Kleine Schritte
Von Thomas Berger
Gleich zwei wichtige Besucher empfing Sri Lankas Staatschef Anura Kumara Dissanayake, im Land oft nur nach seinen Initialen AKD genannt, in der Weihnachtswoche: Zunächst machte Indiens Außenminister Subramanyam Jaishankar für zwei Tage dem kleinen Nachbarn seine Aufwartung. Gleich im Anschluss traf am 23. Dezember Wang Junzheng, ranghohes ZK-Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas und Parteichef der Autonomen Region Tibet, beim linken Präsidenten in Colombo ein.
Sowohl China als auch Indien haben der Inselrepublik weitere Unterstützung zugesichert. Deutlich wird daran das jeweilige strategische Interesse der beiden Rivalen an Sri Lanka. Die Außenpolitik Colombos ist deshalb stets ein Balanceakt. Dass zuviel Einflussnahme einer der beiden Mächte im Land nicht gut ankommt, zeigte der Widerstand gegen die indische Friedenstruppe, die zwischen 1987 und 1990 ein letztlich gescheitertes Friedensabkommen im Bürgerkrieg zwischen der Staatsgewalt und tamilischen Rebellen überwachen sollte. Als der Krieg 2009 endete, setzte der damalige Präsident Mahinda Rajapaksa auf chinesische Großinvestitionen, in einem Maße allerdings, das ihm harsche Kritik einbrachte. Gleichwohl bleiben Indien wie China die bedeutendsten Partner des Landes.
Indiens Außenminister Jaishankar versprach bei seinem Besuch ein Hilfspaket im Wert von 450 Millionen US-Dollar; 100 Millionen direkte Beihilfen, 350 Millionen über Kredite – insbesondere zum Wiederaufbau der von der Flutkatastrophe Ende November zerstörten Infrastruktur (siehe Spalte). Bereits seit dem 28. November hatte Indien zudem 1.134 Tonnen an humanitärer Nothilfe geliefert und nahe Kandy im zentralen Hochland ein Feldlazarett für rund 8.000 Menschen eingerichtet. AKD sprach nun von einem »neuen Kapitel« in den bilateralen Beziehungen und erinnerte, wie Sri Lankas Außenminister Vijitha Herath bei anderer Gelegenheit, an die indische Hilfe 2022 während der schwersten Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit 1948. Damals konnte Sri Lanka seine Schulden nicht mehr bedienen, das war de facto der Staatsbankrott, das Land stand vor dem ökonomischen Zusammenbruch.
Für China wiederum sagte Wang seinen Gastgebern neben der Fluthilfe eine fortgesetzte Unterstützung vor allem im Kampf gegen die Korruption zu. Korruption ist tatsächlich eines der größten Probleme. Aus der Hoffnung, diesem Übel ein Ende zu bereiten, ging bei der Präsidentschaftswahl im September 2024 mit AKD ein Kandidat, der nicht dem »Establishment« entstammt, als Sieger gegenüber dem konservativen Oppositionsführer Sajith Premadasa und dem Übergangspräsidenten Ranil Wickremesinghe hervor. Unmittelbar endete der Dreikampf zu Gunsten von AKD mit 42 Prozent zu 33 bzw. 17 Prozent, nach Auszählung der Zweitpräferenzen lag der Kandidat von der linken Volksbefreiungsfront (JVP) dann mit 55 Prozent vorn. Zwei Monate später sicherte sich die National People’s Power (NPP), ein linkes Bündnis aus 21 Parteien und zivilgesellschaftlichen Gruppen, mit 159 von 225 Sitzen noch eine breite Mehrheit im Parlament.
Seither ist ein neuer Stil eingezogen. AKD hat den Pomp im Staatsapparat reduziert. Bezüge von Ministern und Abgeordneten wurden gekürzt, die Expräsidenten mussten ihre luxuriösen Staatsbungalows räumen – Einschnitte bei ihren Pensionen erfordern aber eine Verfassungsänderung. Beim Kampf gegen Korruption gab es zumindest spektakuläre Festnahmen und Anklagen. Prominentester Fall ist Politveteran Ranil Wickremesinghe, AKDs Vorgänger und mehrfacher Expremier. Inzwischen kam er gegen Kaution aus der Untersuchungshaft frei, nachdem seine Verhaftung im August zunächst in bürgerlich-oppositionellen Kreisen einen Aufschrei ausgelöst hatte. Abgesetzt und festgenommen wurden allein in den letzten Wochen die Leiter der staatlichen Handelsgesellschaft, der Eisenbahn und der Ceylon Petroleum Corporation, der Chefberater einer früheren Regierung und ein ehemaliger Minister für Tourismus und Luftfahrt. Die Chefs von Polizei und Gefängnisbehörde erwartet gleichfalls ein Prozess. Der mit dem Präsidenten nicht verwandte Ranga Dissanayake, Leiter der Commission to Investigate Allegations of Bribery or Corruption (CIABOC), erhielt schon im Mai umfangreiche Befugnisse, um gestohlenes Staatsvermögen zurückzuholen.
Kritisiert wird bisweilen, das sei bloß Symbolpolitik auf oberster Ebene, das strukturelle Korruptionsproblem sei AKD noch nicht angegangen. Die neue Regierung habe viele Erwartungen bisher nicht erfüllt. Die Erhöhung der bisher extrem niedrigen Bildungsausgaben, von der Premierministerin Harini Amarasuriya als »historisch« bezeichnet, reiche bei weitem nicht aus, monierte etwa das in Sri Lanka tätige Feminist Collective for Economic Justice.
Dabei lassen die Basisdaten zweifellos eine wirtschaftliche Gesundung erkennen, obgleich ein Viertel der Bevölkerung auf Hilfe angewiesen bleibt und die Flutschäden nun ein weiteres Wachstum deutlich bremsen dürften. Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und 120 andere Experten forderten dieser Tage ein Schuldenmoratorium für Sri Lanka. AKD hat zwar einige Privatisierungen, so beim Stromversorger, gestoppt oder ausgebremst – eine Neuverhandlung des IWF-Kredits über drei Milliarden Dollar ist aber nicht erfolgt. 206 Millionen US-Dollar extra Flutnothilfe werde der IWF jetzt gewähren, heißt es. Doch es gibt bereits warnende Stimmen, diesen Sonderkredit zu höheren Zinsen anzunehmen.
Hintergrund: Extreme Flutschäden
Mit einer Botschaft zum Zusammenhalt haben sich am 25. Dezember Präsident Anura Kumara Dissanayake und Premierministerin Harini Amarasuriya ans Volk gewandt. Sri Lanka stehe infolge der Zerstörungen durch Zyklon »Ditwah« im November »an einer kritischen Weggabelung«, betonte die Regierungschefin. Die Herausforderung lasse sich nur mit »Einheit, Liebe und Verantwortungsbewusstsein« bewältigen. In der Tat ist der Wiederaufbau eine riesige Aufgabe. Die Weltbank schätzte die Sachschäden am 22. Dezember auf 4,1 Milliarden US-Dollar. Kurz zuvor hatte die Regierung ein Wiederaufbauprogramm von 500 Milliarden Rupien (rund 1,6 Milliarden US-Dollar) auf den Weg gebracht.
639 Todesopfer waren zuletzt bestätigt, rund 200 Personen werden noch als vermisst geführt. Jeder Distrikt im Land ist betroffen. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) und regierungsamtliche Stellen gehen von etwa 2,3 Millionen Menschen aus, die ihre Häuser und/oder ihre wirtschaftliche Existenz verloren haben oder deren Alltagsleben zumindest massiv gestört ist. Allein 275.000 Kinder, so das UN-Kinderhilfswerk UNICEF, haben nicht nur traumatische Erfahrungen gemacht, sondern sind oft noch länger vom regulären Unterricht ausgeschlossen. Allein in der Zentralprovinz, schreibt der in Colombo erscheinende Daily Mirror, dienen 115 Schulen derzeit als Notunterkünfte. 159 Bildungseinrichtungen sind dort zerstört oder schwer beschädigt.
Auch 764 religiöse Stätten landesweit trugen Schäden davon – 379 buddhistische und 165 Hindutempel, 63 Kirchen und 157 Moscheen. 1,1 Millionen Hektar waren temporär überschwemmt, rund ein Fünftel der gesamten Landfläche. Was das an Ernteausfällen und damit für die Ernährungssicherung bedeutet, ist noch unklar. 175.000 Hektar Ackerland jedenfalls gelten vorerst als komplett zerstört. Dafür herrscht inzwischen ein recht guter Überblick zu den Schäden der Infrastruktur: Mehr als 40 Brücken und 247 Kilometer Straßen müssen neu gebaut oder aufwendig repariert werden. Allein bei Hauptverkehrsachsen (Highways) wird der Schaden auf 190 Milliarden Rupien geschätzt. Das Bahnnetz, bei dem zuletzt nur zwei Linien verkehrten, ist fast komplett zusammengebrochen. Nur ein Drittel des gesamten Streckennetzes gilt noch als voll betriebsfähig. Allein 39 Loks stecken verstreut irgendwo fest. Dass auch wichtige Wasseraufbereitungsanlagen ausgefallen und fast 1.800 Wassertanks beschädigt sind, stellt die Trinkwasserversorgung vielerorts noch in nächster Zeit vor Probleme. Doch anders als der rechtskonservative indonesische Präsident Prabowo Subianto in seinem Land hatte AKD in Sri Lanka frühzeitig den Notstand erklärt und um internationale Hilfe ersucht. Eine Geberkonferenz wird vorbereitet. (tb)
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