Pleite, aber gründlich geschmiert
Von Arnold Schölzel
Noch am Sonntag leitete Andrij Jermak, Bürochef des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij, bei den Verhandlungen über Donald Trumps 28-Punkte-Plan in Genf die Delegation der Ukraine. Am Freitag morgen informierten das Nationale Antikorruptionsbüro (NABU) und die Spezialisierte Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAP) über eine Razzia in seiner Wohnung im Kiewer Regierungsviertel. Am Nachmittag dann reichte Jermak seinen Rücktritt ein, wie Selenskij in einer Videobotschaft mitteilte. Er, Selenskij, werde am Samstag mit einem möglichen Nachfolger für Jermak beraten.
Mit den Durchsuchungen bei dem langjährigen Freund Selenskijs, einem ehemaligen Filmproduzenten und Medienanwalt, erreichte die »Operation Midas«, die NABU und SAP am 10. November öffentlich machten, einen neuen spektakulären Höhepunkt. Selenskij – nach eigener Vermögensdeklaration Besitzer einer vier Millionen Euro teuren Villa im italienischen Badeort Forte dei Marmi – dürfte selbst zu dem Schmiergeldnetzwerk gehören.
Er hatte noch im Juli versucht, NABU und SAP zu entmachten. Nach Protesten im In- und Ausland konnten beide Einrichtungen weiterarbeiten, aber einige ihrer Ermittler sitzen heute noch in Untersuchungshaft. Am 10. November verkündete NABU-Chef Alexander Abakumow im Fernsehen den Abschluss der »Operation Midas«: 15 Monate Ermittlungen, 70 Durchsuchungen am selben Tag. Zusammen mit der SAP habe man mehr als tausend Stunden Audiomaterial gesammelt, die beweisen, dass eine »ranghohe kriminelle Organisation in den Bereichen Energie und Verteidigung« tätig war. Kopf der Organisation, die laut NABU 100 Millionen US-Dollar erbeutet haben soll, war demnach Timur Minditsch, ebenfalls langjähriger Freund von Präsident Wolodimir Selenskij, Mitbesitzer von dessen Filmfirma und Besitzer eines sechs Millionen US-Dollar teuren Hauses in der Schweiz. Wenige Stunden vor dem Auffliegen der Bande setzte er sich gemeinsam mit einem weiteren Schmiergeldkönig nach Israel ab. Der Tip kam von oben. Zwei Minister wurden von Selenskij entlassen.
Im ukrainischen Parlament wurde seither der Rücktritt von Jermak verlangt, der in den Mitschnitten offenbar öfter vorkommt. Er verschwand für einige Tage aus der Öffentlichkeit und tauchte erst wieder auf, als Trump am 20. November die Aufmerksamkeit auf seinen Friedensplan lenkte. Zuletzt war auch Exverteidigungsminister Rustem Umerow von Korruptionsfahndern vorgeladen worden, auch er gehörte der Delegation in Genf an.
Die Abfolge der Ereignisse deutet darauf hin, dass die »Operation Midas« und der Trump-Plan in einem Zusammenhang stehen. Die Kiewer Verhandlungspartner der USA sind jedenfalls durchweg erpressbar. Noch pflegt aber auch Jermak markige Rhetorik: In einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit dem US-Magazin The Atlantic lehnte er zum Beispiel Gebietsabtretungen für einen Waffenstillstand ab: »Solange Selenskij Präsident ist, sollte niemand damit rechnen, dass wir Gebiete aufgeben. Er wird keine Gebiete abtreten.«
Tags zuvor hatte Jermak neue Gespräche mit den USA für das Ende der Woche angekündigt. Erwartet wird die Ankunft einer US-Delegation unter Leitung des Pentagon-Staatssekretärs für das Heer, Daniel Driscoll. Der Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, kommentierte zur Razzia bei Jermak, der Korruptionsskandal in der Ukraine weite sich aus, mit negativen Folgen für das politische System in Kiew. Die EU-Kommission, die einen Staatsbankrott der Ukraine für Mitte 2026 befürchtet, ließ am Freitag in Brüssel durch Sprecherin Paula Pinho ausrichten, sie sehe die Durchsuchungen bei Jermak als Zeichen für eine funktionierende Korruptionsbekämpfung in dem Land.
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