Gegründet 1947 Mittwoch, 31. Dezember 2025, Nr. 303
Die junge Welt wird von 3063 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 31.12.2025, Seite 10 / Feuilleton
Musikfernsehen

Amnestie für MTV

»Pictures came and broke my heart«: Ein Nachruf auf den Mainstreammusiksender
Von Ken Merten
10.jpg
»I’m the slime oozin’ out from your TV set« (Frank Zappa)

Es trifft sich, dass die mit MTV verbundene Anekdote etwas damit zu tun hat, wie sich zum Eindeutschen ein Hörfehler gesellte. Das eine Jahrtausend ging zu Ende, das andere fing an, graue Vorzeit also. Stefan Raab (»Hol’ mir ma’ ‘ne Flasche Bier!«, 2000) und die Gerd-Show mit dem »Steuersong (Las Kanzlern)« (2002) bewiesen justament, warum mit der »rot-grünen« »Agenda 2010« nicht auch noch eine Einsparung in Sachen Humor möglich gewesen wäre – Nackten lässt sich nicht mehr in die Taschen greifen.

In der Schulklasse gab es TV-Tips: Wer cool sein will, schaue, deutsch gesprochen, »MTV«. Nicht (mehr) Super RTL, schon gar nicht Kika, Programm der pferdeliebhabenden Bildungskleinkinder, aber – ganz wichtig! – auch nicht Viva (1993–2018). Ich zappte also durch das sich ab und an wandelnde Programm der hiesigen Sendergemeinschaft, in der Hoffnung, auf den geilen Kanal zu stoßen, wurde fündig und enttäuscht: Was hat Coolness mit Nachrichten in Dauerschleife zu tun?

Ja, ich hatte mich verhört und war auf NTV gestoßen, ehe man dort nur noch »Dokumentationen« über Hitlers Pyramiden aus dem All ausstrahlte. MTV war nicht erreichbar, erst Jahre später. Und dann zeigte sich auch, warum die in Skatermarken wie Vans oder Volcom Gekleideten MTV empfahlen: nicht der Nachrichten (neuer Popmusik) wegen, sondern für »Jack­ass« (2000–2002), »Viva la Bam« (2003–2005) oder »Meet the Barkers« (2005/2006). Youtube am Horizont, war MTV längst nicht mehr die einzige Quelle für Musikvideos und konkurrenzloses Medium, das bestimmen konnte, welche Songs einem breiten Publikum präsentiert wurden. Aber es war weiterhin Lifestyleprodukt und voll der Kaufempfehlungen für Segmente der Leitjugendkultur, neben der eben auch das bereits 2018 eingestellte deutsche Pendant Viva nach schrill-buntem Imitat des US-Originals aussah.

»Jetzt erst?« mag nicht nur meine Reaktion gewesen sein, als das heutige Inhaberunternehmen Paramount verkündete, die Landeskanäle von MTV zu Anfang 2026 abzuschalten und nurmehr MTV HD als Sender zu erhalten, auf dem ausschließlich Reality-TV-Formate gezeigt werden. Die Pressemitteilung ist die Todesanzeige eines seit Jahren Totgeglaubten.

Die Abwrackung von MTV mag Teil der politökonomischen Verschiebungen innerhalb US-amerikanischer Medienmonopole sein, letztlich hat es sich als auf den Nachwuchs zugeschnittenes lineares Fernsehen gesellschaftlich wie technisch gleich der Compact Disc überlebt. Ein Gnadenschuss.

Mit dem Musikclip, den der Sender am 1. August 1981 um 0.01 Uhr ausstrahlte, war bereits alles gesagt – und alles gezeigt: »We can’t rewind, we’ve gone too far«, sangen The Buggles. »Video Killed the Radio Star« (1979) – die Welt darin in Mondlicht getaucht, ist voll der dunklen Ecken und Flecken, MTV ließ flimmern, selbstredend nicht alles. Jahrzehntelang galt, dass sich die Produktion hochwertiger Musikvideos nur dann rentierte, wenn sie auch von MTV gespielt wurden.

2000 zeigte MTV, Nomen est omen, das Video zu »Dunkler Ort« der Böhsen Onkelz. Ein Jahr darauf hatte man sich nach einer »MTV Masters«-Episode über das Quartett nicht mehr lieb. 2002 bestätigte die Band mit »Keine Amnestie für MTV« die Marktmacht des Privatsenders und die eigene Rebellentümelei – alle waren glücklich, alles lief, wie es laufen sollte. Amnestie für alle Beteiligten.

Das »M« in der Abbreviatur stand unausgesprochen und dekadenlang für Mainstream – und wer aus welchen Gründen auch immer von MTV nicht gespielt wurde, durfte sich der Distinktion rühmen. Was geht und was nicht: Freddie Mercury in Ledermini (Queen: »I Want to Break Free«, 1984), da genierte sich das kulturindustrielle Spießertum, wohlwissend, dass es diktierte, wo westliche Freiheit und Moral anfangen und wo sie aufhören.

»Pictures came and broke my heart«: Seinen Niedergang hatte MTV schon immer in sich, und viel vom Verfall, die Dating-Shows und Reality-Soaps, hat uns das Programm zum weiteren Freidrehen hinterlassen. Aber wie der kanadische Schauspieler Tom Green 2012 dem Hollywood Reporter sagte: »I don’t watch a whole lot of television, to be honest, but I do miss music videos.« Die haben MTV überlebt, als ein Format, das mehr sein muss als ein die Augen beim Hören beschäftigender Werbespot. Darin wies MTV im Sinne der Massenkunst mit aller Inkonsequenz nach vorne.

Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug

Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Mehr aus: Feuilleton