Es menschelt
Mal abgesehen davon, dass sie rückgratlose, machiavellistische Elendsverwalter sind, sind Politiker genau wie du und ich: Menschen nämlich, denen man Fehltritte, so kalkuliert sie auch sein mögen, nachsehen kann. Darum pflegen sie diesen Ruf eifrig, insbesondere zur Weihnachtszeit, wenn es leicht fällt, Machtspielchen kurzzeitig mit Besinnlichkeit und Nächstenliebe zu verschleiern.
»Immer im Dienst« sei Friedrich Merz, erfährt man im Tagesspiegel, der sich am Vortag des Heiligabends der Frage widmete, wie Bundeskanzler und Familie das Fest begehen. Für letztere dürfte die anhaltende Betriebsamkeit ihres Patriarchen ein Segen sein. Zuviel Politik verdirbt bekanntlich den Charakter. »Der Katholik« sei jedenfalls daheim, um »›traditionelle Weihnachten‹« zu feiern. Dass er großzügig den Reichen gibt, was er bei den Armen nimmt, kompensiert der Regierungschef zum Jahresende mit Bescheidenheit: Mittels Gewichtel sollen Merzens »›die Päckchenflut erfolgreich eingedämmt‹« haben. Vom Besuch bei den Eltern über den Spaziergang durch das Sauerland bis zu den personalisierten Weihnachtsgrüßen für die örtlichen CDU-Muftis menschelt Merz – eine gelungene Abwechslung von seinem unmenschlichen Regierungsprogramm.
Am beschaulichen vierten Advent stilisierte die FAZ sämtliche »Volksvertreter« zu unermüdlichen Arbeitstieren hoch, die sich nur deshalb eine Auszeit nähmen, »weil das ganze Land es tut« – »alles andere sähe abgehoben aus«. Schrecklich anstrengend sei zuvor die »Weihnachtsdiplomatie«: Erst müsse auf Einladung von Botschaftern Glühwein gesoffen, daraufhin kostenlos Konzerten gelauscht und dann auch noch auf Karten unterschrieben werden. Bei derlei »Terminhopping« bleibe allenfalls Zeit, »um sich zu erinnern, dass es so etwas wie Besinnung gibt«, zumal »Krieg, Frieden und Weihnachten schwer zu trennen« seien. Womöglich trifft dieser Frankfurter Pathos sogar den Geist der Zeit. Eins sind nämlich fast alle Politiker: irre kriegsbesoffen und deshalb überzeugt, dass die Militarisierung keinen Aufschub duldet.
Für Instagram hat Bunte die unzähligen Weihnachtsinterviews verdichtet. »Heringssalat mit Bedeutung« prangt dort wohl unfreiwillig komisch auf einem Foto vom international vor allem als Foodblogger bekannten Markus Söder. Wie ein Plätzchen hat Julia Klöckner dessen Weihnachtsgrüße dieses Jahr allerdings mit ihrem Backvideo laut Spiegel ausgestochen. Und das ist die Crux: Politik ist nie nicht Konkurrenz – erst recht nicht dann, wenn die Charaktermasken ihre Barmherzigkeit zur Schau stellen. (nu)
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