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Aus: Ausgabe vom 27.11.2025, Seite 1 / Titel
Streik gegen Kahlschlag

Ausstand in Belgien

Außerhalb der BRD ziemlich selbstverständlich: Politischer Streik gegen den Kürzungskurs der Regierung. Dreitägiger Protest hat die Wirtschaft hart getroffen
Von Gerrit Hoekman
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Mit geballter Streikmacht verursachten Belgiens Arbeiter den Konzernen wohl mehrere hundert Millionen Euro Verlust (Brüssel, 26.11.2025)

Gähnend leere Bahnsteige in Mechelen. In Brüssel fuhr morgens kein einziger Bus. Am internationalen Flughafen in Zaventem blieben alle Passagierflüge am Boden. An die hundert Seeschiffe warteten in Gent, Antwerpen und Zeebrugge vergeblich auf die Ein- oder Ausfahrt. Prominentestes Opfer war die aus Hamburg kommende »Aida nova«. Über die Hälfte aller Betriebe erwartete am Mittwoch Behinderungen, bei jedem Zehnten stand die Produktion komplett still. Am Abend endete in Belgien der drei Tage dauernde Protest der Gewerkschaften gegen die »unsozialen Vorschläge« der Regierung.

Am Montag hatten Premierminister Bart De Wever und seine sogenannte Arizona-Koalition endgültig ihren Kürzungshaushalt verabschiedet. Den angekündigten Streiks zum Trotz. Das provozierte die Gewerkschaften zusätzlich. »Die Einigung wirkt wie ein rotes Tuch auf einen Stier«, warnte der Vorsitzende der flämischen, sozialistischen Gewerkschaft ABVV, Bert Engelaar, am Dienstag in einem Interview mit der Tageszeitung Het Nieuwsblad. Der Nah- und Fernverkehr stand an den drei Tagen an vielen Orten praktisch still. Am Dienstag betraf der Streik den gesamten öffentlichen Dienst, einschließlich der Schulen und Kitas. Am Mittwoch dann landesweit alle Sektoren, auch die Privatwirtschaft.

»Mit dieser Haushaltsvereinbarung greift die Regierung die Kaufkraft derjenigen frontal an, die das Land am Laufen halten. Sie hat versprochen, Arbeit lohnend zu gestalten und die Kaufkraft zu schützen, tut aber genau das Gegenteil«, sagte der Vorsitzende der marxistische Partei der Arbeit (PTB/PVDA), Raoul Hedebouw, auf der Homepage der Partei, die im Parlament in der Opposition sitzt.

Besonders die geplante Rentenreform macht die Gewerkschaften wütend, weil sie die Rente für viele Werktätige um teilweise mehrere hundert Euro im Monat verringern wird. Gleichzeitig werde Erdgas teurer. »Und der günstigere Strom gleicht die höheren Gaspreise ebenfalls nicht aus«, erklärte Gewerkschaftschef Engelaar in Het Nieuwsblad. Unterm Strich sinke die Kaufkraft. Die Gewerkschaften fordern die Einnahmenseite zu verbessern, zum Beispiel durch eine Vermögenssteuer, eine Besteuerung der Technologiekonzerne und geringere Subventionen für große Unternehmen.

Ab dem frühen Mittwochmorgen blockierten entlang der Kennedy-Allee in Gent mehrere Streikposten stündlich für zehn bis 15 Minuten die zentrale Verkehrsader durch den Hafen. Vorneweg gingen einmal mehr die Hafenarbeiter. Der Sender VRT hatte den Eindruck, dass es dort noch mehr Streikende waren, als beim Ausstand im März. Auch in der Nähe großer Industrieunternehmen, wie dem Autohersteller Volvo und dem Stahlkonzern Arcelor-Mittal, sorgten Streikende für stockenden Verkehr. In mehreren Betrieben kam die Produktion nach Angaben der Gewerkschaften zum Erliegen, unter anderem beim Brausehersteller Coca-Cola. Die Müllabfuhr ließ an vielen Orten die blauen und gelben Säcke stehen. In der Wallonie mussten Filialen der Supermarktketten Colruyt und Delhaize zeitweise oder ganz geschlossen bleiben. Fast die Hälfte der Postboten trug dort keine Briefe aus. Insgesamt sei die Streikbereitschaft sehr hoch, teilte die ABVV mit.

Der Verband belgischer Unternehmen (VBO) erwartete einen Schaden von mehreren hundert Millionen Euro. »Der landesweite Streik könnte zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen«, jammerte der flämische Kapitalverband Voka der Tageszeitung De Morgen zufolge. Die Zahl der Insolvenzen sei im Augenblick so hoch wie nie. Unizo, die Union selbständiger Unternehmer, klagte, das Streikrecht sei »aus dem Ruder gelaufen«. Es müsse mit dem Recht auf freie Berufsausübung in Einklang gebracht werden. Den Haushalt der Regierung finden hingegen alle drei Unternehmerverbände gut. »Angesichts der Begeisterung von Voka, VBO und Unizo wäre es seltsam, wenn wir ebenfalls zufrieden wären«, entgegnete Bert Engelaar.

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