junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Sa. / So., 11. / 12. Mai 2024, Nr. 109
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Literatur, Beilage der jW vom 20.03.2024
Befreite Gesellschaft

Aber bitte mit Staat

Domenico Losurdo will dem Kommunismus die Utopie austreiben. Es fragt sich, was dadurch gewonnen ist
Von Martin Küpper
18.jpg
»Mortal Kombat (rot)« (2022)

Alles fragen, nichts fürchten, so könnte man frei nach Dietmar Dath die Devise des 2018 verstorbenen Philosophen und Historikers Domenico Losurdo beschreiben. Selten hat der Marxismus einen Autor hervorgebracht, dessen Bücher regelmäßig Kontroversen über die ideologischen Lager hinweg auslösten. Den einen galt er als »Neostalinist«, manche betonten seinen unnachgiebigen Antikolonialismus, andere wiederum verehrten ihn als »Maestro des Denkens«. Nun ist sein von Giorgio Grimaldi herausgegebenes und von Christel Buchinger übersetztes Buch »Der Kommunismus« erschienen. Das Buch schließt an seine 2021 in Deutschland erschienene Veröffentlichung »Der westliche Marxismus« an und soll das Mittelstück eines »großangelegten Projekts« darstellen, das mit einem Buch über die Entwicklung Chinas zum Abschluss gebracht werden sollte. Es wird sich zeigen, was eine an der Universität Urbino ansässige Forschungsgruppe aus dem Nachlass noch ans Tageslicht befördern kann.

Kriminalisierung

»Der Kommunismus« gliedert sich in vier Kapitel, in denen Losurdo nachdenkt über Antikommunismus, Utopie, Liberalsozialismus und Auswege aus der Krise der kommunistischen Weltbewegung. Er sieht, dass kommunistische Ideen vermehrt kriminalisiert werden, was sich in Symbol- und Sprechverboten äußere, die zum Teil in eklatantem Widerspruch zu den bürgerlich-demokratischen Grundfesten stehen. Zum Antikommunismus geselle sich noch ein anarchistisch-liberal geprägter Antitotalitarismus, der sich auch in der gesellschaftlichen Linken breitgemacht habe. Das unheilige Geschwisterpaar wurde jedenfalls nach dem Ende der Sowjetunion modifiziert, als es die neokolonialistischen Offensiven der imperialistischen Spitzenstaaten ideologisch flankierte. Es galt und gilt nun, jede Regung, die sich progressiv entfalten könnte, präventiv zu ersticken. Denn – so Losurdo etwas voreilig – »jeder Kampf für den Sozialstaat und gegen die ­Kolonialherrschaft« müsse sich notwendig immer auf kommunistische Ideen beziehen. Die von ihm unterstellte Zwangsläufigkeit wird leider nicht empirisch erhärtet, und er entwickelt kein Kriterium, inwieweit regressive von protokommunistischen Bewegungen unterschieden werden können.

Sein Vorgehen zielt auch weniger darauf ab, ein Beurteilungsschema an die Hand zu geben. Ihm geht es vielmehr darum, ideengeschichtliche Gewissheiten zu irritieren, die dies- und jenseits der Kommunisten bestehen. Das zwingt ihn zu einer Polemik an zwei Fronten. Einerseits attackiert er jenen Liberalismus, der das Himmelreich auf Erden realisiert sieht, wenn noch nicht überall, so doch wenigstens für seinen Herrschaftsbereich. Andererseits polemisiert Losurdo gegen die grassierenden Varianten des Messia­nismus, die den Kommunismus als die bessere Zukunft imaginieren. Utopie wie Dystopie seien aber in jedem Falle zu vermeiden, beide stünden für eine vereinfachende Sicht auf gesellschaftliche Zusammenhänge.

Demokratisierung

Statt dessen versucht Losurdo einen anderen Weg einzuschlagen, mit Hilfe ideengeschichtlicher Analysen, in denen er die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Liberalsozialismus (in England und ­Italien) und Kommunismus herausarbeitet. Sein Ziel ist die Umkehr der Rückentwicklung des Kommunismus von der Wissenschaft zur Utopie. Dafür solle die kommunistische Bewegung, erstens, der Verlockung widerstehen, dem Imperialismus die Möglichkeit einzuräumen, nach innen wie nach außen friedfertig zu sein, wie es in Vorstellungen über Postwachstum, Askese und Degrowth oder mittels »humanitärer Interventionen« mitschwinge. Mit dem Antifaschisten und Liberalsozialisten Carlo Rosselli macht er, zweitens, darauf aufmerksam, dass »eine Oppositionspartei in bestimmten Stunden bereit sein muss, zur Macht aufzusteigen«. Und nicht zuletzt müsse auf die formelle wie substantielle Demokratisierung aller Stockwerke einer Gesellschaft beharrt werden, so dass deren Mitglieder sich ohne Wenn und Aber zu selbständigen Akteuren entwickeln können.

Damit begibt sich Losurdo in den Gegensatz zu populären Denkern wie Alain Badiou, Slavoj Žižek und ­Antonio Negri. Diese führen zwar den Kommunismus im Munde, ihr Rebellentum verhindere allerdings einen klaren Blick auf die Geschichte, was sich zum Beispiel in der Staatsfrage zeige. Ihr Kommunismus, den sie mit einer harmonischen, konfliktfreien Gesellschaft gleichsetzen würden, könne nur durch die »Abschaffung des Staates« realisiert werden. Der Preis für dessen Abschaffung sei sehr hoch. Das gelinge den Weltverbesserern zufolge nur durch die Entfesselung eines geradezu »göttlichen« Terrors, wie Losurdo eindrucksvoll nachweist. Gegen sie macht er geltend, dass Kommunismus eine Gesellschaft sei, »die man sich nicht mehr in den Farben einer Utopie vorstellen darf, (…) die mit ihrer ätherischen Schönheit die Aufmerksamkeit von den ›wirklichen Kämpfen‹ und der ›realen Bewegung‹ ablenkt«. Unstrittig ist, dass utopistischen Vorstellungen entgegengewirkt werden sollte. Sein Bilderverbot wirkt allerdings beckmesserisch und anachronistisch. Denn wieso soll ein Ideal von realen Kämpfen ablenken? Sie sind doch Teil derselben Sache. Und wieso soll der Blick nicht auch auf das gelegt werden, was bereits im historischen Sozialismus erreicht worden war – und nun keinen Ort mehr in dieser Welt hat?

Domenico Losurdo: Der Kommunismus. Geschichte, Erbe und Zukunft. Herausgegeben und eingeleitet von Giorgio Grimaldi. Aus dem Italienischen von Christel Buchinger. ­Papyrossa-Verlag, Köln 2023, 258 Seiten, 24 Euro

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

Mehr aus: Feuilleton