Wieder hier, in seinem Revier
Von Ariane Müller
Der Wolf wurde in Deutschland vor rund 150 Jahren ausgerottet. Ende des 20. Jahrhunderts wanderten die Säugetiere jedoch wieder aus Westpolen nach Sachsen ein. In der Muskauer Heide in der Oberlausitz bekamen Wölfe im Jahr 2000 auf einem Truppenübungsplatz Nachwuchs, die erste nachgewiesene Geburt in Deutschland seit der Ausrottung um 1875. Die Ausbreitung erfolgt vor allem in nordwestlicher Richtung, die höchsten Populationszahlen haben die Bundesländer Niedersachsen, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Wölfe gibt es aber mittlerweile in allen Flächenbundesländern, mit Ausnahme des Saarlands.
In den letzten Jahren verlangsamte sich die Ausbreitung. Im Monitoringjahr 2024/2025 wurden in der BRD 219 Wolfsrudel, 43 Wolfspaare und 14 Einzelwölfe gezählt. Aktuell leben der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) zufolge in Deutschland insgesamt 1.636 Wölfe. Ein Monitoringjahr läuft jeweils vom 1. Mai eines Jahres bis zum 30. April des darauffolgenden. Der Zeitabschnitt umfasst ein biologisches »Wolfsjahr«, von der Geburt der Welpen bis zum Ende ihres ersten Lebensjahres. Ein Rudel besteht aus dem Elternpaar, den Welpen und den Jungtieren aus dem Vorjahr.
Mensch-Tier-Konflikte sind ein weltweites Phänomen und nehmen aufgrund des Bevölkerungswachstums, der Expansion von Städten und Siedlungen, der Zerschneidung von Lebensräumen durch Verkehrsinfrastruktur und der Erschließung neuer Flächen zur landwirtschaftlichen Nutzung oder Rohstoffgewinnung weiter zu. An der Gefahrenlage im Hinblick auf Wölfe ändert sich aber wenig. Das Norwegische Institut für Naturforschung untersuchte Angriffe von Wölfen zwischen 2002 und 2020. Seinen Studien zufolge sind Angriffe auf Menschen in Europa trotz steigender Wolfspopulation extrem gering. Noch seltener sind Todesfolgen. Das Risiko, durch einen Zeckenbiss, einen Wespenstich oder bei einem Wildunfall zu sterben, ist ungleich größer.
Herabgestufter Schutzstatus
Am 6. Dezember 2024 hat der Ständige Ausschuss der Berner Konvention einen Vorschlag der Europäischen Union gebilligt, den Status des Wolfs von einer »streng geschützten Tierart« auf eine nur noch »geschützte Tierart« herabzustufen. Nachdem diese Herabstufung drei Monate später in Kraft getreten war, hat am 8. Mai 2025 die Mehrheit der EU-Abgeordneten auch einer entsprechenden Änderung der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) zugestimmt. Dass die wissenschaftlichen Voraussetzungen für eine Neueinstufung nicht erfüllt sind, hatten bereits im Vorfeld mehr als 700 Fachleute der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft sowie der renommierten Fachgruppe Large Carnivore Initiative for Europe in einer gemeinsamen Stellungnahme deutlich gemacht, in der die pauschale europaweite Abschwächung des Schutzstatus als voreilig kritisiert wurde.
Nach Auffassung der Expertinnen und Experten basiert der Beschluss auf lückenhaften Grundlagen, sei wissenschaftlich nicht ausreichend fundiert und schaffe einen gefährlichen Präzedenzfall, der in Zukunft weitere Arten gefährden könne. Die Entscheidung des EU-Parlamentes ist ein herber Rückschlag und ein Angriff auf den europäischen Artenschutz. Es bleibt zu hoffen, dass die vor kurzem von der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe e. V. und dem Freundeskreis freilebender Wölfe e. V. gemeinsam eingereichte Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Erfolg haben wird.
Einem Urteil des EuGH vom Juli 2024 zufolge liegt ein günstiger Erhaltungszustand in einem EU-Mitgliedstaat dann vor, wenn dort flächendeckend Wölfe leben. In Deutschland zählt allerdings nur ein Drittel des Landes zu den Territorien, in denen Wolfsrudel leben.
Herdenschutz bei Weidetieren funktioniert bei fachgerechter Anwendung. Selbst in Bundesländern mit langjähriger Wolfspräsenz sind entsprechende Maßnahmen aber noch immer keine Selbstverständlichkeit, obwohl Informationsmaterialien in gedruckter und digitaler Form zur Verfügung stehen, Herdenschutz (etwa durch Zäune) staatlich subventioniert wird, Entschädigungen gezahlt und Fachberatungen von staatlichen Institutionen oder NGOs angeboten werden.
Insbesondere bei Nebenerwerbsbetrieben und in der Hobbyhaltung ist noch viel Luft nach oben, während immer mehr Haupterwerbsbetriebe in der Landwirtschaft sich den Herausforderungen stellen und den Herdenschutz in ihren Arbeitsalltag integriert haben. Wichtig ist, aus den Fehlern und Versäumnissen der Naturschutzverbände, der Politik und der zuständigen Behörden zu lernen und künftig die Bevölkerung sachlich und wissenschaftsbasiert über Wölfe zu informieren sowie die Nutztierhalter so früh wie möglich davon zu überzeugen, dass nur die Umsetzung von geeigneten Präventionsmaßnahmen ein Garant für ein langfristiges Miteinander von Menschen, Weidetieren und Wölfen ist.
Illegal geschossen
In Ländern und Regionen, in denen die Wölfe nie ausgerottet wurden, gibt es eine kontinuierliche Tradition des Herdenschutzes, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde. In Deutschland hat sich indes rund 150 Jahre lang niemand mehr ernsthaft Gedanken darüber machen müssen. Schafe, Ziegen, Rinder und Pferde weideten auf eingezäunten Weiden, doch waren die Zäune bestenfalls geeignet, die Herde zusammenzuhalten, Schutz vor Eindringlingen boten sie in der Regel nicht. Als der Wolf wieder zurückgekehrt war, versäumten es die meisten Nutztierhalter anfangs, ihre Tiere zu schützen. Statt dessen forderten sie ein wolfsfreies Deutschland, da in der heutigen Kulturlandschaft der Wolf keine Existenzberechtigung mehr habe.
Heute werden immer wieder Wölfe erschossen oder sterben durch Autounfälle. Erst vor kurzem meldete der Münchner Merkur (16.11.2025), dass in Bayern drei ganze Wolfsrudel verschwunden seien. Naturschutzvereine gehen davon aus, dass gerade in den letzten Monaten vermehrt Wölfe illegal erschossen wurden. Die Anzahl der Wolfsrudel ist seit dem Monitoringjahr 2024/25 also wahrscheinlich deutlich gesunken. Daher ist es noch ein weiter Weg zu einer positiven Grundeinstellung gegenüber konfliktträchtigen Wildtieren und damit zu einer friedlichen Koexistenz von Mensch und Wolf.
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Gläserne Texter
vom 25.11.2025