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Aus: Thälmann, Beilage der jW vom 14.08.2024
Thälmann

Mord ohne Sühne

Von Einstellung zu Einstellung: Die Verschleppung der Strafverfolgung der Mörder Ernst Thälmanns durch die bundesdeutsche Justiz
Von Ralph Dobrawa
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Wolfgang Otto (links) und Verteidiger 1988 im Düsseldorfer Landgericht

Der Mord an Ernst Thälmann hat die westdeutsche Justiz in den Nachkriegsjahrzehnten immer wieder in charakteristischer Weise beschäftigt. Bereits 1948 hatte der Münchner Amtsgerichtsrat Pückert die Beobachtungen des früheren polnischen Buchenwald-Häftlings Marian Zgoda aufgenommen, ohne allerdings weitere Ermittlungen zu veranlassen. Als er 15 Jahre später damit konfrontiert wurde, gab er an, sich nicht mehr erinnern zu können. Ein weiterer polnischer Häftling, Zbigniew Fuks, berichtete als Zeuge von den Schüssen, die auch er gehört hatte. Am nächsten Morgen war er mit der Reinigung des benutzten Krematoriumofens beauftragt worden und hatte dabei von seinem Kapo erfahren, dass in der Nacht Ernst Thälmann ermordet worden war.

Als Thälmanns Ehefrau Rosa 1962 Kenntnis davon erhielt, dass Tatbeteiligte in der Bundesrepublik lebten, erstattete sie am 11. April desselben Jahres durch Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul Strafanzeige gegen Wolfgang Otto und Alfred Berger. Beide waren inzwischen in das gesellschaftliche Leben der BRD integriert, der eine als Lehrer und der andere als Bankangestellter. Auch die übrigen vor Ort anwesenden ehemaligen SS–Angehörigen wurden in der Anzeige namentlich erwähnt. Für sie kam Mittäterschaft oder Beihilfe zum Mord in Betracht. Nunmehr musste förmlich ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, welches durch die sogenannte Zentrale Stelle zur Bearbeitung nationalsozialistischer Massenverbrechen in Konzentrationslagern mit Sitz in Köln übernommen wurde.

Erste Nachfragen zum Stand der Ermittlungen beantwortete man dort mit dem Hinweis auf die notwendige Einvernahme von Zeugen. Als bis zum Frühjahr 1964 keine Nachricht aus Köln eintraf, legte Kaul vorsorglich bei der Kölner Generalstaatsanwaltschaft Beschwerde ein. Hintergrund war der Hinweis, dass ein Ablehnungsbescheid ergangen war, der ihm nicht zugestellt worden sei. Dies stellte sich als richtig heraus: Bereits am 10. Januar 1964 war das Ermittlungsverfahren eingestellt worden. Eine Information hielt man nicht für erforderlich, da zwischenzeitlich die Anzeigeerstatterin Rosa Thälmann verstorben war.

Unter Übersendung einer neuen Vollmacht teilte Kaul der Staatsanwaltschaft mit, dass Thälmanns Tochter Irma die Strafverfolgungsangelegenheit fortführt. Nunmehr wurde die Einstellung der Ermittlungen damit begründet, dass sich keine »hinreichenden Verdachtsgründe dafür ergeben« hätten, »dass die Beschuldigten in strafrechtlich fassbarer Weise an der Ermordung Ernst Thälmanns beteiligt waren«. Drei von ihnen lebten inzwischen nicht mehr. Die anderen bestritten eine Tatbeteiligung, was nicht zu widerlegen wäre. Auch der Zeuge Zgoda habe letztlich nicht angeben können, auf welche Weise Otto und Berger an der Tat beteiligt gewesen sein sollen. Weitere Zeugen hätten letztlich nichts zur Sache beitragen können.

Rechtsanwalt Kaul legte auch dagegen Beschwerde ein und begründete diese am 10. August 1964 unter anderem damit, dass von Zgoda konkret angegeben worden war, wer sich an der Eingangstür des Krematoriums befunden habe, darunter Berger und Otto. Unmittelbar nach dem Passieren der Tür fielen die Schüsse, die demnach nur von diesen Personen abgegeben worden sein konnten. Die Ermittlungen mussten wieder aufgenommen werden. Zwischenzeitlich erhielt Kaul zumindest teilweise Akteneinsicht und erfuhr so auch von dem Notizzettel Himmlers mit der Entscheidung, dass Thälmann »zu exekutieren« sei.

Die DDR gewährte Akteneinsicht in dort vorhandene Unterlagen und bot auch einen Ortstermin in Buchenwald an, der im August 1967 realisiert wurde. 1972 wurden die Ermittlungen aber erneut eingestellt unter Hinweis darauf, dass die Anordnung Hitlers von Himmler an das Reichssicherheitshauptamt seinerzeit weitergeleitet worden sei, der weitere Befehlsweg dort aber habe nicht geklärt werden können. Der Beschuldigte Berger war unterdessen verstorben.

Eine erneute Beschwerde von Rechtsanwalt Kaul gegen den Einstellungsbescheid führte auch zur Fortsetzung der Ermittlungen. Nach nochmaliger und nunmehr umfassender Akteneinsicht wurde die Beschwerde im Juli 1973 begründet und die Art der Ermittlungstätigkeit gerügt. So war einem der benannten Zeugen durch die Staatsanwaltschaft mitgeteilt worden, er könne auch auf einer Postkarte antworten. Am 14. November 1974 wurde das Verfahren wieder eingestellt. Dabei wurde unter anderem auf angebliche Strafverfolgungsverjährung verwiesen. Auch sei der Mord an Thälmann nicht grausam gewesen und Heimtücke sei nicht nachweisbar. Thälmann sei nicht arglos gewesen, als man ihn in das KZ auf dem Ettersberg gebracht habe. Auch niedrige Beweggründe lägen nicht vor, da die Beschuldigten doch nur einen Befehl umgesetzt hätten, der schließlich auf einer Anweisung von Hitler beruhte. All das führe zur Minderung der Strafe und zu bereits eingetretener Verjährung. Die Ungeheuerlichkeit, mit der hier die sogenannten Mordmerkmale durch die Staatsanwaltschaft »abgearbeitet« wurden, ist beispiellos. Es folgte eine weitere Beschwerde durch Kaul und die Benennung von weiteren in Betracht kommenden Zeugen. Im November 1976 stellte man in Köln die Ermittlungen wieder ein. Die erzwungene Fortsetzung führte am 19. März 1979 zur sechsten Einstellung mit der Begründung, dass auch die weiteren Nachforschungen nicht ergeben hätten, »wer mit der Weiterleitung des von Hitler an Himmler gegebenen Befehls zur Tötung Ernst Thälmanns befasst war, wer an der Überführung Ernst Thälmanns in das Konzentrationslager Buchenwald und an seiner dortigen Ermordung in verantwortlicher Weise beteiligt gewesen sein könnte«.

Die neuerliche Beschwerde hiergegen führte wieder zur Fortsetzung der Ermittlungen, auf die zeitnah im August 1979 die Einstellung folgte. Kaul legte erneut Beschwerde ein und gab weitere Aufklärungshinweise. Am 16. April 1981 verstarb er jedoch. Durch den Generalstaatsanwalt in Köln wurde am 18. Januar 1982 mitgeteilt, dass man dort keine Veranlassung gesehen habe, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Demgemäß wurde auch nicht Anklage gegen den einzig noch verbliebenen Tatverdächtigen Otto erhoben. Dieser Bescheid war nur noch mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung anzufechten, der binnen eines Monats beim Oberlandesgericht (OLG) Köln eingereicht und umfassend begründet werden musste.

Nach dem Tod von Professor Kaul, der auch über eine Zulassung vor bundesdeutschen Gerichten verfügte, war es nunmehr notwendig, einen neuen anwaltlichen Vertreter für Irma Thälmann zu finden. Rechtsanwalt Heinrich Hannover aus Bremen konnte die Anklageerhebung gegen Otto durch gerichtliche Entscheidung des OLG Köln erzwingen. Es wurde Anklage vor dem Landgericht Kleve erhoben. Dieses lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Zulassung der Anklageschrift mit der Begründung ab, dass eine Verurteilung nicht wahrscheinlich sei. Die hiergegen durch die Staatsanwaltschaft und Rechtsanwalt Hannover eingelegte Beschwerde führte zur Zulassung der Anklageschrift durch das Oberlandesgericht Düsseldorf und Durchführung des Hauptverfahrens nunmehr vor dem Landgericht Krefeld.

Es wurde sodann an 32 Tagen verhandelt. Fast zwanzig Jahre nach dem ersten wurde durch das Gericht auf dem Gelände des früheren Konzentrationslagers Buchenwald im Dezember 1985 ein zweiter Ortstermin durchgeführt. Am 15. Mai 1986 wurde Otto wegen Beihilfe zum Mord zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die gegen dieses Urteil eingelegte Revision der Verteidigung führte zur Aufhebung des Urteils des Landgerichts Krefeld mit Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 25. März 1987. Die Sache wurde nunmehr an das Landgericht Düsseldorf verwiesen und dort ab 10. März 1988 erneut gegen Otto verhandelt. Dieser behauptete nunmehr, er habe sich um die Tatzeit in einem Weimarer Hotel bei seiner Frau aufgehalten, die ihn zu dieser Zeit besucht habe. Die Fernschreibbücher des KZ, die in das Verfahren eingeführt werden konnten, bewiesen jedoch Ottos Anwesenheit im Lager. Trotzdem sprach ihn das Landgericht Düsseldorf am 29. August 1988 mit der Begründung frei, dass der Tatzeitpunkt nicht mehr sicher festgestellt werden könne. Eine hiergegen gerichtete Revision der durch Rechtsanwalt Hannover vertretenen Nebenklage wurde durch den Bundesgerichtshof im folgenden Jahr verworfen.

So blieb der Mord an Ernst Thälmann ungesühnt. Die Strafverfolgungsbehörden der Bundesrepublik haben sich in dieser Sache verhalten »wie der Jagdhund, der zur Jagd getragen werden muss«, wie es einst Friedrich Karl Kaul formulierte.

Ralph Dobrawa ist Rechtsanwalt in Gotha

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