Wie geht die Polizei dabei vor?
Interview: Leon Wystrychowski
Seit fünf Monaten verbietet Ihnen die Polizei in Mannheim, auf Demos öffentlich aufzutreten. Was ist der Grund und wie geht sie dabei vor?
In Baden-Württemberg wurde die Parole »From the river to the sea, Palestine will be free« durch den Verwaltungsgerichtshof Mannheim im Juni 2024 mit einer sehr schwachen Begründung verboten. Im Mai 2024 hatte das Landgericht Mannheim in einem Strafprozess gegen mich allerdings festgehalten, dass die Parole nicht strafbar sei. Von allen möglichen Interpretationsmöglichkeiten sei nur eine einzige tatsächlich strafrechtlich relevant. Allerdings müsse von der Interpretation ausgegangen werden, die für den Angeklagten am günstigsten sei. Dadurch liegt der Widerspruch auf der Hand: Man darf die Parole in Baden-Württemberg nicht verwenden, kann aber zugleich nicht dafür bestraft werden, wenn man es doch tut. Deswegen habe ich die Parole immer wieder gerufen – und die Behörden haben wiederholt Ermittlungen gegen mich eingeleitet.
Worin mündete dieses Katz-und-Maus-Spiel?
Weil sie aufgrund des Urteils des Landgerichts nicht weit kommen, haben sie sich etwas Neues überlegt: Sie erteilen mir kein Redeverbot per Ordnungsverfügung, das sich auf handfestere Argumente stützen müsste – gegen mich liegen nämlich nach fast zweieinhalb Jahren keine rechtskräftigen Verurteilungen vor, ausschließlich Freisprüche und mindestens 29 eingestellte Verfahren –, sondern sie schreiben einfach meinen Namen in die polizeilichen Auflagen und verbieten meinen Auftritt als Redner. Formal ist es also ein Rednerverbot, kein Redeverbot. Praktisch ist es dasselbe. Selbst wenn ich nur aus der Versammlung heraus Parolen rufe, wird das von der Polizei gerne als »Rednerauftritt« gewertet.
Was bedeuten diese Verbote Sie?
Es geht nicht um mich als Individuum, sondern darum, mich als Palästinenser mundtot zu machen, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, der Rassismus und Ausgrenzung erfahren hat, dessen Volk in einem Genozid abgeschlachtet wird und der trotz all dessen nie aufgehört hat, auf die deutsche Gesellschaft zuzugehen und einzuwirken.
Behörden aus anderen Städten haben dieses Vorgehen mittlerweile kopiert und auch noch auf ein anderes Thema ausgeweitet.
In der Vergangenheit hatte die Stadt Mannheim offenbar Informationen über mich an die Stadt Frankfurt am Main weitergegeben. In Heidelberg wurde das Verbot aus Mannheim kürzlich eins zu eins in die Auflagen hineinkopiert. Vorletzte Woche haben die Mannheimer Behörden mir dann auch bei einer Kundgebung gegen die US-Aggression gegen Venezuela ein Redeverbot erteilt. Es geht also nicht nur darum, dass ich als Palästinenser nicht über Palästina reden darf – ich soll als Palästinenser generell nicht über Antiimperialismus und internationale Solidarität sprechen.
Können Sie sich nicht gerichtlich dagegen wehren?
Leider wurde dieses Vorgehen in Mannheim im Eilverfahren in einer oberflächlichen Prüfung der Verwaltungsgerichte in zwei Instanzen bestätigt. Vor das Bundesverfassungsgericht sind wir aufgrund der Kürze der Zeit zwischen Auflagenerlass und Versammlungsende noch nicht gekommen. Denn egal, ob man die Kundgebung eine Woche oder zehn Monate vorher anmeldet, erreichen uns die Auflagen immer erst kurz vor der Versammlung. Verwaltungsgerichte und Versammlungsbehörden schränken faktisch Grundrechte mit Hilfe von bürokratischen und scheinjuristischen Kniffen ein.
Wie gehen Sie damit um?
Ich stehe mit vielen Aktivisten und Anwälten des European Legal Support Center, von 3ezwa und mit Genossen des »Kufiya-Netzwerks« im Austausch. Momentan bereite ich mehrere Klagen gegen die Polizei und auch die Stadt Mannheim vor. Eine Klage gegen die Polizei hat schon zu ersten Teilerfolgen geführt, aber wir sind noch weit davon entfernt, das Rednerverbot aufzuheben. Generell sollte uns klar sein, dass in einem imperialistischen Staat die juristischen Kämpfe begrenzte Möglichkeiten bieten. Ohne den Kampf auf der Straße und ohne breite Solidarität werden wir die Repression nicht zurückschlagen können.
Mahmud Abu-Odeh ist Palästina-Aktivist aus Mannheim und bei der Gruppe Zaytouna Rhein-Neckar aktiv; seine Familie stammt aus dem Westjordanland
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