Fußball, Chaos, Kapital
Von Gabriel Kuhn
Es mag eine Reihe Fußballbücher aus linker Perspektive geben, doch der mittlerweile aufgelösten maoistischen Organisation Jugendwiderstand und dem Begriff des »Marxismus-Hooliganismus« auf der ersten Seite zu begegnen, geschieht nicht alle Tage. In »Matchplan Meuterei. Fußballfans zwischen Kommerz und Widerstand«, verfasst von Raphael Molter und Lara Schauland, zeichnet Mathias Dehne dafür verantwortlich. Dehne ist Ultra des FC Carl Zeiss Jena, Palästina-Aktivist und Autor des Vorworts.
2022 besprach ich hier Molters Buch »Friede den Kurven, Krieg den Verbänden. Fußball, Fans und Funktionäre«. Am vergangenen Wochenende berichtete er zusammen mit Dehne in der jW von Protesten in Leipzig, die sich gegen die zunehmende Gängelung von Fußballfans durch die Innenminister der Länder wandten. Auch Koautorin Schauland ist gelegentliche Autorin dieser Zeitung. In »Matchplan Meuterei« verbindet sich marxistische Analyse mit Aktivismus, den Leser soll es freuen.
Die Bedeutung der marxistischen Analyse unterstreichen Molter und Schauland sehr deutlich: »Unser Fundament basiert im wesentlichen auf den Überlegungen von – nicht erschrecken – Karl Marx. Diese ermöglichen es uns, den Sport nicht in einem luftleeren Raum zu betrachten, sondern die umliegenden sozioökonomischen Verhältnisse einzubeziehen.«
Molter und Schauland halten sich für kritischer als andere Kritiker des Fußballs, da das »Rückgrat« ihrer Kritik ein »Verständnis bezüglich des Gegenstands der Kritik« sei. Diese Abgrenzung überzeugt nicht unbedingt, was jedoch egal ist. Wer sich auf den Fußball als Gegenstand der Kritik konzentrieren will, kann sich eine neue Ausgabe der Prokla zu Gemüte führen, die (erstmals) die »Politische Ökonomie des Fußballs« unter die Lupe nimmt. Die Nummer enthält Beiträge zu »Eigenwilligen Vermögenswerten« oder dem »Digitalen Fußballkapitalismus«. Wem Zaunfahnen und Pyrotechnik näher sind, kann bei Molter und Schauland bleiben.
Es hat sich mit Jena und Leipzig bereits angedeutet: Wer den Osten mag, hat bei »Matchplan Meuterei« Heimvorteil. Hier wird aus Dresden, Magdeburg und Zwickau berichtet. Der Fußballgeschichte der DDR ist ein eigener Abschnitt gewidmet. Darin wird unter anderem betont, dass der Sport in der DDR »eng mit dem Staat verwoben« war, was der »Förderung sozialistischer Werte« diente. Schön gesagt, auch wenn man vielleicht hätte dazusagen können, dass die Verwobenheit des Sports mit dem Staat auch zur Gängelei führen kann. Aber geschenkt, dieser Aspekt der Geschichte wird tatsächlich im historischen Deutungskampf von der anderen Seite überstrapaziert.
»Matchplan Meuterei« teilt sich in drei Teile: Der erste widmet sich der Geschichte des Spiels aus kritischer Perspektive (Highlight unter den Kapitelüberschriften: »Fußball, Chaos, Kapital«). Der zweite beweist, dass eine materielle Herangehensweise nicht reduktionistisch sein muss, und stellt Sexismus, Rassismus und Behindertenfeindlichkeit an den Pranger. Im dritten wird erklärt, was zu tun ist, damit alles anders wird: »Vom Protest zur Gegenmacht«!
Die dort gemachten Vorschläge gewinnen vielleicht keinen Preis für Originalität, was sie aber nicht falsch macht: »Vereinsdemokratie einfordern und aufbauen«, »Fanstrukturen stärken und erweitern«, »Bündnisse mit sozialen Bewegungen eingehen«, »subversive Praktiken entwickeln«, »erinnern und Kontinuität schaffen«. Die Vorstellung einer kritischen Fanbewegung, die sich entlang dieser Richtlinien sammelt und organisiert, ist ebenso attraktiv wie die Vorstellung, dass wir es hier mit Klassenkampf »in kultureller, ökonomischer und ideologischer Form« zu tun haben.
Offen bleibt freilich, was die Ziele einer solchen Bewegung sein sollen. Hier wird quasi die Systemfrage im Fußball gestellt. Es ließe sich behaupten, dass die Kämpfe, die Molter und Schauland anreißen, dem gegenwärtigen System immanent sind. Ja, die 50+1-Regel (die garantiert, dass den Vereinen eine Stimmenmehrheit bei ausgegliederten Kapitalgesellschaften zukommt) ist zu verteidigen, die Kriminalisierung der Fankultur zu bekämpfen und der Einfluss von Investoren zu begrenzen. Aber an der modernen Fußballindustrie als solcher ändert sich dadurch wenig. Vielleicht sollten die »Realutopien«, denen sich Molter und Schauland verschreiben, etwas weiter gehen, gerne auch nach staatssozialistischem Vorbild: Fußballer mögen von anderer Arbeit freigestellt werden, wenn das Ausschöpfen ihrer Leistungsfähigkeit als gesellschaftliches Gut betrachtet wird, doch verdienen sollten sie nicht mehr als ein durchschnittlicher Industriearbeiter. Kein Unternehmen muss am Fußball Geld verdienen, korrupte Sportverbände dürfen auf dem Müllhaufen der Geschichte landen, und Wettanbietern gehört der Strom abgedreht. Auf zu neuen Ufern, dann zahlt sich die Meuterei so richtig aus.
Raphael Molter/Lara Schauland: Matchplan Meuterei. Fußballfans zwischen Kommerz und Widerstand. Papyrossa-Verlag, Köln 2025, 212 Seiten, 17,90 Euro
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