Niederlage im Rechtsstreit um Öltanker
Sassnitz. Vor fast einem Jahr fielen an Bord des mit rund 100.000 Tonnen russischen mit Öl beladenen Tankers »Eventin« vor der Küste Mecklenburg-Vorpommerns alle Systeme aus. Stundenlang trieb das Schiff manövrierunfähig in der Ostsee, bevor Rettungsteams auf See Schleppverbindungen herstellten. Seit rund elf Monaten liegt das inzwischen von der EU zum Teil der russischen »Schattenflotte« erklärte Schiff vor Rügen. Eigentlich will der Zoll es samt Ladung einziehen und verwerten. Doch der Bundesfinanzhof (BFH) hat dem nun auch in zweiter Instanz gerichtlich einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das Gericht sieht »begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einziehungsmaßnahmen«, wie es Donnerstag mitteilte.
Anders als das Schiff, das erst nach der Havarie auf die Sanktionsliste der EU genommen wurde, galt laut BFH zum Zeitpunkt der Havarie zwar schon die Ladung als sanktioniertes Gut. Laut Gericht ist rechtlich aber unklar, ob das Schiff nicht trotz Sanktionen wegen des Notfalls EU-Gebiet anlaufen und auch wieder verlassen darf. Der BFH verweist dabei unter anderem auf das Völkerrecht und insbesondere das Nothafenrecht, nach dem in Notfällen die Einfahrt in einen Hafen gestattet werden muss. Auch die maßgeblichen Sanktionsregeln der EU sehen eine Ausnahme für Notfälle vor. Da die nun ergangene Entscheidung Teil eines Eilverfahrens ist, dürfte das juristische Tauziehen um das Schiff in einem Hauptsacheverfahren jedoch noch weitergehen.
»Aktuell prüft die Zollverwaltung die Herbeiführung eines Urteils zur Rechtmäßigkeit der Einziehung im Rahmen eines gerichtlichen Hauptverfahrens«, teilte eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums auf Anfrage von dpa mit. Die BFH-Entscheidung sei »keine abschließende Bewertung der Rechtslage«. Die Entscheidung werde derzeit ausgewertet. »Zu möglichen weiteren Schritten können daher aktuell noch keine Angaben gemacht werden.« Das BFH bestätigte eine Entscheidung des Finanzgerichts Greifswald. Dieses hatte auf Antrag des Eigners Verfügungen zur Einziehung und Verwertung ausgesetzt. Gegen die Entscheidung des Greifswalder Gerichts hatte das Hauptzollamt Stralsund (HZA) Beschwerde beim BFH eingelegt.
Die EU zählt das rund 20 Jahre alte und mit rund 100.000 Tonnen Öl beladene Schiff zur sogenannten Schattenflotte, mit der Russland Sanktionen umgeht. Auf dieser Liste von Schiffen, die nicht mehr in Häfen von EU-Staaten einlaufen und auch nicht mehr von EU-Unternehmen versichert, finanziert oder ausgerüstet werden dürfen, stehen inzwischen mehr als 550 Schiffe. Der Eigner der »Eventin«, die Laliya Shipping Corp. mit Sitz auf den Marshallinseln, hat jedoch vor dem Gericht der EU gegen die Listung geklagt, die erst nach der Havarie erfolgt war. Als Grund gibt die Klägerin an, das Schiff habe »zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt, sanktionierte Ölprodukte in die EU zu transportieren.« Die Einfuhr in deutsche Hoheitsgewässer sei unfreiwillig aufgrund eines »technischen Defekts erfolgt und durch das Recht auf Anlaufen eines Nothafens gedeckt«. Auch die maßgebliche Definition für Schiffe der Schattenflotte passe nicht auf die »Eventin«. Laut BFH war das Schiff auf dem Weg von Russland nach Indien, einem wichtigen Abnehmer russischen Öls. Branchendaten zufolge war es auch schon in der Vergangenheit wiederholt zwischen Russland und Indien unterwegs.
Andreas Heinemann, Kovorsitzender des Tourismusverbands Rügen, sagte der dpa, das Schiff müsse endlich weg. »Es kann ja nun nicht so weitergehen, dass das Schiff hier vor unserer Küste liegt, bis irgendwann mal was entschieden wird.« Finn Viehberg, Leiter des Ostseebüros der Tierschutzorganisation WWF in Stralsund, forderte, dass das Schiff beispielsweise in den Ölhafen nach Wilhelmshaven verlegt wird. Mecklenburg-Vorpommerns Umweltminister Till Backhaus (SPD) erklärte: »Natürlich ist auch das Land sehr besorgt und wünscht sich ein baldiges Verlassen der ›Eventin‹.« Er sagte aber auch: »Nach Auskunft des Bundesfinanzministeriums befindet sich das Schiff in einem ordnungsgemäßen Zustand.« Zudem liege das Schiff nach Einschätzung der Bundeswasserstraßenverwaltung im Windschatten der Insel Rügen »an einem der sichersten Orte, die innerhalb Deutschlands überhaupt erreichbar sind«. (dpa/jW)
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