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Aus: Ausgabe vom 06.12.2025, Seite 5 / Inland
Gesundheitskosten

Frühes Sterben ist nicht billig

Lebenserwartung der Deutschen im EU-Schnitt niedrig – bei höchsten Gesundheitskosten. Gegen steigende Kassenbeiträge sollen Leistungskürzungen helfen
Von Ralf Wurzbacher
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In Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit ist die BRD führend, Hausärzte sind ein eher geringer Kostenfaktor

Die Krankenkassen wollen ihrer prekären Finanzlage beikommen: mit einem »Sparpaket« im Umfang von 50 Milliarden Euro. Ohne »Reformen« drohe der durchschnittliche Beitragssatz von aktuell 17,5 Prozent auf bis zu 19,1 Prozent im Jahr 2030 hochzuschnellen, 2040 wären es sogar bis zu 22,7 Prozent. So steht es in einer Stellungnahme des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für die von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) eingesetzte »Finanzkommission Gesundheit«. Diese will bis März 2026 Vorschläge zur Stabilisierung des Systems erarbeiten. Das Mittel der Wahl sind wie immer Leistungskürzungen, etwa durch Deckelung der Pflegeausgaben in den Krankenhäusern oder die Wiederbelebung von Budgets für Haus- und Kinderärzte. Das mag Patienten nicht mehr Geld kosten, könnte sie aber ihr Leben kosten.

Es gibt bessere Rezepte, insbesondere in puncto Prävention. Der am Donnerstag vom AOK-Bundesverband in Kooperation mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum veröffentlichte »Public-Health-Index« listet die BRD auf mehreren Handlungsfeldern ganz weit unten im Vergleich von 18 europäischen Staaten. Ernährungs-, Tabak-, Alkohol-, Bewegungspolitik – überall schneiden die Deutschen schlecht bis miserabel ab. Die Spitzenreiter Großbritannien, Finnland und Irland setzten gezielt auf Maßnahmen zur Förderung gesunder Lebensweisen, etwa Mindeststandards für Schulessen, eine gesundheitsorientierte Besteuerung sowie umfassenden Kinderschutz durch Einschränkungen von Werbung und Verfügbarkeit krankmachender Konsumgüter, halten die Autoren fest. Hierzulande machen sie dagegen »mangelnden politischen Willen zum Umsteuern« aus. Die Quittung: Bei der Lebenserwartung rangiert Deutschland mit 81,1 Jahren (2023) unterm EU-Durchschnitt auf Rang 17. In Spanien leben die Menschen im Schnitt drei Jahre länger.

Führend ist die Republik nur in einem Punkt – den Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit. Und weil vor allem die moderne Gerätemedizin, die Pharmalobby und die kommerziellen Kliniken immer mehr Geld beanspruchen, steigt auch der Druck auf die Kassen. Der gesetzlich festgelegte Zusatzbeitrag erhöht sich für 2026 um 0,4 Punkte auf dann 2,9 Prozent, wobei das nur eine Orientierungsmarke darstellt. Beispielsweise liegt die Barmer schon jetzt bei 3,29 Prozent. Ein Treiber der Entwicklung sind seit langem die sogenannten versicherungsfremden Leistungen. Zu Wochenanfang hat die GKV eine »Klagewelle« gegen die Bundesregierung losgetreten, weil sie die Kassen bei der Gesundheitsversorgung von Bürgergeldbeziehern auf rund zwei Dritteln der Kosten sitzen lässt. Eigentlich müssten die entsprechenden Beiträge komplett von den Jobcentern übernommen werden, was in der Praxis aber nur in Teilen passiert. Allein daraus entsteht der GKV eine Mehrbelastung von jährlich zehn Milliarden Euro.

Es gibt noch reichlich mehr Aufgaben, die originär der Allgemeinheit obliegen, aber von den Beitragszahlern gestemmt werden. Das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung hat in einer vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie das ganze Ausmaß der Praxis aufgezeigt. Demnach zahlen die Kassen pro Jahr knapp 58 Milliarden Euro für Leistungen, die »vollständig oder anteilig versicherungsfremd sind«. Wie das IMK am Donnerstag mitteilte, geht es dabei zum Beispiel um die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern und Kindern, Beitragspauschalen bei Midijobs oder die Finanzierung von Krankenhausinvestitionen. Insgesamt identifizieren die Forscher neun Leistungen, die eindeutig, und weitere acht, die zumindest in Teilen aus Steuermitteln zu bezahlen wären. Bisher belaufen sich entsprechende Bundeszuschüsse auf nur 14,5 Milliarden Euro. Die Beitragszahler decken damit Ausgaben von bis zu 43,5 Milliarden Euro jährlich, von denen sie mithin kaum oder gar nicht profitieren.

Die Analyse mache klar, dass die große Mehrheit der versicherungsfremden Ausgaben keineswegs überflüssig sei, sondern einen großen gesamtgesellschaftlichen Nutzen stifte, konstatiert das IMK in einer Medienmitteilung. »Ein höherer Bundeszuschuss aus Steuermitteln wäre also nur fair und ein sinnvoller Beitrag, um die Finanzierungslücke der GKV zu reduzieren.« Politisch hoch im Kurs stehen dagegen andere Ideen, etwa die Rückkehr der Praxisgebühr, die Einführung eines »Primärarztsystems« oder Karenztage bei der Lohnfortzahlung. Solche Pläne gingen in die »falsche Richtung« und hätten das Zeug, die »Krankheitskosten am Ende sogar zu erhöhen«, warnte das IMK.

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