Gegründet 1947 Mittwoch, 10. Dezember 2025, Nr. 287
Die junge Welt wird von 3063 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 10.12.2025, Seite 9 / Schwerpunkt
US-Globalpolitik

Globaler Machtkampf

Die US-Regierung hat eine neue Sicherheitsstrategie vorgelegt. Der Sound ist offen imperialistisch, im Zentrum steht als Rivale noch immer China
Von Jörg Kronauer
9.jpg
Im Pazifik präsent bleiben, China ins Visier nehmen. Kampfflugzeuge vom Typ EA-18G in der Nähe der US-Kolonie Guam

In Deutschland ist die Debatte über die am vergangenen Freitag veröffentlichte neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA bisher vor allem von den Passagen zu Europa geprägt. Und es stimmt ja auch: Die haben es in sich. Dem Kontinent die »zivilisatorische Auslöschung« vorauszusagen, weil er sich den Vorstellungen von »Remigration«, wie sie von der Trump-Administration und der AfD vertreten werden, noch nicht gänzlich angeschlossen hat, US-Unterstützung für Europas extreme Rechte anzukündigen, somit das transatlantische Bündnis faktisch auf eine offen rassistische, potentiell faschistische Grundlage zu orientieren – das ist schon ein starkes Stück. Im Schock, in der Empörung darüber gerät allerdings zuweilen aus dem Blick, weshalb Washington sich unter Trump die Mühe macht, den transatlantischen Pakt nach ganz rechtsaußen zu drücken. Die Antwort darauf findet sich in den Hauptteilen der Nationalen Sicherheitsstrategie.

Im Zentrum steht dabei unverändert der globale Machtkampf der Vereinigten Staaten gegen China. Die Passagen, die das Dokument dazu enthält, sind im Vergleich zu denjenigen der vorigen, unter Präsident Joe Biden vorgelegten Strategie ein wenig weichgespült. Das hat einen Grund. Eigentlich hätte das Papier schon im November publiziert werden sollen. Das verzögerte sich, weil – so berichtete es etwa die Wochenzeitung Politico – Finanzminister Scott Bessent Einwände hatte. Bessent hatte gerade einen Waffenstillstand im Wirtschaftskrieg mit China ausgehandelt. Er legte erheblichen Wert darauf, ihn nicht gleich wieder mit wildem Verbalgetöse zu zerstören. Was die Wirtschaft betrifft, heißt es in der Sicherheitsstrategie jetzt vor allem, die USA wollten den Handel mit der Volksrepublik nicht beenden, ihn aber auf »nichtsensible Faktoren« fokussieren. Soll heißen: Gekauft werden sollen künftig lediglich leicht ersetzbare Waren, um bei einer Konflikteskalation nicht abhängig von China zu sein.

Davon abgesehen wird mit der Nationalen Sicherheitsstrategie »robust und anhaltend auf Abschreckung« gesetzt, sprich: auf Hochrüstung in der Asien-Pazifik-Region. Im ­Zentrum steht dabei die »Erste Inselkette« (First Island Chain), die von der Südsüitze Japans über Taiwan bis nach Borneo und Vietnam reicht und zu der Washington dem Strategiepapier zufolge noch leichteren Zugang zu militärisch nutzbarer Infrastruktur verlangt und eine noch stärkere Aufrüstung der Inselstaaten fordert. Ein spezielles Augenmerk wird in dem Dokument auf Taiwan gerichtet – und zwar nicht nur wegen dessen Halbleiterproduktion, sondern auch, weil der Inselstaat einen »direkten Zugang zur Zweiten Inselkette« bietet. Die erstreckt sich von Japan über die US-Kolonie und -Militärbasis Guam und Palau bis Papua-Neuguinea. Hätte China Kontrolle über Taiwan, dann könnten seine Streitkräfte dorthin ausbrechen. Außerdem »teilt Taiwan Nordost- und Südostasien in zwei Einsatzgebiete«, heißt es in dem Dokument. Stünden Chinas Streitkräfte auf der Insel, könnten sie einen Keil zwischen die US-Truppen in Japan und Südkorea auf der einen und auf den Philippinen auf der anderen Seite treiben.

Soviel zum Gerede über die angebliche Absicht, die Demokratie auf Taiwan schützen zu wollen. Davon findet sich in der Sicherheitsstrategie kein Wort. Auch in der Passage, die der Lage im Südchinesischen Meer gewidmet ist, spricht Washington Klartext: Es fürchtet nicht um mögliche Anrechte schwächerer Anrainerstaaten auf die zahllosen Riffe oder Sandbänke in dem Gewässer, sondern vielmehr darum, dort könne »eine potentiell feindliche Macht« die Kontrolle erlangen. Gemeint ist China mit seinen Versuchen, die Gewässer vor seiner Küste, über die etwaige Angriffe erfolgen würden, zu kontrollieren.

Neu in der Nationalen Sicherheitsstrategie ist aber vor allem etwas anderes: Im Kontext des Machtkampfs gegen China gewinnt Lateinamerika oder, wie es im US-Sprachgebrauch heißt, die westliche Hemisphäre erheblich an Bedeutung. Der Grund: Dort ist nicht nur Russland punktuell präsent, etwa in Venezuela, vor allem ist China zum größten Handelspartner der Region (ohne Mexiko) und zu einem bedeutenden Investor in kritische Infrastruktur von Häfen bis zu 5G-Netzen aufgestiegen. Das soll sich ändern. »Wir wollen, dass andere Staaten uns als Partner der ersten Wahl ansehen«, heißt es in der Strategie; und man werde »durch verschiedene Mittel«, was auch immer das heißen soll, »ihre Zusammenarbeit mit anderen erschweren«. In der Praxis bedeutet das: Russland und China raus.

Diesem großartigen Plan wird im großartigen Strategiepapier natürlich ein großartiger Namen gegeben: »Trump-Zusatz zur Monroe-Doktrin« soll er heißen. Konkret im Visier hat Washington dabei zum einen die Rohstoffvorräte vor allem Südamerikas, etwa das Lithium Argentiniens, Boliviens und Chiles – von »kritischen Lieferketten« ist in dem Dokument die Rede. Darüber hinaus geht es aber explizit auch darum, die Militärpräsenz in Lateinamerika und der Karibik auszubauen und die Rüstungs- und Militärkooperation mit den Ländern der Region zu intensivieren – »von Waffenverkäufen über Geheimdienstaustausch bis hin zu gemeinsamen Manövern«. Den Beginn des Ganzen kann man gegenwärtig vor der Küste Venezuelas beobachten. Glaubt man der Nationalen Sicherheitsstrategie, wird mehr folgen.

»Ein Fahrplan, um zu gewährleisten, dass Amerika die großartigste und erfolgreichste Nation in der Geschichte der Menschheit bleibt«: So hat US-Präsident Donald Trump die neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA in einem kurzen Vorwort beschrieben. Das Dokument strotzt vom milieutypischen Geprotze und von einer Selbstgewissheit, die alarmieren müsste: Wer sich dermaßen über alle Welt erhaben fühlt, nimmt eigene Schwächen nicht mehr wahr, ist also angreifbar. Dass es in dem Papier heißt, die beispiellose »Soft power« der USA werde es auch in Zukunft ermöglichen, weltweit »positiven Einfluss« zugunsten von US-Interessen auszuüben, lässt tief blicken: Selbst in Indien, wo Trump stets bei einer Mehrheit der Bevölkerung populär war, erachten inzwischen weit mehr als 50 Prozent der Bevölkerung seine Politik als schädlich für ihr Land.

Merkwürdige Einschätzungen finden sich auch in den Passagen der Sicherheitsstrategie zum Nahen und Mittleren Osten. Die gesamte Region sei für die USA einst ganz zentral gewesen, heißt es in dem Papier; schließlich habe sie mehr Energierohstoffe gefördert als sämtliche anderen Regionen weltweit. Dies spiele aber jetzt, da die Vereinigten Staaten – dem Fracking sei Dank – zum Nettoexporteur von Erdöl und Erdgas geworden seien, keine spezielle Rolle mehr. Die USA würden zwar weiterhin dafür sorgen, dass keine »gegnerische Macht« den Nahen und Mittleren Osten kontrollieren könne, und sie würden auch in Zukunft für die Sicherheit Israels sorgen. Die Konflikte in der Region seien allerdings nicht mehr schlimm – jedenfalls weniger, »als die Schlagzeilen einen glauben machen könnten«.

Spricht aus derlei Sätzen weniger eine ernstzunehmende Analyse als vielmehr die Absicht, die eigenen Kräfte nicht mehr im Nahen und Mittleren Osten zu verschwenden, sondern sie auf den Machtkampf gegen China zu fokussieren, so geben sich die Verfasser der neuen Sicherheitsstrategie im Hinblick auf Afrika fast völlig desinteressiert. Doch eben nicht ganz: Dort gebe es Rohstoffe »im Überfluss«, heißt es in dem Papier. Man solle von der einstigen Entwicklungshilfe komplett auf ein Handelsparadigma umsteigen und dabei gezielt auf die Ressourcen des Kontinents orientieren. Unterwirft man die afrikanischen Staaten damit nicht erneut den Interessen äußerer Mächte? Auch auf Fragen wie diese hat Trumps neue Nationale Sicherheitsstrategie eine Antwort parat. »Der übermächtige Einfluss größerer, reicherer und stärkerer Nationen«, heißt es darin, »ist eine zeitlose Wahrheit der internationalen Beziehungen.« Beuten die Vereinigten Staaten schwächere Staaten aus, dann folgen sie also nur einer »zeitlosen Wahrheit«. Anders geht’s ja nicht. (jk)

Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug

Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Wann sie schreiten Seit an Seit. Zwei Haudegen des Kapitals im W...
    11.01.2025

    Trumps Triumph

    Vorabdruck. Kabinett des Grauens. Am 20. Januar tritt Donald Trump seine zweite Amtszeit als Präsident an. Ein Überblick über die neue US-Regierung
  • Fast wie ein offizieller Staatsbesuch: Begrüßung von Lai Ching-t...
    07.12.2024

    Beijing protestiert

    Taiwan: Präsident provoziert durch Südpazifikreise und Besuchen in den USA

                                              jW-Jahreskalender für 2026 herunterladen (hier direkt)