate mit Hilfe von Chat-GPT, der Google-Suchmaschine oder gänzlich ohne digitale Unterstützung Textaufgaben zu erledigen hatten. Bei den KI-Nutzern war die mit Abstand niedrigste Gehirnaktivität festzustellen, sie haben »auf neuronaler, sprachlicher und verhaltensbezogener Ebene durchweg unterdurchschnittliche Leistungen erbracht«, heißt es in der Auswertung.
Mit jeder Aufgabe sei diese Gruppe »fauler« geworden und habe immer mehr Inhalte unhinterfragt per »Copy & Paste« übernommen. Die KI-Nutzung könne dem kritischen Denkvermögen schaden, resümieren die Autoren. Doch ob gewünscht oder nicht, KI im Klassenraum ist Realität. So zeigt das Schulbarometer auch, dass 75 Prozent der Schüler Chat-GPT, Gemini und andere KI-Modelle längst für schulische Zwecke nutzen. Künstliche Intelligenz ist also im Schulalltag angekommen, nur wissen die Lehrkräfte nicht, wie das sinnvoll zu handhaben ist. 54 Prozent wünschen sich mehr Fortbildung, um KI besser einsetzen zu können. Auch hier zeigt sich, KI im Unterricht ist kein Schlüssel zum Billigbildungssystem. Soll die Technologie tatsächlich gewinnbringend eingesetzt werden, müssen Lehrkräfte entsprechend qualifiziert werden.
Schule ohne KI ist nicht nur deshalb keine echte Alternative, weil die Systeme bereits auf dem Gros der Schülerhandys installiert sind: Schule hat auch die Aufgabe, die Lernenden adäquat auf das spätere Leben, einschließlich des Arbeitslebens vorzubereiten. Dort wird KI zweifelsohne eine immer größere Rolle spielen. Um auf ein Leben im KI-Zeitalter vorbereitet zu werden, reicht es jedoch nicht, wenn Schüler lernen, sich den Alltag zu vereinfachen, indem sie Chat-GPT die Hausaufgaben machen lassen. Vielmehr muss es darum gehen, zu lernen, die Kontrolle über die Technologie zu gewinnen: Wie funktionieren KI-Systeme? Wo sind die Grenzen? Welche ökonomischen Interessen stecken dahinter und wie beeinflusst das die Resultate? Wie erkenne ich Manipulation oder Betrug? Wie schütze ich meine Daten? Etc.
Der souveräne Umgang mit neuen Technologien wird nicht durch die Nutzung der smarten Ed-Tech-Tools im Matheunterricht vermittelt. »Stattdessen braucht es eine gezielte Förderung von Medienkompetenz – in den Familien, aber vor allem in den Schulen«, heißt es etwa beim Deutschen Lehrerverband. Sprich: echte Lehrer aus Fleisch und Blut, die entsprechend qualifiziert sind und den kritischen Umgang mit den neuen digitalen Werkzeugen vermitteln können – aber halt auch bezahlt werden müssen.
Entlastung der Lehrkräfte
Trotz alledem kann KI helfen, Lehrkräfte zu entlasten – und somit auch den Unterricht in herkömmlichen Fächern wie Deutsch, Mathe oder Erdkunde zu verbessern. Es gibt zahlreiche Anwendungen, die beispielsweise die Organisation der Raum- oder Vertretungspläne übernehmen, bei der Erstellung von Stundenplänen oder der Planung von Klassenreisen unterstützen können etc. Die Anforderungen an Lehrkräfte werden aufgrund des Personalmangels seit Jahren immer größer, immer mehr Zeit geht für administrative Tätigkeiten drauf. Wird KI hier sinnvoll eingesetzt, kann viel bürokratischer Aufwand eingespart werden – und umgekehrt Zeit gewonnen werden, die die Lehrer zweifelsohne besser für die Förderung ihrer Schüler nutzen.
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