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Aus: Alternatives Reisen, Beilage der jW vom 21.02.2024
Alternatives Reisen

Eine Kegelbahn in Namibia

Sand, Diamanten und Zwangsarbeit: Die Mine Kolmannskuppe aus deutscher Kolonialzeit
Von Tom Beier
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Alltagsszene im syrischen Palmyra

Sand überall. Sand in den Häusern: dem Lehrerhaus, dem Haus des Quartiermeisters, des Minendirektors. Sand auf den Treppenstufen ins Bad, in der Badewanne, der Toilette. Einfach überall. Das ist Kolmannskuppe heute: eine Ghosttown. So auch das Welcome zur touristischen Anpreisung dieses singulären Ortes. Dabei ist dieser Ort keiner des unbeschwerten Reisens, sondern der kolonialen deutschen Geschichte. Nur oberflächlich zugeweht von Tonnen an Sand.

Nicht weit entfernt, gerade einmal 14 Kilometer, liegt das Küstenstädtchen Lüderitz an der namibischen Küste. Von dort aus braucht man auf der B 4 nur 13 Minuten, um den kühl-nebeligen Küstenstreifen zu verlassen und in der Namib-Wüste zu landen, die sich die kleine Stadt, nachdem die Mine 1958 aufgrund anderer, ertragreicherer Diamantenvorkommnisse geschlossen wurde, einverleibt hat. Ein surreales Stück Erde.

Diamantenfunde

Angefangen hatte die Erzählung 1905, als ein Ochsengespannfahrer namens Johnny Kolmann in einen schweren Sandsturm geriet. Die Ochsen rannten weiter in die Wüste und blieben auf einer Kuppe stecken. Ein Jahr später wurde die Eisenbahnverbindung nach Lüderitz fertiggestellt, zwei Jahre später hat Zacharias Lewala, ein Mitarbeiter des deutschen Bahnmeisters August Stauch, an einem Bahnhof ganz in der Nähe von Kolkmannskuppe den ersten Diamanten gefunden. Stauchs Aufgabe war es, die Schienen passierbar, also frei von Sand zu halten. Dabei gehörte es auch zu seinen Aufgaben, nach schönen Steinen Ausschau zu halten. Diese 1908 gefundenen funkelnden Steine erwiesen sich als Diamanten. Die Gegend wurde zum Sperrgebiet erklärt, und die Deutsche Kolonialgesellschaft erhielt das alleinige Schürfrecht. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 wurden in diesem Gebiet fünf Millionen Karat, das sind 1.000 Kilogramm Diamanten, geschürft. Das waren etwa 20 Prozent der Weltproduktion.

Was haben die Minengesellschaft beziehungsweise das Deutsche Reich damit finanziert? – Kolonialkriege und den Aufbau der deutschen imperialistischen Kriegsflotte. In Namibia brachte der Erste Weltkrieg immerhin das Ende der deutschen Kolonialherrschaft, aber auch die Verwaltung durch Südafrika und dessen Mandat über das Sperrgebiet. Noch bis 1920 gestattete der Apartheidstaat einem deutschen Unternehmen, die Diamantenvorkommen in Kolmannskuppe auszubeuten. Dann kaufte ein südafrikanisches Unternehmen die Mine.

»Das hier war die Kolmannskuppe-Straßenbahn, auch bekannt als Kolmannskuppe-Taxi. Jeden morgen um sechs Uhr bekam jeder Haushalt einen Block Eis für seinen Eisschrank, eine Kiste Limonade, eine Kiste Sodawasser und 20 Liter Süßwasser. Das war alles frei.« Laut schallt die Stimme der südafrikanischen Touristenführerin in ihrem aus dem Afrikaans abgeleiteten Deutsch über die Sandhügel zwischen dem Gebäudekomplex, in dem sich die Eisfabrik, die Schlachterei und der Einkaufsladen befinden, und dem großen Haupthaus mit Versammlungsraum, Turnhalle und: Kegelbahn. Sie durfte damals in keiner größeren Ansiedlung im deutschen Kolonialreich fehlen.

Betreten schaut die deutsche Reisegruppe vor sich in den Sand. Es regt sich Widerspruch:
»Aber all das galt nicht für die afrikanischen Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen.«
»Doch, für alle«, erwidert die Touristenführerin. »Das glaube ich nicht«, setzt einer der Deutschen nach. »Wir waren damals ja nicht hier«, entgegnet die Südafrikanerin. »Wir wissen das aber.« »Alle haben das bekommen. Nicht das Soda und die Limonade. Aber das Eis und das Wasser haben alle erhalten. Und sie haben auch Strom gehabt. Aber kommt, wir gehen ein kleines bisschen weiter.« Damit bricht die Touristenführerin den kleinen Disput ab. Zurück bleibt die ungeheuerliche Vision eines kolonialen Paradieses inmitten einer Sandwüste. Eine Vision von unendlichem Reichtum, der alle umfasst, sie zu Gleichen macht.

Röntgenapparate

Später wird den Mitgliedern der Reisegruppe klar: Das ist der koloniale Blick, die Perspektive der Apartheid. Dieses beschriebene gute Leben der schwarzen Arbeiterinnen und Arbeiter hat es so gar nicht gegeben. Sand knirscht. Kehlen keuchen. Es geht über den Sand hinauf zum Haupthaus. Hier, in der Fotoausstellung zur Diamantenmine, bestätigt sich der Verdacht: Die schwere Arbeit des Diamantenschürfens im Tagebau haben ausschließlich Schwarze gemacht. Die Weißen hatten immer die Rolle des Vorarbeiters, haben Maschinen zum Sieben des Sandes bedient oder die Zugpferde der Wagen geführt, auf denen die Diamanten abtransportiert wurden. Auf Gruppenfotos, die Feierlichkeiten zeigen, sind nur Weiße zu sehen. Weiße Frauen zählen die Diamanten.

Das Märchen, dass es durch den Reichtum aus den Edelsteinfunden allen gleich gut gegangen sei, stimmt nicht. Trotz aller Anekdoten über den »zivilisatorischen Höchststand« in der Exklave. Sie hatte ein eigenes Krankenhaus, das 250 Personen aufnehmen konnte und in dem der erste Röntgenapparat im südlichen Afrika stand. Im Keller des Krankenhauses gab es ein Weinlager, weil ein deutscher Arzt meinte, es sei gut für die Heilung, jeden Tag ein Glas Wein zu trinken.

Wasser

Das Süßwasser für die Diamantenstadt – denn in der Namib-Wüste gab es keines – wurde aus Südafrika angeliefert. Zunächst per Schiff nach Lüderitz, von dort mit der Kolonialeisenbahn. Etwa 1.000 Liter im Monat. Das war so aufwendig, dass Wasser genauso teuer war wie Wein. Aber das Wasser wurde ja umsonst ausgegeben, will man der Apartheidlogik der Touristenführerin glauben. Dass sie die koloniale Wirklichkeit nicht erfasst, belegt eine andere Legende: Nur zehn Monate habe man gebraucht, um die Eisenbahn – die hauptsächlich der Versorgung und Mobilität der »deutschen Schutztruppe«, der Kolonialarmee, diente – zwischen Lüderitz und Kolmannskuppe fertigzustellen. Heute würde man dafür zwölf Jahre brauchen.
Möglich war diese »Rekordzeit« aber nur, weil die Strecke von schwarzen Zwangsarbeitern gebaut wurde. Hunderte von ihnen starben dabei. Ihre Gebeine liegen genauso wie einst die Diamanten unter dem Sand.

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