Darf man den Geheimdienst nicht kritisieren?
Interview: Kristian Stemmler
Das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz hat beim Landgericht eine Unterlassungsklage gegen Sie eingereicht, am Mittwoch aber überraschend angekündigt, diese zurückzuziehen. Wieso das?
Das Landgericht hat der Gegenseite mitgeteilt, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg habe, da meine Aussage zum Verfassungsschutz ein von der Meinungsfreiheit gedecktes Werturteil darstelle. Mit dem gescheiterten Versuch, mich zum Schweigen zu bringen, hat sich der Verfassungsschutz blamiert.
Wie kam es denn zu der Unterlassungsklage?
Der Senat plant, die Regelanfrage im öffentlichen Dienst einzuführen, also künftig alle Bewerberinnen und Bewerber für den Staatsdienst vom Verfassungsschutz überprüfen zu lassen. Am 21. Oktober habe ich das in einer Pressemitteilung kritisiert. Und in dem Zusammenhang habe ich auch eine generelle Kritik am Verfassungsschutz geübt, die jetzt Gegenstand der Unterlassungsklage ist.
Welche Aussage sollen Sie denn konkret unterlassen?
In der Mitteilung hieß es, wer im öffentlichen Dienst arbeiten wolle, müsse künftig durch das »Nadelöhr des Verfassungsschutzes – eines Inlandsgeheimdienstes, der sich demokratischer Kontrolle weitgehend entzieht und durch Vertuschung, V-Leute-Skandale und immer wieder auch durch den Schutz rechter Netzwerke aufgefallen ist«. Unterlassen soll ich die Aussage, dass der Verfassungsschutz durch den Schutz rechter Netzwerke aufgefallen sei.
Anfang November bekam ich dazu von einer Anwaltskanzlei im Auftrag des Landesamtes für Verfassungsschutz eine Unterlassungserklärung zugesandt. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass wir das auf keinen Fall unterschreiben werden. Daraufhin hat das Landesamt die Unterlassungsklage beim Landgericht eingereicht, zu der wir inzwischen eine Stellungnahme abgegeben haben. Jetzt warten wir auf eine Entscheidung, die wohl ohne mündliche Verhandlung gefällt wird.
Was haben Sie denn entgegnet?
Das Landesamt schreibt, meine Behauptung, der Verfassungsschutz habe rechte Netzwerke geschützt, entspreche nicht der Wahrheit. Ich halte das für absurd, weil genau das durch zahlreiche Skandale gut belegt ist. So war der Verfassungsschutz bekanntlich verstrickt in den NSU-Komplex. Da wurde verhindert, dass Strafverfolgungsbehörden ihre Arbeit tun konnten, weil dem Geheimdienst der Schutz seiner V-Leute wichtiger war als die Aufdeckung von Straftaten. Und das NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2003 scheiterte, weil der Verfassungsschutz seine Leute bis in die Führung der Partei eingeschleust hatte.
Ihre Aussage bezieht sich also gar nicht speziell auf das Hamburger Landesamt.
Ich habe allgemein vom Verfassungsschutz und vom Inlandsgeheimdienst gesprochen, meine also die gesamte Institution. Wobei das Landesamt hier in Hamburg sicher auch keine ganz weiße Weste hat.
Nach Bekanntwerden der Klage haben Sie viel Solidarität erfahren.
Das Hamburger »Bündnis gegen Berufsverbote«, in dem auch die GEW mitwirkt, unterstützte mich. Ebenso das »Hamburger Bündnis gegen rechts«. Hamburgs Verdi-Vorsitzende Sandra Goldschmidt hat sich auf Social Media solidarisch erklärt. Und der Politikwissenschaftler Hajo Funke, der die Verstrickungen des Verfassungsschutzes in rechte Strukturen detailliert herausgearbeitet hat, schickte mir auf meine Anfrage hin eine Stellungnahme. Darin schreibt er, dass meine Aussage wissenschaftlich und politisch legitim ist.
Was könnte der Grund dafür sein, dass der Verfassungsschutz gegen Sie vorgegangen ist?
Offenbar soll an mir ein Exempel statuiert werden, um ein Signal zu senden: Das können die Konsequenzen sein, wenn man den Verfassungsschutz öffentlich kritisiert. Die Klage gegen mich kam nicht zufällig in einer Zeit zunehmender Repression und Kriminalisierung von unliebsamen Meinungen, etwa in der Palästina-Solidarität. Ich finde, das ist auch ein Zeichen dafür, dass es neben der für die Außenpolitik postulierten »Zeitenwende« auch eine innere Zeitenwende gibt. Und die macht sich dadurch bemerkbar, dass man autoritärer gegen unliebsame Meinungen vorgeht.
Deniz Çelik ist innenpolitischer Sprecher der Linke-Fraktion in Hamburg und Vizepräsident der Hamburgischen Bürgerschaft
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