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Aus: Krieg & Frieden, Beilage der jW vom 31.08.2022
Den Krieg bekämpfen

Krieg und Krise

Anpassungsdruck und Protestpotential: Der Ukraine-Krieg stellt die Antikriegsbewegung in den imperialistischen Metropolen vor neue Aufgaben
Von Nico Popp
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Angst im Krieg: Ein Kind im Camp Al-Hol versteckt sich hinter dem Schleier seiner Mutter (16.7.2022)

Zum Antikriegstag 2022 sind Krieg und Kriegsfolgen in der gesellschaftlichen Debatte in Deutschland präsent wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Bundesregierung hat das Land nach dem russischen Angriff auf die Ukraine durch politische Stellungnahmen und Waffenlieferungen zur indirekten Kriegspartei gemacht. Der Wirtschaftskrieg gegen Russland, das mit seinen vergleichsweise billigen Energieträgerlieferungen den globalen Konkurrenzerfolg des deutschen Kapitals in den vergangenen Jahrzehnten wesentlich mit sichergestellt hat, wird, das bestreiten auch regierungsnahe Kommentatoren nicht mehr, zu einer großflächigen Verarmung in der Bundesrepublik führen.

Für die Massen wird damit die Frage der Sicherung des materiellen Überlebens in der kapitalistischen Gesellschaft auf neue Art gestellt – für jeden ist offensichtlich, dass hier nicht einfach die gleichsam anonyme Bewegung der kapitalistischen Konjunktur, sondern der Staat mit seiner politischen Kalkulation für die Krise sorgt. Für diesen Staat steht hierdurch noch dringender als in einer »normalen« Krise die Frage, bis zu welchem Punkt diese für ihn politisch steuerbar bleibt, ohne dass es zu ernsten gesellschaftlichen Erschütterungen kommt. Es geht also ganz konkret um die Führbarkeit von Kriegen und Wirtschaftskriegen.

Das ist für die heute in der Bundesrepublik lebenden Generationen in dieser Unmittelbarkeit ganz überwiegend eine neue Erfahrung. Sie stellt für die politische Linke und insbesondere für die Antikriegs- und Friedensbewegung eine neue Herausforderung dar. Der politische und ideologische Anpassungsdruck nimmt zu; das gilt etwa für die Partei Die Linke, aber auch für einen Teil der nominell linksradikalen Szene, wo sich immer deutlicher die Herausbildung einer neuen proimperialistischen Strömung abzeichnet, die sich indirekt und mit »linken« Gründen auf den Standpunkt der »Vaterlandsverteidigung« stellt – vorerst stellvertretend in dem Krieg, der um die Ukraine geführt wird. Gleichzeitig wächst das mobilisierbare Protestpotential enorm – Linke, die den Hauptfeind weiter im eigenen Land sehen, stehen vor der Herausforderung, Mittel und Wege zu finden, um dieses Potential zu organisieren und auf die Straße zu bringen. Immerhin ein Text in dieser jW-Beilage versteht sich als Beitrag zu dieser dringend erforderlichen Debatte.

Die letzten Monate bieten reichlich Anschauungsmaterial dafür, dass auch diese linke Debatte darauf achten muss, nicht in einem platten Eurozentrismus zu versinken. Nachdem der Krieg »nach Europa zurückgekehrt« ist, bekommen Kriege, die europäische Staaten und die USA in anderen Weltteilen entweder angezettelt haben oder nähren, noch weniger Aufmerksamkeit als zuvor. Für die Menschen etwa im Jemen oder in Syrien strukturiert Krieg in einem Ausmaß das Leben, das in Europa noch kaum vorstellbar scheint. Dass der Krieg der von Saudi-Arabien geführten Koalition im Jemen von den USA in aller Form »genehmigt« wurde und von technischem Personal aus Großbritannien, das die saudische Luftwaffe einsatzfähig erhält, erst militärisch möglich gemacht wird, zeigt ein weiterer Beitrag dieser Beilage, der diesen Krieg, den die UNO für die derzeit »schlimmste humanitäre Krise« weltweit verantwortlich macht, beleuchtet. In den Blättern, die sich seit Monaten mit Forderungen nach der Lieferung von immer mehr und immer schwereren Waffen an Kiew überbieten, ist darüber kaum noch etwas zu lesen. Beinahe in aller Öffentlichkeit wird hingegen im Pazifik ein Krieg vorbereitet, der das Potential hätte, zu einem neuen Weltkrieg zu eskalieren.

Zu den Fotos in dieser Beilage:

Flucht und Vertreibung sind die häufigste Folge von Kriegen, Menschen suchen Schutz in Flüchtlingslagern.

Das Camp Al-Hol in Nordostsyrien ist ein Sonderfall, dort leben nicht nur schutzbedürftige Geflüchtete, sondern auch Tausende IS-Anhängerinnen aus dem Ausland, die dort interniert werden und ihre Kinder. Insgesamt wohnen dort mehr als 55.000 Personen in Zelten, 90 Prozent von ihnen sind Frauen und Kinder. Länder wie die Bundesrepublik nehmen ihre Staatsangehörigen nur vereinzelt zurück.

Wöchentlich werden vom IS geköpfte Frauen im Camp gefunden. Auch an dem Tag, als die kurdische Fotografin Perwin Legerin diese Fotostrecke aufnahm. Die Mitarbeitenden und Journalisten können viele Teile des Camps nur mit gepanzerten Fahrzeugen durchfahren, einige Insassen sind bewaffnet. Das Camp ist eine Brutstätte für islamistische Ideologien. Eine neue Generation IS-Anhänger wächst dort heran.

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