Mehr Druck auf Nachfrage
Von Florian Osuch
Die Buchbranche in Deutschland steht möglicherweise vor einem bedeutenden Wandel. Thalia, der Marktführer im deutschsprachigen Raum, plant, in die Produktion von Büchern einzusteigen. Mit seinen etwa 370 Filialen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie mit seinem Onlineshop konzentriert sich Thalia bisher auf den Handel und den Verkauf von Büchern, Spielen, Hörbüchern und Schreibwaren.
Print-on-Demand
In Kooperation mit dem international tätigen Druckdienstleister Elanders Print & Packaging will Thalia in Marl ein Digitaldruckzentrum in Betrieb nehmen. Gegenüber dem Börsenblatt erklärte Ingo Kretzschmar, Vorsitzender der Thalia-Geschäftsführung, die Zusammenarbeit könne »ein leistungsfähiges Print-on-Demand-Modell etablieren, das den Markt nachhaltig prägt und neue Standards in Effizienz, Flexibilität und Prozessoptimierung setzt«. Man wolle »die Wertschöpfungskette des Buchhandels optimieren, Verlage entlasten und Leserinnen und Lesern eine noch größere Vielfalt an Titeln in kürzester Zeit zugänglich machen«. Was verbirgt sich hinter solch blumigen Worten?
Print-on-Demand heißt Druck nach Bedarf. Ist ein Titel vergriffen, heißt es im Buchhandel in der Regel, das Werk ist nur noch antiquarisch erhältlich. Zukünftig könnte ein Thalia-Mitarbeiter entgegnen: »Gerne bestelle ich das Buch für Sie, es liegt morgen ab zehn Uhr zur Abholung bereit.« Per Mausklick wird ein Druckauftrag generiert. In Marl produziert eine Digitaldruckmaschine vollautomatisiert ein Exemplar, das über Nacht in die Filiale geschickt wird. Der Vorteil liegt auf der Hand. Gerade für kleinere Verlage lohnt sich die Neuauflage eines ausverkauften Titels oft kaum, oder die Stückkosten bei niedriger Auflage sind zu hoch. Für sogenannte Selbstpublisher, also Privatpersonen, die ohne Verlag ein Buch geschrieben haben, ist Print-on-Demand gängige Praxis, ebenso im Bereich individueller Fotobücher. Im klassischen Verfahren läuft es anders: Keine gängige Druckerei würde nur ein Buch drucken.
Ladenhüter oder Bestseller?
Verlage stehen vor der Herausforderung, dass sie den tatsächlichen Verkauf eines Werks nur schätzen können. Niemand weiß, ob die Neuerscheinung ein Ladenhüter oder ein Bestseller wird. Es passiert, dass der kommerzielle Erfolg eines Buches erst bei der Zweit- oder Drittauflage ersichtlich wird. Verlage müssen zur Kalkulation die potentielle Nachfrage prognostizieren. Grob gilt: Je größer eine Auflage, desto geringer die Stückkosten pro Buch bzw. desto höher der Ertrag pro verkauftem Exemplar. Seit dem Hoch in der Buchbranche, etwa um die Jahrtausendwende, sinken jedoch die Auflagen ebenso wie die Zahl der Neuerscheinungen insgesamt (siehe Hintergrund). Niedrige Auflagen führen zu höheren Stückkosten – das macht entweder das Buch teurer oder es schmälert den Gewinn. Dafür sind die Lagerkosten niedriger.
Verlage tragen das Hauptrisiko, da Dienstleister und Druckereien zu bezahlen sind, ehe ein Buch verkauft werden kann. Allein Aufwendungen für Vertrieb, Lager und Großhandel summieren sich auf bis zu 15 Prozent der Gesamtkosten.
Marktführer im Großhandel ist die Firma Libri. Bis zu 700.000 Titel werden täglich in den Buchhandel geliefert. Während Thalia noch plant, baut Libri seine bestehenden Kapazitäten im Print-on-Demand deutlich aus. Geschäftsführer Ulrich Vollmer sagte dem Magazin Deutscher Drucker, man wolle das Druck-on-Demand-Volumen »in den nächsten Jahren vervierfachen«. Bis zu 25 Prozent des Gesamtabsatzes sollen am Standort in Bad Hersfeld produziert werden. Bei rund 100 Millionen Büchern, die Libri nach eigenen Angaben in seiner Logistik jährlich bewegt, sind das enorme Mengen. Karsten Kaufmann, Leiter des Print-on-Demand-Services bei Libri, sagte, man habe in diesem Jahr 14 bestehende Drucksysteme durch vier neue Maschinen ersetzt. Diese seien einfach zu bedienen und so konzipiert, »dass man kurzfristig auch Mitarbeiter ohne Druckausbildung anlernen kann«. Vollmer ergänzt: »Diese vier Maschinen haben mehr Outputkapazitäten als die 14 Drucker vorher.« Hersteller Cannon verspreche zudem, »dass man drei Maschinen mit einer Person bedienen kann. (…) Die Produktivität pro Mitarbeiter macht wirklich einen Sprung.«
Neue Maschinen
Das Geschäftsmodell ist klar: Ausweitung der Druckkapazitäten bei gleichzeitiger Reduktion der Personalkosten. Während bei Libri ein Drucker – oder eine Hilfskraft – zwei oder mehr Maschinen gleichzeitig bedient, ist es in der klassischen Buchproduktion im Bogenoffset andersherum. Dort steht einer ausgebildeten Fachkraft in der Regel ein Helfer zur Seite. Diese Maschinenbesetzung war bis Mai dieses Jahres sogar Teil des Manteltarifvertrags der Druckindustrie, bis entsprechende Regeln gestrichen wurden. Lucas Krentel von Verdi Berlin-Brandenburg und zuständig für die Branche sagte jW: »Die Steigerung der Produktivität darf nicht auf Kosten der Beschäftigten gehen.«Welche Auswirkungen Thalias Einstieg in die Buchproduktion auf Verlage und Druckereien hat, ist noch nicht abzusehen. Der Schmetterling-Verlag aus Stuttgart, bekannt durch seine Reihe »theorie.org«, macht sich wenig Sorgen. »Die nehmen uns keine interessanten Manuskripte weg«, kommentierte Geschäftsführer Jörg Hunger gegenüber junge Welt. Kogeschäftsführer Paul Sander verwies auf die hohen Stückkosten bei Print-on-Demand. Das sei keinem Leser zuzumuten, und »für den Verlag bliebe dann eh nichts übrig«.
Hintergrund: Jugend stützt Buchmarkt
Die Buchbranche schwächelt. Nach einer Titelflut um die Jahrtausendwende nimmt die Produktion von Büchern stetig ab. Wurden im Jahr 2004 laut Zahlen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels noch 86.543 Titel auf den Markt gebracht, waren es 20 Jahre später nur noch 65.717 Werke – ein Rückgang von 24 Prozent. Auch die zuletzt mageren jährlichen Umsatzsteigerungen sind auf eine Erhöhung der Preise zurückzuführen.
Die Bedeutung älterer Titel nimmt dabei stetig zu. Bücher der sogenannten Backlist machen inzwischen mehr als die Hälfte der verkauften Exemplare aus. Der Markt für Hörbücher wächst stark, seit 2019 gab es bedeutende Zuwächse, teils in zweistelliger Höhe. Der von einigen erwartete Boom von E-Books bleibt weiterhin aus, ihr Anteil am Umsatz liegt stabil im einstelligen Bereich. Die Basis bleibt das gedruckte Buch.
Hierbei entwickeln sich die Teilsegmente sehr unterschiedlich. Belletristik nimmt mit rund 36 Prozent den größten Anteil am Umsatz ein, mit fortwährend steigender Tendenz. Stark gefragt sind weiterhin auch Kinder- und Jugendliteratur, Sachbücher sowie Titel aus dem Bereich Lernen und Schule. Einen teils deutlichen Rückgang verzeichnen die Warengruppen Reise sowie Natur- und Geisteswissenschaften.
Ein interessanter Trend ist bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu verzeichnen. Im stationären Buchhandel nehmen Genres wie Manga, Young Adult oder New Adult mit den Subgenres Romantasy, Dark Romance etc. oftmals mehrere Regalmeter ein. Laut Ergebnissen der Studie »Bock auf Buch« von 2024 sind Social-Media-Kanäle wichtige Impulsgeber: Bei den zehn- bis 15jährigen spielen Buchvorstellungen auf Tik Tok und Youtube eine große Rolle; in der Altersgruppe zwischen 16 und 29 Jahren liegt Instagram vorn. Gelesen wird zunehmend auch in der Originalsprache. Insgesamt sind jedoch auch hier die Verkaufszahlen rückläufig. Umsatzsteigerungen werden durch die teils deutlichen Preiserhöhungen erzielt.
Berücksichtigt werden muss jedoch, dass parallel zum Sinken der Neuerscheinungen der Handel mit gebrauchten Büchern enorm gestiegen ist. Marktführer ist die im Jahr 2006 gegründete Firma Momox mit ihrer Kernmarke Medimops. Die Firma erzielte im vorigen Jahr einen Umsatz von 377 Millionen Euro. Mit 84 Prozent des Gesamtumsatzes bleibt dabei das Geschäft mit Büchern und Medien besonders stark. (fo)
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