Alles für die Staatsräson
Von Ulrich Schneider
Mitte November 2025 beschloss das Bundeskabinett auf Vorlage des Kulturstaatsministers Wolfram Weimer ein neues Gedenkstättenkonzept, mit dem das bisherige, seit knapp 20 Jahren bestehende Konzept modernisiert werden soll. Schon die Ampelkoalition hatte sich an diese Aufgabe gemacht, jedoch fiel das im Herbst 2024 von Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) vorgelegte Papier dem vorzeitigen Ende der Regierung zum Opfer. Weimer kündigte nach der Regierungsbildung an, ein neues Papier vorzulegen, weil die CDU/CSU grundlegende Kritik an dem Konzept aus dem Hause Roth habe. Er ließ sich dazu vom Deutschlandfunk interviewen, wo er ganz am Schluss eines halbstündigen Gesprächs en passant das Roth-Konzept abwatschte. Darin sei die Thematik der Schoah relativiert und mit anderen Geschichtsthemen, etwa dem deutschen Kolonialismus, vermengt worden. Weimer betonte, er werde zu einer »klaren Haltung« zurückkehren, was die deutsche Erinnerungskultur betreffe. Es gehöre zur »Integrität unserer Republik«, dass der Holocaust in seiner Singularität gesehen werde.
In diesem Sinne ist das neue Papier formuliert, das Anfang November unter dem Titel »Konzeption des Bundes für die Gedenkstätten zur Aufarbeitung der NS-Terrorherrschaft und der SED-Diktatur« der Öffentlichkeit vorgestellt wurde und auf knapp fünfzig Seiten die geschichtspolitischen Vorgaben des Bundes definiert. Zuvor durften bereits ausgewählte Medien Eckpunkte des Papiers veröffentlichen. Man hat den Eindruck, dass dieses zweistufige Verfahren der Versuch war, schon im Vorfeld mögliche Reibungspunkte in Erfahrung zu bringen, so dass die offizielle Präsentation entsprechend »geräuschlos« vonstatten gehen konnte.
Wie man politische Konflikte vermeiden wollte, zeigen verschiedene Bemerkungen. So wird ohne weiteren Kommentar auf Umstände, die sowieso nicht einseitig geändert werden können, hingewiesen – etwa den Umgang mit den sowjetischen Gedenkorten. Trotz antirussischer Propaganda erkennt Weimer an, dass man vertraglich verpflichtet sei, »die sowjetischen Denkmale und Kriegsgräber in Deutschland zu erhalten und zu pflegen. Die Sowjetischen Ehrenmale in Berlin (Treptow, Tiergarten und Schönholz) zum Gedenken an die bei der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus gefallenen Angehörigen der Roten Armee sind Ausdruck einer vielgestaltigen Erinnerungslandschaft.« Mehr wird dazu aber nicht ausgeführt. Im Kontext von Bergen-Belsen wird noch auf die sowjetischen Kriegsgefangenen verwiesen, aber für Kriegsgefangenenlager wie Stukenbrock ist man nicht zuständig – und das soll nach diesem Konzept so bleiben.
Staatliche Geschichtspolitik
Seit der Einsetzung der »Enquetekommission« des Deutschen Bundestages »Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur« und »Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit« steht die staatlich geförderte deutsche Gedenkpolitik unter den Vorgaben der Totalitarismusdoktrin. Bis in die 2000er Jahre gelang es insbesondere Überlebenden der Nazidiktatur und ihren Verbänden, die schlimmsten Auswüchse der Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus zu verhindern, aber mit den verheerenden Beschlüssen des Europäischen Parlamentes zum 23. August als »Gedenktag an die Opfer aller totalitären und autoritären Regime« und der skandalösen Erklärung vom September 2019 sind auf internationaler Ebene alle Hemmschwellen beseitigt.
Auch die ideologische Basis der vorliegenden Gedenkstättenkonzeption ist die Totalitarismusdoktrin, die schon in den letzten Jahrzehnten die Finanzierung der Gedenkorte in Deutschland geprägt hat. Um mögliche politische Angriffsflächen zu vermeiden, vielleicht auch als Beruhigung von Beschäftigten in den Einrichtungen, wird zwar betont: »Bei der Aufarbeitung (…) ist den fundamentalen Unterschieden zwischen der NS-Terrorherrschaft und dem Unrecht in der SED-Diktatur unverändert Rechnung zu tragen.« Doch bleibt dieser Satz folgenlos. Er kostet nichts, macht aber weniger angreifbar.
Bezeichnend ist, wie mit einer Kurzbeschreibung deutscher Gedenkpolitik in der BRD und der DDR Geschichtspolitik legitimiert wird. Im Westen habe man sich »nur zögerlich und meist erst durch den Druck der Besatzungsmächte« an der Erinnerung an die Opfer beteiligt und den Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden verschleiert, indem man sie abstrakt als »Kriegsopfer« wertete. Kein Wort darüber, dass die Organisation der Verfolgten politisch verfolgt wurde. Statt dessen werden die Überlebenden und ihre Vertretungen nur ganz allgemein und ohne ihre Namen zu erwähnen dafür gelobt, die Orte der Verbrechen – oft genug gegen den Widerstand von Behörden und Teilen der Bevölkerung – erschlossen zu haben. Der DDR hingegen wird mit dem Aufbau der »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« eine »Instrumentalisierung« im Sinne des »staatlich verordneten ›Antifaschismus‹« und eine Vernachlässigung jüdischer Opfer vorgeworfen, was weder auf die wissenschaftliche Aufarbeitung noch auf die Publizistik bezogen stimmt.
Als Arbeitsgrundlage für die Gegenwart werden folgende Funktionen von Gedenkstätten formuliert: »Sie sind gleichzeitig Friedhöfe, Mahnmale, topographische Dokumentation, Lernorte historisch-politischer Bildung, Forschungseinrichtungen und Archive.« Man lobt, dass durch ehrenamtlich Engagierte Gedenkstätten mit unterschiedlichen Zugängen entstanden seien, die nicht zuletzt die Vielfalt der Verfolgtengruppen würdigen, Fragen nach Bedingungen von Täterschaft und Mitläufertum stellen sowie die lokale Verankerung ehemaliger Lager und Haftorte in der Gesellschaft in ihrer Umgebung thematisieren. Um jedoch keine falschen Erwartungen zu wecken, folgt anschließend ein Kriterienkatalog für die Bundesförderung, der faktisch die Finanzierung zivilgesellschaftlichen Engagements ausschließt.
Auf sechs Ebenen werden aktuelle Herausforderungen definiert: Erhaltung der historischen Orte, Gedenkstätten als Lern- und Bildungsort, Vermittlung in der Migrationsgesellschaft, anwendungsbezogene Forschungen, Digitalisierung und »Angriffe auf den freiheitlich demokratischen Konsens«. An diesem Punkt rekurriert der Text auch auf den 7. Oktober 2023 und dessen Folgen für den deutschen Diskurs. Gleichwohl wird in bezug auf antisemitische Straftaten eingestanden: »die Täterinnen und Täter kommen überwiegend aus dem rechtsextremen und neurechten Milieu«. Das Konzept spricht zwar von Parteien und Organisationen sowie deren Geschichtsrevisionismus, aber die AfD wird nicht genannt. Als Antwort werden Haus- und Besucherordnungen und Maßnahmen wie Zugangsbeschränkungen empfohlen. Was das praktisch bedeutet, konnte man in diesem Jahr in der Gedenkstätte Buchenwald erleben, wo das Zeigen von palästinasolidarischen Symbolen mit Hausverboten beantwortet wurde.
Schoah als Leitgedanke
Wie schon von Weimer angekündigt, soll der Schwerpunkt der »Bundesförderung der Aufarbeitung der NS-Terrorherrschaft« von nun an auf der Behandlung der Schoah liegen: »Kern der deutschen Erinnerungskultur ist die Auseinandersetzung mit dem Zivilisationsbruch der Shoa. Die Shoa, das Verbrechen der millionenfachen Ermordung der Juden durch Giftgas und bei Massenerschießungen nicht zu vergessen und daran zu erinnern, ist Teil der deutschen Staatsräson. Die Shoa in ihrer Singularität mahnt, energisch gegen jede Form von Antisemitismus einzutreten. Deswegen folgte der Deutsche Bundestag in einem Beschluss aus dem Jahr 2019 der Arbeitsdefinition von Antisemitismus der IHRA. Diese wurde durch das Bundeskabinett 2017 mit folgendem dem (sic!) Zusatz politisch indossiert: ›Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.‹«
Im Konzept werden verschiedene Beteiligungen der BRD im Sinne dieser Geschichtsperspektive erläutert: die Mitwirkung an der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), der European Holocaust Research Infrastructure (EHRI), an der für die BRD das Institut für Zeitgeschichte, die Arolsen Archives und das Bundesarchiv beteiligt sind, und an dem Europäischen Netzwerk Erinnerung und Solidarität (European Network Remembrance and Solidarity – ENRS), das im Sinne des Totalitarismusansatzes die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts mit Blick auf Diktaturen und Kriege sowie das gesellschaftliche Aufbegehren gegen Unfreiheit behandeln soll. Antifaschistischer Widerstand ist damit jedoch nicht gemeint. Bildungsinhalte der Gedenkstätten müssten laut dem Konzept die Vermittlung der Geschichte des Judenhasses und Aspekte des jüdischen Lebens sein. Auch würden Bildungsformate angeboten, die auf die unterschiedlichen Formen von islamistischem und israelbezogenem Antisemitismus reagieren.
Interessant ist, welche anderen Bundeshaushalte für Einrichtungen der Erinnerungsarbeit zuständig sind. Das Außenministerium finanziert aufgrund internationaler Verpflichtungen die Arbeit der Arolsen Archives, nachdem lange Zeit das Bundesinnenministerium dafür zuständig war. Dafür vertreten die Arolsen Archives die BRD in der IHRA. Das Finanzministerium finanziert die »Bildungsagenda NS-Unrecht« der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und die »Holocaust Education« der Jewish Claims Conference (JCC). Über das Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend werden die Internationalen Jugendbegegnungsstätten in Oświęcim (Auschwitz) und Krzyżowa (Kreisau) gefördert.
In welcher Form die Totalitarismusdoktrin durchschlägt, zeigt die Beschreibung der großen KZ-Gedenkstätten, die mit ihren Verbundeinrichtungen gefördert werden. Wird in der Einführung noch von den »fundamentalen Unterschieden« zwischen KZ und der Nachnutzung gesprochen, werden die Gedenkstätten Sachsenhausen und Buchenwald in ihrer Kurzbeschreibung als NS-Konzentrationslager, dann als Internierungslager (»sowjetische Speziallager«) charakterisiert. Der Fakt, dass die US-amerikanische Besatzungsmacht das KZ Dachau ebenfalls als alliiertes Internierungslager nutzte und dort die Angeklagten der Dachau-Prozesse unterbrachte, ist keiner Erwähnung wert, während die Nachnutzung von Bergen-Belsen als Lager für »Displaced Persons«, heimatlose Menschen, genannt wird.
Besonders deutlich wird diese Ausrichtung bei der Beschreibung von Justizgedenkstätten und Haftorten auf dem Gebiet der DDR. Laut Konzept nehmen diese »die Spezifika von Repression durch Justiz und Strafvollzug in der NS-Zeit und auch später in der DDR in den Blick und lassen so Muster von Entrechtung und Menschenrechtsverletzungen deutlich werden«. Für die Haftstätte Bautzen (Stiftung Sächsische Gedenkstätten) wird explizit betont, dass hier der Schwerpunkt auf der Information über das Unrecht zwischen 1945 und 1989 liege.
Auch die 2008 gegründete Bundesstiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« wird abgearbeitet. Zweck der Stiftung sei es, die Erinnerung und »das Gedenken an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im historischen Kontext des Zweiten Weltkriegs und der Expansions- und Vernichtungspolitik der Nazis und ihren Folgen wachzuhalten«. Wer in diesem Jahr die öffentliche und mediale Gewichtung des 8. Mai 1945 und des »Vertreibungsschicksals« erlebt hat, erkennt den Perspektivwechsel. Dazu passt die Aussage, dass auch Menschen mit eigenen Gewalt-, Kriegs-, Flucht- und Migrationserfahrungen konkrete Anknüpfungspunkte zu den in den Gedenkstätten erzählten Geschichten von Flucht, Vertreibung und Verfolgung hätten. In beiden Perspektiven geht es dem Konzept nicht um die Ursachen von Flucht, denn dann müsste man die Verantwortung des deutschen Imperialismus und Kolonialismus benennen. Doch das lehnt Weimer explizit ab.
»Abwicklung« der DDR
Ein weiterer Abschnitt behandelt umfangreich die »Bundesförderung der Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur und des SED-Unrechts in SBZ und DDR«. Interessant ist zu sehen, welche Einrichtungen es geschafft haben, sich Bundesmittel zu sichern. Dass darunter auch die »Stiftung sächsischer Gedenkstätten« zu finden ist, die laut Eigenbeschreibung an die »Opfer der nationalsozialistischen Diktatur und der kommunistischen Diktatur in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR« erinnern soll, macht deutlich, in welchen Kontext die Aufarbeitung des NS-Regimes in Sachsen gesetzt wird.
Neben einer Vielzahl regionaler Gedenkorte fixiert Weimer in diesem Kapitel auch den Umgang mit den Stasiunterlagen. Nachdem die Eingliederung in das Bundesarchiv abgeschlossen ist, soll nun der Berliner Standort des Stasiunterlagenarchivs zum Archivzentrum zur SED-Diktatur ausgebaut werden. Unter der Überschrift »Entwicklungspotenziale« findet man außerdem das geplante »Denkmal zur Mahnung und Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktatur in Deutschland«, das an einem zentralen Ort in Berlin errichtet werden soll, und das von der Robert-Havemann-Gesellschaft vorangetriebene »Forum Opposition und Widerstand 1945–1990« (FOW).
Auffällig in diesem Kapitel ist, dass als eine der vom Bundeshaushalt finanzierten Strukturen die »Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e. V.« (UOKG) ausdrücklich aufgelistet ist. Zu diesem Verband gehören fast 40 Vereine und Initiativen, darunter »die Lagergemeinschaften der Speziallager, der Bund der Vertriebenen, Zusammenschlüsse politischer Gefangener im sowjetischen Gulag, politischer Häftlinge der SED-Diktatur, Zwangsausgesiedelter und Enteigneter, verfolgter Schülerinnen und Schüler, ehemaliger Heimkinder sowie Menschenrechtsorganisationen«. Sie bekommen nicht nur Projektmittel, sondern auch institutionelle Förderung. Wer eine ähnliche Auflistung alimentierter Verbände der Verfolgten des Naziregimes erwartet, sucht vergeblich.
Alles unter Vorbehalt
Zur besonderen geschichtspolitischen Steuerung wird für drei Aufgabenfelder eine »Projektförderung« eingeführt: Erhaltung des historischen Ortes, Digitalisierung und neue Formen der Vermittlung. Hiermit will der Bund zeitlich befristet Gelder beisteuern – kontinuierliche Aufgaben wie Jugendbegegnungsstätten sind explizit ausgeschlossen. Dabei ist es unstrittig, dass die Entwicklung der digitalen Techniken auch eine Möglichkeit zur Entwicklung der Gedenkstätten darstellt. Zum einen betrifft es die Sicherung der Archive durch Digitalisierung und die Bereitstellung der Dokumente für die historische Forschung, wie es exemplarisch bereits von den Arolsen Archives umgesetzt wird. Dieses öffentlich zugängliche digitale Archiv bietet viele Möglichkeiten zur regionalen Spurensuche sowie zur Aufarbeitung von Einzelschicksalen. Sollten die Archive in den KZ-Gedenkstätten diesen Stand erreichen, wäre für die antifaschistische Geschichtsarbeit viel gewonnen.
Zum anderen bedeutet das veränderte Medienverhalten insbesondere der jüngeren Generationen, dass Präsentationsformen angepasst werden müssten. Dabei verspricht das Konzept, dass das Verschwinden der Zeitzeugengeneration durch »interaktive Aufnahmen« oder die Einbeziehung »künstlicher Intelligenz« möglicherweise aufgefangen werden kann. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass diese Möglichkeiten zugleich gewichtige didaktische, ethische und fachwissenschaftliche Fragen aufwerfen, die »unter Einbeziehung der Überlebenden und ihrer Vertretungen« beleuchtet werden sollten. Trotz dieses kritischen Hinweises hat man den Eindruck, dass die Digitalisierung als »Heilsbringer« für die zukünftige Arbeit gesehen wird, wobei angesichts der Fülle der Aufgaben klar sein dürfte, dass dies mit den vorhandenen technischen Ausstattungen und dem Personal der Gedenkorte nur schwer umzusetzen ist.
Um jedoch keine zu hohen Erwartungen an die Bundesmittel für Gedenkorte zu wecken, werden Kriterien für mögliche finanzielle Zusagen benannt. Der Bund sei nur bereit, Gelder zur Verfügung zu stellen, wenn die Projekte »von allgemeinem Interesse und herausgehobener Bedeutung für die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Gewaltherrschaft oder der kommunistischen Diktatur in der SBZ und der DDR« seien oder bisher weniger beachtete Aspekte, Erinnerungsräume oder Opfergruppen thematisierten. Und wie bei allen öffentlichen Geldern wird auch das Kriterium »Nachhaltigkeit« als Fördergrundlage definiert. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass mit dem Auslaufen der Gelder in aller Regel die Projekte zum Erliegen kommen, die Beschäftigten ihre Arbeitsverträge verlieren. Mit solchen Vorgaben wird also eine Steilvorlage gegeben, Projekte von vornherein abzulehnen. Um jedoch den Anschein der Partizipation zu wahren, soll diese Projektförderung durch ein »Expertinnen- und Expertengremium« begleitet werden, dessen Zusammensetzung nicht nur den Totalitarismusansatz abbildet, sondern auch für hinreichende Konkurrenz zwischen den Einrichtungen sorgen wird – »teile und herrsche« mit öffentlichen Mitteln.
Und um den Druck von außen noch zu erhöhen, kündigt Weimar an, eine wissenschaftliche Kommission einzusetzen, die die Arbeit der bestehenden Gedenkstätten evaluieren soll, »um mögliche bislang nicht angemessen berücksichtigte Themen zu Verfolgtengruppen, Verbrechenskomplexen, in der Aufarbeitungsgeschichte oder von Formen der Erinnerungskultur zu identifizieren«. Da mit dieser Evaluation keine Ansprüche auf weitere Förderung verbunden sind, scheint dies der Versuch zu sein, in den Gedenkstätten eine Fokusverschiebung durchzusetzen. Gleichzeitig werden weitergehende Erwartungen an die Gedenkstättenarbeit und mögliche Forderungen der Länder zur Ausweitung der Bundesförderung gebremst. So heißt es als »Abschlussdrohung« gegenüber allen Einrichtungen: »Alle Maßnahmen stehen, soweit der Bundeshaushalt betroffen ist, unter dem Vorbehalt der Finanzierung.« Angesichts der Priorisierung von »Kriegstüchtigkeit« und Aufrüstung dürften damit die finanziellen Möglichkeiten deutlich begrenzt sein.
Widerstand wird vernachlässigt
Zu erwarten ist, dass die inhaltliche Aufarbeitung der Nazizeit – trotz aller wohlklingenden Worte – in den Hintergrund treten wird. Finanziert wird erst einmal die Erhaltung der historischen Substanz. Hier müssen in den kommenden Jahren viele Mittel hineinfließen, die anteilig von Bund und Land zu bezahlen sind, so dass für neue Entwicklungen nur geringe Beträge verbleiben. Der explizite Hinweis, dass man weder Jugendbegegnungsstätten – und damit verbunden auch das pädagogische Angebot – noch die Bildungsarbeit selber als Projekte finanzieren will, sondern auf Angebote zur Digitalisierung setzt, zeigt, wie sich die Besucherbetreuung verändern soll.
Bezogen auf die historische Forschung ergibt sich der Eindruck, dass es nur noch finanzielle Mittel gibt, um »vergessene Opfergruppen« oder die Schicksale jüdischer Häftlinge aufzuarbeiten. Die politischen Häftlinge, ihr Widerstand und Überlebenskampf stehen nicht mehr im Fokus des Interesses. Bei der Projektförderung heißt es zwar, »das Schicksal der jüdischen Verfolgten und anderer Opfergruppen« herauszuarbeiten. Der antifaschistische Widerstand, die Frauen und Männer, die sich dem Naziregime unter Einsatz ihrer Freiheit, Gesundheit oder ihres Lebens widersetzt haben, verschwinden jedoch in einer Auflistung der Beliebigkeit. Wörtlich geht es in dem Konzept um »Verfolgtengruppen wie Jüdinnen und Juden, Romnja und Roma, Sintizze und Sinti, politisch Verfolgte, Zeuginnen und Zeugen Jehovas (Bibelforscher) und andere aus religiösen Gründen Verfolgte, Opfer politischer Strafjustiz, zur Zwangsarbeit nach Deutschland Verschleppte, Kriegsgefangene, als homosexuell, ›asozial‹ und ›Berufsverbrecher‹ Verfolgte sowie Personen aus Opposition, Widerstand und Opfer von Vergeltungsaktionen in den besetzten Ländern, die in Lagern inhaftiert und in großer Zahl ermordet wurden«. Selbst dort, wo »politisch Verfolgte« thematisiert werden, spricht das Konzept vor allem von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, der Gedenkstätte »Stille Helden« und dem Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt.
Was ebenfalls ins Auge fällt, ist die Tatsache, dass anders als bei der DDR-Thematik für die NS-Gedenkorte die Überlebenden und ihre Organisationen (Lagergemeinschaften etc.) keine Rolle spielen sollen. Einzig bei der Digitalisierung werden sie erwähnt. Aber als Gesprächspartner und verpflichtende Berater tauchen sie nicht auf. Verfolgte der Nazis waren in der BRD niemals und sind bis heute nicht »Staatsräson«.
Immerhin einen Satz könnte man als positiven Ausblick interpretieren. So heißt es, »für eine verstärkte Beschäftigung mit der Geschichte der Täterinnen und Täter und von Profiteurinnen und Profiteuren und der damit verbundenen Verantwortung von Gesellschaften sind Forschungen in diesen Bereichen grundlegend«. In einzelnen Nebensätzen zu Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern findet sich sogar der Begriff »Ausbeutung«. Aber es werden keine Unternehmen genannt – noch nicht einmal der IG-Farben-Konzern, der in Auschwitz-Monowitz ein eigenes Konzentrationslager betrieb. Somit bleibt selbst der Begriff »Profiteur« schwammig und nichtssagend. Ein Verfahren, das man in dem vorliegenden Papier an vielen Stellen erleben kann.
Ulrich Schneider schrieb an dieser Stelle zuletzt am 16. Oktober 2025 über die Entnazifizierung durch die Alliierten: »Ein neuer Anfang ist notwendig«
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